Die Corona-Tagebücher #8: In die Leere

H. und ich lieben Ausflüge. Wir sind regelrecht ausflugssüchtig. Es vergeht kaum ein Wochenende, an dem wir nicht in die nähere Umgebung ausfliegen. Diese lieb gewonnene Tradition haben wir auch während der Corona-Krise, in der sich ansonsten fast alles verändert hat, beibehalten. Ein kleines Überbleibsel aus unserem alten Leben. Spätestens samstags morgens beim Frühstück (sehr lange Schlangen bei Terbuyken, aber Brötchen holen ist Gott sei Dank bei uns „Männersache“) diskutieren wir dann die Frage aller Ausflugsfragen: Wohin? Früher, also vor Corona, entschieden wir das schlicht nach der Attraktivität des Ausflugsziels. Immer gern genommen waren Zons, Krefeld-Uerdingen, Wittlaer oder Urdenbach. Weiterhin unter den Favoriten: Unterbacher See, Grafenberger und Aaper Wald, Stinderbach- und Neandertal. Heute, da Corona die Welt im Würgegriff hat, scheren wir uns nicht mehr um die Schönheit des Ausflugsziels. Stattdessen ist ein anderes Kriterium an die Pole Position gerückt: Wie voll könnte es am Ziel sein? Wie viele Menschen sind vor Ort – eventuell auch schon auf dem Weg dorthin – zu erwarten? Dort, wo es schön ist, wollen schließlich alle hin. Das war schon vor Corona so, aber in diesen Tagen, in denen Cafés, Restaurants, Museen, Theater, Fitnessstudios, also sämtliche Alternativen zum Freiluft-Vergnügen, geschlossen sind, teilt sich die Welt in Extreme. Hier die völlig verwaisten Fußgängerzonen, Einkaufsstraßen, Kneipenmeilen, Kulturtempel. Dort die überfüllten Parks, Wälder und Rheinufer. Sie ahnen es: Die schönen Orte scheiden neuerdings als Ziele für uns aus. Zu viele Menschen, die trockenen Husten haben könnten, keinen Mundschutz oder – noch schlimmer? – Kampfjogger sein könnten. Wo nun trifft man all diese unschönen Phänomene nicht an? Richtig, an Orten, die gemeinhin als eher hässlich, unattraktiv und deshalb wenig besuchenswert gelten. Gewerbegebiete. Trabantenstädte. Soziale Brennpunkte. Aber auch spießig anmutende Wohnviertel mit Steingärten und grässlichen Gartenzwerg-Kohorten. Wir haben für diese Ausflugsziele eine eigene Sparte erdacht: Sie heißt „In die Leere“. Die Leere scheint uns neuerdings erstrebenswert. In der Leere ist es noch ruhiger als im Rest der Stadt. Vor allem aber: garantiert menschenleer. Unsere liebsten Ausflugsziele der vergangenen Wochen: Garath, Höherweg, Harffstraße (meine neue Lieblingsstraße! Sie liegt genau auf der Grenze zwischen Oberbilk und Wersten. Eine Straßenseite gehört zu Oberbilk, die andere zu Wersten). Holthausen. Gurkenland. Heerdt. Industriehafen. Ratingen-West. In unserem Viertel hinter dem Bahnhof ist für derartige Geheimtipps ein regelrechter Schwarzmarkt entstanden. Die Nachfrage ist groß, größer als das Angebot. Neulich trafen wir ein Pärchen aus der Nachbarschaft. Zufällig, natürlich. Sie standen auf der einen Seite der Straße, wir blieben auf der anderen. Der Volksgarten sei ja jetzt immer so voll, klagten wir. Ja, ganz schrecklich, erwiderten sie, könne man gar nicht mehr hin, jedenfalls nicht nachmittags und abends. Sie hätten aber einen Geheimtipp für uns. Ebenfalls in der Nähe und völlig menschenleer. Sie verrieten uns den Ort. Das Klopapier, das wir ihnen im Gegenzug anboten, lehnten sie ab. Nur eine Bitte hätten sie an mich: „Schreib das nicht in deinem Blog!“ Ich habe ihnen mein Wort gegeben. Das einer Ehrenfrau.

In dieser Serie bereits erschienen:

Die Corona-Tagebücher #1: Solidarische Nachbarschaft Düsseldorf

Die Corona-Tagebücher #2: It’s oh so quiet

Die Corona-Tagebücher #3: Falsche Verknüpfungen

Die Corona-Tagebücher #4: Vom Geben und Nehmen

Die Corona-Tagebücher #5: Der Radius wird kleiner

Die Corona-Tagebücher #6: Kunst & Quarantäne

Die Corona-Tagebücher #7: Hausmusik

2 Kommentare

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Schmunzel, das Gleiche „Problem“ haben wir auch. Aber zum Glück ein Auto, um mal eben die Stadtgrenze hinter uns lassen zu können.
Aber es gibt sie wirklich, die „leeren“ Ort und können aktuell eine Oase der Erholung sein. Selbst Benrath ist abseits vom Schloß und Park eine Oase der Ruhe.
Tipp: Der Himmelgeister Bogen ist noch nicht sooo überlaufen und mit dem Rad kann man einen netten Ausflug dahin machen. Oder die „große“ Runde über die Fleher Brücke vorbei an Stürzelbach ( Meuchelbeck ) bis zur Zonser Fähre und über Urdenbach wieder nach Hause

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