Dr. Michael Kopatz im Interview – „Alle wollen Klimaschutz, aber nur wenige möchten den Anfang machen“

95 Prozent der europäischen Bürger geben an, dass ihnen Umweltschutz wichtig ist. Aber nur sehr wenige handeln dementsprechend. Warum klafft zwischen Wollen und Tun eine so große Lücke? Und vor allem, wie kann man sie schließen und ganz ohne umweltmoralische Appelle Öko zur Routine machen? Das hat der Sozialwissenschaftler Dr. Michael Kopatz in seinem Buch Ökoroutine untersucht. Am 28.10. ist er in Düsseldorf, wo er im Rahmen des Heldenmarkts einen Vortrag hält. theycallitkleinparis hat mit Kopatz gesprochen.

Du hältst am Freitag einen Vortrag im Rahmen des „Heldenmarkts“. Wie viel Aufmerksamkeit versprichst du dir in diesem Rahmen, in dem es ja vorrangig um Konsum geht?

In der „Ökoroutine“ geht es ja auch um Konsum. Ich hoffe auf viele Zuhörer, damit sich die zentrale Botschaft des Buchs verbreitet.

Was genau meinst du mit dem Begriff „Ökoroutine“?

Ich werbe dafür, die Strukturen zu ändern, statt die Menschen. Also beispielsweise die Bedingungen im Stall zu verbessern, statt die Moral am Küchentisch zu beeinflussen. So kann Öko zur Routine werden. Appelle allein verändern unsere Gewohnheit nicht. Sie ist neuronal zu tief verankert.

Die überwiegende Mehrheit der Bundesbürger begrüßt artgerechte Tierhaltung. Trotzdem kaufen viele von ihnen Billig-Fleisch. Auch der Klimaschutz ist den meisten Menschen ein Anliegen. Trotzdem wird so viel geflogen wie nie zuvor. Warum klaffen Wollen und Handeln so weit auseinander?

Das erkläre ich in den ersten beiden Kapiteln des Buches. Es gibt verschiedene systemische, aber auch individuelle Bremsfaktoren. Einer lautet ganz banal: Alle wollen den Klimaschutz, aber nur wenige möchten „allein“ den Anfang machen. Der Effekt ist im Mikrokosmos betrachtet vernachlässigbar, wenn alle weiter machen wie bisher. Individuell betrachtet mag das rational sein, kollektiv führt diese Denke zu einem irrationalen Ergebnis.

Als Beispiel für einen bereits vollzogenen Wandel bringst du das Rauchen. Was genau hat sich diesbezüglich in unserem Bewusstsein verändert und wie kam das?

Als ich 14 Jahre alt war, kam es häufig vor, dass Eltern im Auto geraucht haben und hinten saßen die Kinder. Heute regen sich die Leute über so etwas auf. Unser Bewusstsein und der Handel, ja unsere Kultur hat sich durch einen Wandel der Strukturen geändert. Rauchen wurde teurer, Werbung eingeschränkt und verboten, auf den Schachteln schockieren grausame Bilder und selbst in den Oktoberfestzelten herrscht ein strenges Rauchverbot.

Trotzdem hat das Thema Rauchverbot hohe Wellen geschlagen. Von der Raucher-Lobby wurde auch gerne der Freiheitsbegriff strapaziert. Wie verhindert man, dass sich die Menschen bevormundet fühlen oder gar von oben gegängelt?

Die Geschichte der Zivilisation ist letztlich eine Geschichte der Entwicklung von Regeln. Sicher, die gesetzliche Anschnallpflicht oder die Rentenversicherung sind ein Eingriff in unsere Freiheitsrechte. Doch wer möchte solche Standards und Regeln abschaffen? Wenig begrüßenswert wäre es wohl auch, wenn wieder mehr Schadstoffe in unseren Lebensmitteln sein dürften.

In Düsseldorf diskutierte man unlängst über einen autofreien Sonntag. Ein Vorschlag, den du auch in deinem Buch machst.

Mindestens vier autofreie Sonntage sollte es im Jahr geben. Und zwar ganz autofrei, zumindest in der gesamten Innenstadt. Natürlich werden sich darüber einige aufregen. Aber die meisten werden die erholsame Ruhe und Sicherheit genießen.

In den vergangenen Jahrzehnten wurde viel investiert in Bildung und Aufklärung der Verbraucher. Provokant gefragt: War das alles für die Katz?

Nein. Sie hat die zurückliegenden Fortschritte beim Umweltschutz erst möglich gemacht. Doch nun hat sich das Aufgabenfeld verändert. Ziel von Bildung sollte jetzt auch sein, auf die Macht der Strukturen, etwa in Form von Limits, Standards und Steuern hinzuweisen. Schüler sollten lernen, dass es nicht damit getan ist, gelegentlich eine Biomilch zu kaufen. Umweltschutz erfordert Engagement. Auf allen Ebenen.

Die Rahmenbedingungen zu ändern, wäre die Aufgabe der Politik. Welche Verantwortung trägt der einzelne Bürger?

Die Politik kann nur so weit gehen, wie die Wählerinnen und Wähler mitziehen. So funktioniert Demokratie. Es liegt an uns, strukturelle Veränderungen einzufordern und dafür zu werben.

Hast du persönlich die Lebensstilwende bereits vollzogen? Wie lebst du? Ohne Auto? Ohne Fliegen? In einem WG-Zimmer?

Wir wohnen zu viert auf 120 Quadratmetern. Wir verbrauchen extrem wenig Gas, weil ich das Haus gut isoliert und mit eine Lüftungsanlage versehen habe. Ein eigenes Auto hatte ich noch nie. Na ja, wir achten auf viele Sachen. In Kurzform: Unser CO2-Ausstoß liegt bei fünf Tonnen pro Kopf, also die Hälfte vom Durchschnitt.

28.10., 12 Uhr, Heldenmarkt, Alte Schmiedehallen (Vortragsraum), Düsseldorf

1 Kommentar

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Wenn man mittlerweile den Autoverkehr in der Stadt erlebt, dann wünscht man sich wirklich so einige autofreie Sonntage.

ich empfinde es als Wahnsinn, wenn die Leute Samstag nachmittag über die Heinrich-Heine Allee stauen, in der Hoffnung, in irgendeinem der parkhäuser noch einen Parkplatz zu finden.
Anstatt einfach Park&Ride zu nutzen, schließlich ist Düsseldorf eigentlich sehr gut auch über den Nahverkehr zu erreichen.

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