Sina Klein im Interview – „Die Poesie ist immer ein Versuch der Intervention“

Lange Jahre war die Dichterin Sina Klein Bestandteil der Düsseldorfer Literaturszene. Sie gehörte zum Autorenkollektiv „Sonny Wenzel & Freunde“, war Redaktionsmitglied des Literaturmagazins Proto und las ihre Texte im Salon des Amateurs oder im Onomato Künstlerverein. Vor einiger Zeit nun hat die 35-Jährige Düsseldorf den Rücken gekehrt und ist nach Wien gezogen. Im dort ansässigen Klever Verlag erschien Mitte Mai auch ihr zweiter Lyrikband mit dem Titel „skaphander“. theycallitkleinparis hat mit Sina Klein gesprochen.

 

Dein erster Gedichtband „narkotische kirschen“ erschien 2014. Vier Jahre später kommt der Nachfolger. Bist du eine langsame Dichterin?
Nein und ja. Meine Gedichte brauchen ihre Zeit, sich so zu setzen, wie sie dann stehen, für sich und zueinander. Ich gebe auch gern Work in Progress raus, bei Lesungen oder in Literaturmagazinen, da so ein Stück weit der Entstehungsprozess sichtbar wird. Schnell und langsam sind aber Kategorien, die sich während der Arbeit für mich nicht auftun, da ich finde, sie definieren in erster Linie den Buchmarkt und vielleicht auch den Rhythmus, in dem wir leben und konsumieren. Die Poesie selbst ist gewissermaßen zeitlos und macht sich rar von alldem. Ich habe überdies mal gehört, es dauere sechs Wochen, bis man eine einzelne Informationen in seinem Hirn verarbeitet, insofern arbeite ich vielleicht recht organisch.

Der neue Band trägt den Titel „skaphander“. Das Wort dürfte nicht jedem geläufig sein. Es bezeichnet einen Schutzanzug für extreme Druckverhältnisse, wie ihn zum Beispiel Raumfahrer tragen. Warum hast du dich für den Titel entschieden? Und wie steht er im Verhältnis zu deinen Gedichten?
Das Wort Skaphander ist, soweit ich weiß, in den Sprachen des Ostens präsenter und ich bin in Wien über das Ungarische darauf gestoßen. Eigentlich ist es ein Kunstwort aus griechisch skáphē und andros und bezeichnet den „Hohlraum Mensch“, was mich im Zusammenhang mit unserem Umgang mit Digitalität interessiert hat. Höhlt uns das Anfüttern sozialer Netzwerke und der eigenen Blasen vielleicht eher aus oder ist das Gegenteil der Fall? Sind wir jetzt verbundener miteinander oder weiter voneinander entfernt? Mit wem sprechen wir, wenn wir was posten? Wie kommt es, dass sich ein Wort wie ghosten, also das unverbindliche und stillschweigende Verschwinden aus dem Leben anderer, seit einiger Zeit im Sprachgebrauch durchsetzt?
Der Skaphander macht für mich auch lautlich einen Raum auf, er besteht aus diversen Hüllen und Schichten. Der Aufbau des Buchs gleicht deswegen dem einer Zwiebel. Angefangen beim Computer selbst, der sich um die digitalen Identitäten schließt, über die Idee dieses Schutzanzugs in Drucksituationen, paradoxerweise dann wieder ein Rückzugsraum auch vor einem Zuviel an Information, bis hin zur Haut als Skaphander, die, wenn sie sich verschließt, keine direkte Berührung mehr zulässt.

Ich habe gerade ein Interview mit Florence Welsh gelesen, der Sängerin von Florence + the Machine. Sie hat erzählt, dass sich ihre sehr intimen Songtexte in dem Moment verändern, wenn sie sie vor Publikum singt. Sobald man die Texte teile, deute jeder Hörer das für sich um. Aus etwas Intimem werde so Allgemeingut. Ist das bei dir und deiner Lyrik ähnlich in dem Moment, in dem du sie vor Publikum vorträgst?
Ich finde sehr schön, dass du das erwähnst, weil es mich umtreibt. Ich habe durchaus den Eindruck, dass das Intime zum Universalen führt. Nicht unbedingt nur im Vortrag, sondern auch schon im Entstehen, in der Schrift. Allgemeingut, wobei ich das etwas zu funktional ausgedrückt finde, wird ein Gedicht für mich unter Umständen schon im eigenen Wohnzimmer. Weil es immer etwas anderes von mir will, als ich von ihm. Weil es mir etwas zeigt, von dem ich den Eindruck habe, es käme nicht von mir, was ja auch stimmt, da immer auch die Stimmen der Anderen in einem präsent sind. Beim Vortragen geht es mir dann um die Resonanz mit dem Einzelnen, die mich wieder zur Intimität zurückführt, zu einem Gespräch unter vier Augen im öffentlichen Raum, könnte man sagen.

Wie waren die Reaktionen auf „skaphander“?
Es gab bisher zwei Besprechungen, eine von Michael Braun und eine von Jonis Hartmann, die ganz unterschiedliche Aspekte hervorgehoben haben, die mir beide wichtig sind, grob gesagt: Liebe vs. Digitalität, und es freut mich, dass der Band sich für diesen größeren Zusammenhang öffnet und unterschiedliche Lesarten ermöglicht. Bei den Lesungen gab es immer wieder diese Resonanzmomente, sei es mit Leuten, die ich noch nicht kannte, mit langjährigen Freunden in Berlin oder hier in Wien mit Menschen, mit denen viel Austausch da ist und deren Sätze mitunter den Kern von „skaphander“ ausmachen.

Du hast 2007 mit dem Dichten begonnen. Gab es so etwas wie einen Auslöser?
Ich erinnere mich an Suchbewegungen und Küchentische, Gedichtversuche, und daran, wie ich mit siebzehn die Waschmaschine beim Schleudern beobachtet und dabei versucht habe, Sätze in meinem Kopf zu sortieren. Die, die auf dem Papier standen, haben mir nicht gepasst. Ich habe immer Tagebuch und vor allem Briefe geschrieben, das waren eigentlich meine Ausgangspunkte. Ab 2008 kamen dann Lyrik-Seminare an der Uni hinzu. Ich fing an, selbst mehr Gedichte zu lesen und habe gemerkt: Das ist die Art und Weise, in der ich mich ausdrücken möchte oder könnte, weil mich die Gedichte anderer beim Lesen so unmittelbar erwischen, so, als wäre ich selbst das Gedicht, das Du und die Welt, alles gleichzeitig. Mich interessieren aber auch sehr die Gestaltungsmöglichkeiten und die Mehrfach-Lesarten auf kleinerem Raum, Verschränkungen, die aus Beschränkungen entstehen, der Vers an sich.

Verfasst du ausschließlich Lyrik oder hast du dich auch schon in anderen Textformen versucht?
Wenn nicht Briefe, Notizen, lose Sätze oder Tagebuch, dann Gedichte, ja. Oft denke ich, meine Kurzsichtigkeit hinge mit diesem Genre zusammen, aber nicht, weil die Poesie so kurz greifen würde, sondern, weil ich mit diesem Kanal und auch dem Detail etwas anfangen kann. Vielleicht kommen Brief und Poesie in meinen Gedichten auch zusammen. Ich frage mich gerade, ob nicht das persönliche, verbindliche Sprechen zu jemandem wieder mehr zum Tragen kommen könnte, denn das Intime ist ja immer auch politisch an sich.

Du hast 32 Jahre in Düsseldorf gelebt, bevor du vor einiger Zeit nach Wien gezogen bist.
Ich bin lange gependelt zwischen Düsseldorf und Wien, seit 2015 etwa, und immer mit dem Nachtzug. Die Wiener sagen, es dauere fünf Jahre, bis man in Wien ankäme. Die Entscheidung war intuitiv, wie alle anderen guten Entscheidungen auch. Die Stadt ist für mich nach 32 Jahren eine andere Schnittstelle, die mir mehr Zugang und Verständnis für Sprachen und zu Kulturen ermöglicht, die in meiner Schulzeit und auch später in meinem Studium nicht im Mittelpunkt standen.

Hat die Ortsveränderung dir als Schreibender eine Art Schub gegeben?
Ich bewege mich mehr als vorher in Düsseldorf; zwischen Berlin, Wien, Ungarn und Rumänien, loser irgendwie, weniger zuhause, aber sehr familiär dennoch. Schübe mit dem Schreiben hatte ich sowohl in Düsseldorf als auch hier und dann auch wieder nicht. Vielleicht sehe ich jetzt mehr, aber nicht wegen Wien per se, also dem Ort, an dem ich neu angekommen bin, sondern wegen der Tatsache, dass ich einen Ort verlassen habe.

Man stellt sich vor, dass Wien für eine beizeiten schwermütige Dichterin wie dich ein gutes Pflaster sein könnte. Ist dem so?
In Wien fasse ich leichter Mut, weil die Stadt mir viele neue Perspektiven eröffnet. Schwermütig machen mich allenfalls Regierungen, auch hier natürlich.

In Düsseldorf schwächelt die literarische Szene ja schon seit vielen Jahren. Für hiesige Autoren hält die Stadt nicht allzu viele Möglichkeiten bereit. Ist das in Wien anders? Gibt es viele unterschiedliche Autoren? Und lässt man ihnen eine Förderung angedeihen?
Wien hat vielleicht einen noch etwas selbstverständlicheren Umgang mit Literatur, der sie dann zugänglicher macht. Die meisten Veranstaltungen in dem Bereich sind eintrittsfrei, was ja heißt, dass sie von anderer Stelle aus mitermöglicht werden. Auch in Düsseldorf hatte ich aber immer wieder Gelegenheit, selbst etwas zu gestalten oder andere Poesie, Geschichten und Theorie zu hören, zum Beispiel beim „Literaturclub“ im Salon des Amateurs, damals mit Alexander Konrad, Enno Stahl, Swantje Lichtenstein und anderen. Oder bei den „Poetischen Begegnungen“ im Onomato Künstlerverein, die Frauke Tomczak organisiert und die wohl nach wie vor immer wieder stattfinden. Darüber hinaus haben mir persönlich die Arbeitsstipendien der Kunststiftung NRW, die ja auch in Düsseldorf sitzt, sehr dabei geholfen, meine beiden Bücher zu realisieren. Hier in Wien finden wiederum regelmäßig Autoren-Treffen statt, für die sich zum Beispiel Robert Prosser sehr engagiert. Da gibt es einen regen Austausch zwischen österreichischen Autoren mit immer auch anderen, die gerade vor Ort sind. Was Förderungen betrifft, besteht in Wien auch die Möglichkeit, beim Magistrat Literaturstipendien zu beantragen, wenn man lange genug in der Stadt lebt.

Wie wichtig ist dir der Austausch mit anderen kulturellen Disziplinen?
Performance im Allgemeinen wird für mich als Medium immer wichtiger gerade. Als „skaphander“ entstand, habe ich parallel viel Musik gehört zum Beispiel, das ist schon zentral, ja. Das Visuelle begleitet mich auch; das Poetische ist ja überall gleichzeitig.

Wie häufig bist du heute noch in Düsseldorf?
Ich bin nach wie vor häufig in der Stadt und nebenanst in Köln, um meine Familie zu treffen. Eine Zeitlang war der Nachtzug für mich ein Ort, nämlich der Nicht-Ort an Passau, der es Menschen ohne Pass entweder ermöglicht oder es ihnen eben nicht ermöglicht, ein- oder weiterzureisen. Ich schreibe darüber auf einem Treppchen um zwei Uhr in der Früh, wenn ich mich nicht anders äußern kann dazu. Die Poesie ist also auch immer ein Versuch der Intervention.

Letzte Frage: Was vermisst du in der Ferne am meisten an Oberbilk?
An Oberbilk vermisse ich Noah und die Büdchen.

Der Gedichtband „skaphander“ ist im Klever Verlag erschienen.

Lesung: 30.8., 20 Uhr, Onomato Künstlerverein, Birkenstr. 97, Düsseldorf

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