Christian Herrendorf im Interview – „Die Vorteile des Home Office überwiegen“

Die Idee entstand bei einer langen Wanderung während des ersten Lockdowns. Damals tauschten sich der Journalist Christian Herrendorf und der Interior Designer Mike Neubauer über ihre Erfahrungen im Hinblick auf das Arbeiten im Heimbüro aus. „Das müsste man mal aufschreiben“, befanden sie am Ende des Gesprächs. Genau das haben sie mittlerweile getan. Herausgekommen ist das Buch „Home Office … und wie es funktionieren kann“, das Ende November erschienen ist. theycallitkleinparis hat mit Christian Herrendorf darüber gesprochen.

Christian, wie lange hast du in Redaktionen gearbeitet?
Auf die eine oder andere Weise 21 Jahre. Ich habe im Sommer 1999 als Praktikant in der Sportredaktion der RP begonnen, diverse Formen des festen Freiseins erlebt und war festangestellt von 2005 bis zum Herbst 2020.

Zuletzt hast du die Düsseldorfer Lokalredaktion der WZ geleitet. Seit die im Herbst geschlossen wurde, bist du selbständig. War es eine bewusste Entscheidung, nicht wieder in eine Festanstellung zu gehen?
Ja. Ich habe als Reporter, als Redakteur, als Redaktionsleiter in den Verlagen, in denen ich gearbeitet habe, viel ausprobiert und viel immer wieder Neues erlebt. Dem konnte ich in meiner Vorstellung im Moment nichts Neues hinzufügen. Außerdem überwog der Preis der Festanstellung die Vorteile zunehmend.

Wenn man dich heute vor einem Jahr, also vor Beginn der Corona-Krise, nach deiner Meinung zum Thema Home Office gefragt hätte, was hättest du gesagt?
Oh, das ist schwierig. Ich war schon in den Jahren vor der Krise ein Fan des mobilen Arbeitens und habe mit meinen Teams ausprobiert, wie man möglichst direkt am Ort des Geschehens als Reporter arbeitet. Wir haben in Kaffeeküchen von Unternehmen, Treppenhäusern, Straßenbahnen geschrieben oder Fotos fertig gemacht. Ich hätte trotzdem sicher für eine Reihe von Aufgaben die Ansicht vertreten, dass man sie nur in den Räumen des Unternehmens erledigen kann.

Und welche Position vertrittst du heute?
Ich habe sehr schnell gelernt, dass ich falsch lag. Industrielle Produktion, Handwerksbetriebe oder medizinische Einrichtungen mal ausgenommen: Es lassen sich die meisten Formen des Arbeitens unserer heutigen Welt auch zu Hause erledigen. Das ist aber für viele Menschen mit Ängsten und Wünschen verbunden, die man zunächst besprechen muss.

Als die Corona-Krise begann, warst du als Redaktionsleiter für die WZ-Redaktionen in Düsseldorf und Krefeld verantwortlich. Während viele deiner Kollegen ins Home Office gewechselt sind, bist du in der Redaktion geblieben. Warum eigentlich?
Die Redaktion sollte weiter besetzt und erreichbar sein, einige Aufgaben in der Produktion der Ausgabe lassen sich schon aus technischen Gründen deutlich leichter in der Redaktion erledigen. Das ergab kleine Teams, die mit ausreichendem Abstand in der Redaktion saßen, während die übrigen Kollegen in der Stadt unterwegs waren und recherchiert und dann zu Hause geschrieben haben. In meiner Rolle als Ansprechpartner nach innen und außen, als Koordinator der Abläufe sah ich als besten Ort für mich die Mitte des Ganzen, also als Teil der kleinen Teams in der Redaktion.

Wer das Leben in einer Redaktion kennt, weiß, dass dort viel Hektik herrscht, viel Ablenkung, dass man selten einen Gedanken zu Ende denken kann. Wie hast du den Wechsel ins Home Office erlebt? Überwiegen für dich persönlich die Vor- oder die Nachteile?
Die Vorteile überwiegen. Ängste, wie ich sie vorhin beschrieben habe, habe ich nicht festgestellt, aber mir fehlt trotzdem auch etwas. Den spontanen Austausch mit Kolleg:innen gibt es nun nicht mehr, das wäre nur noch möglich, wenn ich spontan jemanden anrufen würde. Das käme bei vielen aber vermutlich nicht so gut an. Gleichzeitig sind Ruhe und Freiheit auch erstaunliche Quellen für gute Arbeit und gutes Arbeiten.

Wie muss man sich deinen Heimarbeitsplatz vorstellen?
Ich sitze in einem Zimmer mit vielen Büchern, an einem Schreibtisch, der nicht schön ist, aber sehr alt und sehr schnörkellos. Ich habe dank der Hilfe bewanderter Mitmenschen eine gute technische Ausstattung in diesem Büro, die mir ermöglicht, so ziemlich alles hier zu erledigen. Trotzdem gibt es hier viel Papier, viele Stifte und zwei Telefone.

Ende November hast du gemeinsam mit dem Interior-Designer Mike Neubauer das Buch „Home Office … und wie es funktionieren kann“ veröffentlicht. Wann und wie entstand die Idee?
Die Idee entstand während des ersten Lockdowns. Wir waren in unseren Jobs jeweils mit Fragen konfrontiert, die sich aus der neuen Situation unserer Teams beziehungsweise unserer Kunden ergaben. Wir haben bei einer langen Wanderung darüber geredet, überraschende Antworten gefunden, und auch neue Fragen. Das hat großen Spaß gemacht, weil im Austausch viele Gedanken entstanden, die so vorher noch nicht da waren, jedenfalls nicht in meinem Kopf. Am Ende der Wanderung haben wir dann gesagt „Das müsste man mal aufschreiben“.

Ihr seid ja nicht die ersten, die sich mit dem Thema beschäftigen. Im Netz findet man schon eine ganze Reihe von Home-Office-Ratgebern. Was hat euer Buch, was die anderen nicht haben?
Wir hoffen eine Menge Ideen, die Unternehmen, in denen ein Teil der Mitarbeiter:innen im Home Office arbeitet, weiterhelfen. Wir haben ein Schrankbüro und ein Büro zum Mitnehmen entwickelt, wir schlagen Home-Office-Koordinator:innen für Unternehmen vor, Wandertage, virtuelle Stuhlkreise, Telefon-Joker und noch einiges mehr.

Welche Aspekte des Themas beleuchtet ihr in dem Ratgeber?
Wir fangen bei den Arbeitnehmer:innen und ihren Sorgen und Wünschen an und gehen dann zum Home Office, also dem Raum selber, über. Wenn dafür gute Lösungen gefunden sind, geht es weiter mit der Organisation der Arbeit und der Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Hinzu kommen noch Gesundheit, Ernährung, Life-Balance, Steuern und Recht.

Ihr seid bei eurer Recherche von den Arbeitnehmer:innen ausgegangen, von ihren Sorgen und Wünschen. Welche sind das?
Wesentliche Sorgen sind, dass man nicht mehr mitkriegt, was in der Firma passiert, dass Vorgesetzte nicht sehen, was man leistet, und das Gefühl kriegen, sie kommen auch ohne einen aus, und dass der Druck durch Vorgaben und Fristen wächst. Dazu kommt die grundsätzliche Sorge, die bei Veränderungen eintritt: Man fühlt sich allein oder schlimmer noch, als sei man in ein tiefes Loch gefallen. Die Wünsche korrespondieren damit: soziale Kontakte, Wertschätzung, aber auch einen vernünftig ausgestatteten und gestalteten Arbeitsplatz.

Mit wie vielen Menschen habt ihr gesprochen? Und aus welchen Berufsgruppen?
Mehrere Dutzend, ganz überwiegend aus Berufsgruppen, in denen Home Office mindestens theoretisch möglich ist: IT-Unternehmen, Versicherungen, Banken, Verwaltung, Juristen, Medien.

Inwiefern berücksichtigt das Buch auch die Perspektive der Arbeitgeber:innen?
Insofern, als Arbeitgeber:innen Ideen zu den beschriebenen Sorgen und Wünschen ihrer Mitarbeiter:innen finden. Unser erstes Kapitel hilft ihnen, sich Gefühle der Mitarbeiter:innen bewusst zu machen und sie zu deuten. Darauf folgen eine Menge Vorschläge, die dazu die passende Lösung bedeuten können.

Hat die theoretische Beschäftigung mit dem Thema auch Auswirkungen auf deinen eigenen Heimarbeitsplatz gehabt? Hat der sich verändert?
Auf den Platz nicht, aber auf mein Verhalten. Ich gehe vorsichtiger mit Menschen um, die ins Home Office gewechselt sind. Ich überlege genau, welche Kommunikationsform passt und entscheide mich deutlich seltener für Videokonferenzen. Und ich versuche bei Bewegung und Ernährung das, was ich in den Interviews fürs Buch gelernt habe, einigermaßen diszipliniert umzusetzen, damit man nicht schon von weitem sieht, dass ich im Home Office arbeite.

Ist das Buch im örtlichen Buchhandel zu beziehen?
Ja. Es gibt Buchläden, die von uns Bücher gekauft haben und sie anbieten. Und jedes Düsseldorfer Buchgeschäft kann das Buch ganz normal bei unserem Verlag bestellen.

Wie ist die Resonanz auf das Buch bisher?
Wir haben bei unserem Hamburger Verlag Tredition zunächst 100 Exemplare für uns bestellt, die waren aber schon vor Weihnachten alle weg. Wir drucken gerade die nächste Runde, weil wir noch weitere Anfragen haben.

Mehr Informationen zum Buch gibt es hier.

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