Die Corona-Tagebücher #11: Unfrisur

Momentan fühle ich mich wieder wie 13. Das liegt weniger an meinem Körper und mehr an meiner Frisur. Als ich 13 war, trug ich einen Pony, den ich wie eine Art schützenden Vorhang nutzte. Er reichte mit mindestens bis zur Nasenspitze, manchmal sogar bis zur Oberlippe. Hinter diesem Pony fühlte ich mich sicher. Ich war ein bisschen wie der Affe, der sich die Augen zuhält. Wenn ich die Anderen nicht sehe, sehen sie mich auch nicht. Und ich wollte damals definitiv nicht gesehen werden. Manchen Eltern war ich aufgrund meiner Unfrisur und meines aufmüpfigen Wesens, nun ja, mindestens suspekt. Ich erinnere mich noch an einen Besuch bei P. Ps Vater war Anwalt, er hatte seine Kanzlei auf der Kö. Seine Frau war Ehefrau und fand, dass ich nicht der richtige Umgang für ihren Sohn war. Damals hielt mich das natürlich von nichts ab. Ich kam umso lieber vorbei, je weniger ich erwünscht war. Heute kann ich die Reaktion von Ps Mutter nachvollziehen. Wenn ich eine Tochter hätte und sie mit einem FDP-Heini mit Hemd und Krawatte ankommen würde, würde ich ihr auch den Marsch blasen. Egal. Lange her. Zurück zu meiner Unfrisur, also meiner Unfrisur von heute. Die hat nichts damit zu tun, dass ich nicht gesehen werden möchte. Frauen in meinem Alter werden ohnehin nicht gesehen. Sie ist vielmehr eine direkte Folge der Corona-Krise. Habe gerade mal in meinem Kalender nachgeschaut: Am Dienstag, dem 21. Januar war ich zum letzten Mal bei meiner Friseurin. Das ist mittlerweile über drei Monate her. 13 Wochen! Entsprechend groß war meine Freude, als in der vergangenen Woche E anrief. E ist meine Friseurin. Sie kann nicht nur gut Haare schneiden, sie versteht auch viel von Kunst und von Menschen. E ist eine ziemlich coole Frau. Am 11. April hatte ich ihr bereits eine verzweifelte SMS geschrieben: „Ich freue mich schon sehr auf den Tag, da du wieder aufmachst“, schrieb ich. „Auf meinem Kopf sieht es schrecklich aus.“ Was soll ich sagen? Seitdem ist die Situation nicht eben besser geworden. Entsprechend hocherfreut war ich, als sich in der vergangenen Woche E meldete. „Ich habe gerade wieder an dich gedacht“, sagte ich. „Ich denke jetzt immer an dich, wenn ich in den Spiegel schaue.“ E sagte, dass sie ihren kleinen Salon am 5. Mai wieder öffnen würde. „Möchtest du am 6. Mai einen Termin haben?“ Ich hätte E gerne umarmt, aber das geht ja dieser Tage nun mal nicht, telefonisch schon gar nicht. Jetzt zähle ich die Tage bis zum 6. Mai. Ab heute sind es noch zehn.

Nachtrag: Als ich H bat, ein Foto von mir und meiner Unfrisur zu machen, für das ich mir eigens das Haar ins Gesicht kämmte, was ich sonst zu vermeiden versuche, befand er: „Du siehst aus wie Joey Ramone.“ Mit wem bin ich in der Vergangenheit nicht schon alles ob meiner Haare verglichen worden? Mit Neil Young. Mit Patty Smith. Mit Alanis Morissette. Und mit Bruce Dickinson. Letzterer ist übrigens der Sänger der Heavy-Metal-Band Iron Maiden. Habe ihn gerade noch mal gegoogelt – und muss sagen: An dem Vergleich mit ihm ist tatsächlich was dran. In früheren Zeiten jedenfalls, heute trägt er die Haare kurz.

In dieser Reihe bereits erschienen:

Die Corona-Tagebücher #1: Solidarische Nachbarschaft Düsseldorf

Die Corona-Tagebücher #2: It’s oh so quiet

Die Corona-Tagebücher #3: Falsche Verknüpfungen

Die Corona-Tagebücher #4: Vom Geben und Nehmen

Die Corona-Tagebücher #5: Der Radius wird kleiner

Die Corona-Tagebücher #6: Kunst & Quarantäne

Die Corona-Tagebücher #7: Hausmusik

Die Corona-Tagebücher #8: In die Leere

Die Corona-Tagebücher #9: Virologen-Merchandise

Die Corona-Tagebücher #10: Was heißt hier sofort?

2 Kommentare

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Wenn das so ist, war das Chaos auf meinem Kopf (nicht darin) ja letzten Endes doch noch für was gut! In diesem Sinne: auf zum Frisenmann/zur Frisenfrau, also nächste Woche dann. Und schick mal ein Bildchen vom Ergebnis!

Ich musste so lachen bei der Unfrisur!!! Zwei Tatsachen vorweg – ich bin absoluter Iron Maiden-Fan, speziell die 80er 😉 … und ich hatte vor der Corona-Friseur-Schließung einen Termin abgesagt, weil ich mich nicht entscheiden konnte, ob ich mir einen Pony schneiden lassen soll. Kann meine Metal-Mona-Lisa-Matte nicht mehr sehen. Und Bruce Dickinson sah echt süß aus mit Pony, das nur nebenbei. Jedenfalls stieß ich dieses Themas wegen auf die Unfrisur – die ich mir nun machen lassen möchte, wenn ich denn einen Friseurtermin bekomme… in diesem Sinne, Gruß aus dem Maiden-Fan-Lager a la 80er-Jahre-Matte-Comeback

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