Ende und Anfang. Zu Besuch bei Markus Luigs

Die Hiobsbotschaft kam zwei Tage vor der Vernissage. „Du musst unbedingt kommen“, sagte der Anrufer zu Markus Luigs. „Die reißen die Wurstbude ab.“ Luigs machte sich sofort auf zum Höherweg. Dort, zwischen Gewerbehallen und Kleingärten, zwischen Flüchtlingsunterkunft und vietnamesischem Großhandel stand bis zuletzt eine kleine Hütte, aus der heraus früher mal Wurst verkauft wurde. „Bock auf Wurst“ stand auf einem Schild auf dem Dach der Bude. Natürlich hat Markus Luigs das fotografiert. Die Wurstbude unter blauem Himmel nebst Wattewolken hat es sogar auf das Cover seines Bildbands geschafft. „Düsseldorfer Perlen“ heißt der. Wie sein gleichnamiges Blog. Aber das wissen eh alle. Luigs fotografiert ungewöhnliche Ansichten von Düsseldorf, der Stadt, in der er seit knapp 30 Jahren lebt. Dabei zieht es ihn nicht zum Rheinturm oder zu den Gehry-Bauten. Er hat eher ein Faible für das auf den ersten Blick Unscheinbare. Gewerbegebiete. Ausfallstraßen. Kleingartenanlagen. Stadtteile wie Rath, Holthausen oder Reisholz. Die Rückseite von der Schokoladenseite, das ist das fotografische Sujet von Markus Luigs.

Am Tag vor der Vernissage ist Luigs früh aufgestanden, wie immer. „Ich bin schon seit sieben Uhr im Atelier“, sagt er. Sein Atelier ist neuerdings in Flingern. Vor dem Fenster rattert die Straßenbahn-Linie 709 über die Lichtstraße. Das hippe Flingern-Nord – hier, wo Markus Luigs neuerdings sein Tagwerk verrichtet, ist es schon fast vorbei. In einem Ladenlokal mit großer Fensterfront hat er seinen Schreibtisch mit dem riesigen Bildschirm und der klitzekleinen Tastatur aufgestellt. Die braun bezogenen Stühle sind ein Überbleibsel aus dem 2016 geschlossenen Stern-Verlag. Neben der Anlage: eine Reihe Platten. Beastie Boys. Chogori. Nils Frahm. Im Schaufenster liegen gerahmte Fotos. Fortuna-Büdchen am Rhein. Hortenkachel. Haniel-Garage. 20 mal 30 Zentimeter im Holzrahmen für 59 Euro. Auch vom „Düsseldorfer Perlen“-Buch, das vielerorts vergriffen ist, hat er noch einige Exemplare übrig. Neben der Eingangstür hängt das blaue Plakat zu seiner jüngsten Ausstellung: „Urbane Parallelen – Düsseldorf/Haifa“ im Stadtmuseum. Für die Schau, die Luigs gemeinsam mit Dr. Susanne Anna und dem Architekten Georg Döring kuratiert hat, haben 14 Teams aus israelischen und deutschen Künstlern und Architekten die urbanen Parallelen der Partnerstädte Düsseldorf und Haifa untersucht. Luigs wurde von der Architektin Anna Wollenberg ins Boot geholt. Im Juni vergangenen Jahres begann die gemeinsame Arbeit für die Schau. Das Thema war schnell gefunden: Garath.

Foto: Markus Luigs

Wollenberg ist in dem als problematisch verschrienen Stadtteil aufgewachsen. Luigs interessierte das Viertel, das in den 1950er-Jahren am Reißbrett entstanden ist, ohnehin seit je her. Für den Fotografen war der äußerste Düsseldorfer Süden kein Neuland: „Ich habe Ende der Achtziger Jahre mal ein Jahr in Garath gearbeitet. Damals bin ich jeden Tag mit dem Fahrrad aus Leichlingen, wo ich herkomme, nach Garath gefahren.“ 30 Jahre später nahm Luigs den Faden wieder auf. Fünf, sechs mal war er vor Ort unterwegs, um das Viertel zu erkunden, es aus unterschiedlichen Perspektiven abzulichten. Fazit: „Ich kann an Garath nichts aussetzen.“ Im Gegenteil. Er könne sich sogar vorstellen, dort zu leben. Wenn man mit Kamera im Viertel unterwegs ist, werde man natürlich kritisch beäugt. Die Leute im Stadtteil sind sehr misstrauisch, nicht erst seit 2017 unter der Überschrift „Wo die Nicht-Wähler wohnen“ ein großer Artikel in der FAZ erschienen ist. Auch als Luigs die ersten fotografischen Skizzen von Garath ins Netz stellte, waren die Reaktionen unterschiedlich. „Garath hat sich mit der Zeit echt zum guten verändert. Glaub er will es als Ghetto hinstellen oder so für seine bekloppte Ausstellung“, kommentierte jemand bei Facebook. Und forderte: „Man sollte ihm echt die Kamera wegnehmen.“ Der Attackierte war ob solcher Anfeindungen nicht überrascht. Die Frage „Was fotografieren Sie denn da?“ gehörte bei seinen Ausflügen in den Düsseldorfer Süden ohnehin zum Standardrepertoire der Einheimischen. Mit der Antwort „die Wand“ gaben sich die wenigsten zufrieden. „Warum?“ lautete folgerichtig oft die Anschlussfrage. Meist hat Luigs dann einfach irgendwas erzählt. Schulprojekt oder so. „Ich möchte mich eigentlich gar nicht unterhalten, während ich fotografiere“, sagt er.

Foto: Markus Luigs

48 Fotografien von Garath haben Luigs und seine Partnerin in Arts, Anna Wollenberg, für die Ausstellung ausgesucht. Die größten messen 50 mal 60, die kleinsten gerade mal 13 mal 18 Zentimeter. Menschen sind höchstens als Schatten zu sehen. Oder als Stecknadelkopf. „Es reicht, dass in den Häusern, die ich fotografiert habe, Menschen leben“, findet der Künstler. Gehängt sind die Fotos in der Ausstellung auf einer acht Meter langen Wand. Im Zentrum der Arbeit: ein sogenannter Schwarzplan, ein Bebauungsplan, anhand dessen die fotografischen Arbeiten nach Himmelsrichtungen ausgerichtet wurden. „Garath ist ja kleeblattförmig angelegt“, erklärt Luigs. Geplant wurde das Viertel übrigens von Friedrich Tamms. Hat ihn bei seiner Recherche eigentlich irgendwas überrascht? Luigs überlegt einen Moment und sagt: „Die Kleinteiligkeit.“ Es gebe in Garath ja viele Einfamilienhäuser mit Garten, die von Zäunen und dichten Hecken umgeben und daher kaum einsehbar seien. Das Nebeneinander dieser kleinen Einheiten mit den riesigen Plattenbauten und der brutalistischen Kirche mit angeschlossenem Altenheim, die zwischen 1968 und 1970 nach den Plänen von Gottfried Böhm errichtet wurde, entbehre nicht einer gewissen Faszination. Die Betonkirche St. Matthäus hat es ebenso in die Ausstellung im Stadtmuseum geschafft, wie die „Boutique Mode“ in der Unterführung der S-Bahntrasse, der Urdenbacher Altrhein, die „Pizzeria Il Ponte“ oder der kleine jüdische Friedhof, der kaum als solcher zu erkennen ist.

Die Ansichten der südlichen Düsseldorfer Peripherie werden in einigen Wochen auch in der israelischen Partnerstadt zu sehen sein. Voraussichtlich. „Ursprünglich sollte die Ausstellung im Stadtmuseum ja parallel auch in Haifa gezeigt werden, mit allen Exponaten, absolut identisch“, erzählt Luigs. Der Plan sei dann allerdings aufgrund der räumlichen Gegebenheiten nicht realisierbar gewesen. Das Stadtmuseum in Haifa verfüge nämlich lediglich über eine Fläche von 100 Quadratmetern, während in Düsseldorf circa 450 Quadratmeter zur Verfügung stehen. Daher wird in Haifa lediglich eine komprimierte Version der hiesigen Schau gezeigt werden. „Wenn meine Arbeiten dabei sind, fliege ich natürlich hin“, sagt Markus Luigs. Auch in Flingern hat der Fotograf und Grafikdesigner viel vor. In seiner neuen Homebase auf der Lichtstraße kann er sich Ausstellungen von anderen Künstlern ebenso vorstellen wie Lesungen oder kleine Konzerte. Merke: Das Ende der Wurst ist noch lange nicht das Ende der Welt. Irgendwie beruhigend.

„Urbane Parallelen – Düsseldorf/Haifa“: bis 28.4. Stadtmuseum, Düsseldorf, Di-So 11-18 Uhr

1 Kommentar

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Was für eine Schreckensmeldung. Wieder ein neuer verschwundener Ort.
Und ein Besuch der Ausstellung ist fest eingeplant.

Danke für den Tipp

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