Die Corona-Tagebücher #22: Über den Winter kommen

2021 besteht die Theaterfabrik, die einst im Wohnzimmer einer Privatwohnung ihre ersten Gehversuche unternahm, bereits 20 Jahre. Viel Grund zu feiern gibt es derzeit für die Verantwortlichen indes nicht. theycallitkleinparis hat mit Lars Evers gesprochen, der die Theaterfabrik gemeinsam mit Cornelius Kabus und Tabea Pollen leitet.

Lars, wann hat bei euch in der Theaterfabrik die letzte Vorstellung stattgefunden?
Publikum war das letzte mal im Februar 2020 bei uns zugegen, also vor fast einem Jahr. Im März 2020 haben wir die Impro-Basterds on Air, unsere hauseigene Impro-Truppe, live gestreamt. Übrigens einer der ersten coronabedingten Theater-Livestreams. Danach haben wir es gelassen.

Eine wichtige Einnahmequelle neben den Eintrittsgeldern sind für euch auch eure Theaterkurse. Waren diesbezüglich in den vergangenen knapp zwölf Monaten etwas möglich?
Nein, mit Beginn der Krise mussten alle laufenden Kurse aussetzen. Wir haben dann im September kurz versucht, wieder langsam zu beginnen, haben aber schnell wieder alles gestrichen.

Seit wann gibt es die Theaterfabrik?
Als freie Theatergruppe seit 2001. Mit den Räumlichkeiten, dem Theater auf der Luisenstraße, seit August 2005. Dort verfügen wir über eine Fläche von circa 300 Quadratmetern. 59 Zuschauer:innen können wir maximal unterbringen.

Wie viele Leute gehören zum Kern-Team der Theaterfabrik?
Das Kernteam umfasst ungefähr zehn Personen.

Wie viele Theater-Produktionen finden bei euch normalerweise pro Jahr statt?
Wir versuchen, mindestens ein bis zwei Eigenproduktionen pro Jahr zu realisieren. Dazu kommen die Aufführungen der diversen Theaterfabrik-Theatergruppen sowie Gastspiele befreundeter Theatergruppen. Im Schnitt kommen wir auf 50 bis 70 Aufführungen pro Jahr. Wobei das auch variieren kann.

Und wie sind eure Besucher:innen-Zahlen?
Wir haben eine gute Auslastung. Die meisten Aufführungen sind ausverkauft. Das Gute an einem eigenen Theater ist: Man kann die Stücke solange spielen, bis niemand mehr kommt. In den Anfängen haben wir sogar für drei Zuschauer:innen gespielt. Die Zeiten sind aber lange vorbei.

Wie viele Kurse laufen?
Unsere Standard-Kurse sind die Schauspielfabrik (Impro-Theater) und das Ensemble (feste Inszenierung). Beide Kurse laufen jeweils im Frühling/Sommer sowie im Herbst/Winter. Unser neuer Kurs ist Figuren- und Objekttheater, ein Herzensprojekt von Cornelius. Hinzu kommen diverse Workshop-Angebote wie beispielsweise Physical Theatre oder Impro-Theater.

Bühnenraum der Theaterfabrik mit Lars Evers (links) und Corneluis Kabus, Foto: Finn Leonhardt

Wie finanziert sich die Theaterfabrik, von Kursen und Eintrittsgeldern abgesehen? Gibt es eine institutionelle Förderung?
Nein, wir bekommen keine institutionelle Förderung. Wir arbeiten daran, aber die Förderstruktur der Stadt Düsseldorf ist, sagen wir mal, eine Herausforderung. Wir finanzieren uns neben Kursen und Eintrittsgeldern hauptsächlich durch Spenden oder Projektförderungen.

Wie hoch sind eure monatlichen Kosten für Miete und Nebenkosten?
Wir kommen auf circa 3.000 Euro monatliche Kosten für das Theater.

Ist euch der Vermieter da in irgendeiner Weise entgegen gekommen oder laufen die komplett weiter?
Unser Vermieter war einer der ersten, der Mitte März 2020 auf uns zugekommen ist und eine monatliche Spende seinerseits eingeführt hat, um uns zu unterstützen. Wir zahlen aber seit Beginn der Krise unsere Miete regulär weiter. Stundungen oder ähnliches lehnen wir ab. Auch sehen wir uns nicht in der Tradition von H&M oder adidas, die die Mieten für Ladenlokale einfach ausgesetzt haben.

Gab es für euch als Theater der freien Szene Hilfen, die ihr in Anspruch nehmen konntet? Und wie beurteilt ihr diese, auch im Unterschied zu den institutionell geförderten großen Bühnen?
Wir konnten von dem ein oder anderen Hilfsangebot der Bundes- beziehungsweise Landesregierung antizipieren. Gerade zu Beginn der Krise. Meine Beobachtung war dann allerdings, dass die Antragsverfahren mit zunehmender Dauer der Krise immer komplizierter wurden. Scheint so eine typisch deutsche Sache zu sein. Mit den Unterstützungen für Oper oder Schauspielhaus möchte ich das nicht vergleichen, letztlich sitzen wir ja alle im selben Boot. Wenn ich das allerdings mit den Hilfen für die Lufthansa oder die Autoindustrie vergleiche, dann kommt es mir schrittweise hoch.

Habt ihr alternative Formate ausprobiert?
Wir haben uns mit Livestreams und ein paar digitalen Spielereien befasst, aber so richtig warm geworden sind wir damit nicht.

Wie ist die Situation bei euch aktuell?
Uns fehlt die Planungssicherheit und die Perspektive. Vieles ist schwer vorauszusagen. Wobei ich sagen muss, dass wir Verfechter:innen der Maßnahmen sind. Wir glauben, nur so lässt sich die Lage in den Griff bekommen. Darauf aufbauend einen Spiel- und Theaterbetrieb zu gestalten, ist allerdings schon eine Herausforderung. Aber wir sind aus der freien Szene, da ist man Herausforderungen gewohnt.

Anfang Dezember habt ihr eine Spendenkampagne gestartet. Wie sind die Reaktionen darauf bisher?
Ja, die Spendenkampagne war notwendig, damit wir uns 2021 zumindest finanziell krisensicher aufstellen können und ein wenig Planungssicherheit haben. Die Reaktionen sind bisher unwahrscheinlich toll. Viele Menschen haben sich beteiligt. Dafür sind wir sehr dankbar.

Unter dem Titel „Wir sind der Park“ habt ihr zuletzt einen Audiowalk durch den Volksgarten konzipiert, den man entsprechend den Corona-Auflagen alleine begehen kann. Wie funktioniert das Ganze genau? Und was erwartet die Leute?
Der Audiowalk funktioniert ähnlich wie eine Meditation. Ein kurzes Abschalten vom Außen. Man schlendert gelassen durch den Volksgarten, lässt sich von einer Stimme von Ort zu Ort leiten, hört Geschichten und Musik und am Ende hat man was für Körper und Geist getan.

Apropos Park: Viele Menschen sind ja derzeit in Parks und überhaupt in der Natur unterwegs. Wie begegnest du selbst der Krise? Welche Orte suchst du auf, weil sie dir gut tun? Und welche meidest du eher?
Ich fühle mich tatsächlich zu Hause sehr wohl, habe meine Rudermaschine wiederentdeckt und lese definitiv mehr. Eine schöne Abwechslung war es auch, im November für Freunde ein Gewächshaus im Garten zu bauen. Nur ich, der Garten, die Bohrmaschine und viel Holz. Dahingegen meide ich Orte, wo ich von Weitem schon eine Schlange sehe. In der Schlange stehen ist nicht so meins.

Was wünscht ihr euch als Theaterfabrik für 2021?
Wir hoffen, dass es im Frühling eine schrittweise Öffnung für das kulturelle Leben geben wird und dass wir im Herbst wieder vor, auf und hinter der Bühne stehen können. Im besten Fall mit Umarmungen und toi, toi, toi, also mit über die Schulter spucken.

Hier kann man für die Theaterfabrik spenden sowie den Audiowalk „Wir sind der Park“ buchen.

In dieser Reihe bereits erschienen:

Die Corona-Tagebücher #1: Solidarische Nachbarschaft Düsseldorf

Die Corona-Tagebücher #2: It’s oh so quiet

Die Corona-Tagebücher #3: Falsche Verknüpfungen

Die Corona-Tagebücher #4: Vom Geben und Nehmen

Die Corona-Tagebücher #5: Der Radius wird kleiner

Die Corona-Tagebücher #6: Kunst & Quarantäne

Die Corona-Tagebücher #7: Hausmusik

Die Corona-Tagebücher #8: In die Leere

Die Corona-Tagebücher #9: Virologen-Merchandise

Die Corona-Tagebücher #10: Was heißt hier sofort?

Die Corona-Tagebücher #11: Unfrisur

Die Corona-Tagebücher #12: Was heißt hier sofort? (2)

Die Corona-Tagebücher #13: Fußmatten-Genießertresen

Die Corona-Tagebücher #14: Unter erschwerten Bedingungen

Die Corona-Tagebücher #15: Hilft Humor?

Die Corona-Tagebücher #16: Yoga der Ungelenken

Die Corona-Tagebücher #17: Persönliche Einblicke

Die Corona-Tagebücher #18: Jenseits der Grenze

Die Corona-Tagebücher #19: Hier spricht der Gastronom

Die Corona-Tagebücher #20: Tage mit null Neuinfektionen

Die Corona-Tagebücher #21: Auf ein Foto

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