Bier-Sommelier Ingo Wagner im Interview – „Ginsengale fand ich wirklich widerlich“

Die Liebe zum Bier wurde Ingo Wagner quasi in die Wiege gelegt: Geboren in der fränkischen Schweiz, liebäugelte er nach dem Abitur zunächst mit einer Ausbildung zum Brauer. Daraus wurde letztendlich nichts. Stattdessen ließ sich Wagner in Belgien zum Bier-Sommelier schulen. theycallitkleinparis hat mit dem Mann mit dem weiten Bier-Horizont gesprochen.

Ingo, wie wird man Bier-Sommelier?
Ich bin in der Fränkischen Schweiz geboren, einer Region, in der Bier eine große Rolle spielt. Mit 20 habe ich über eine Ausbildung zum Brauer nachgedacht, aber es gab nur einen Ausbildungsplatz bei der falschen Brauerei – also bei der, deren Bier ich nicht mag. Eine befreundete Braumeisterin hat mir dann vorgeschlagen, einen Bier-Sommelier-Kurs zu absolvieren. Das habe ich auch gemacht, während ich in Brüssel gelebt und gearbeitet habe, das war von 2011 bis 2019. Dort habe ich über zwei Jahre einen wöchentlichen Bier-Sommelier-Kurs besucht – und das zu meinem Hobby gemacht.

Was lernt man in der „Ausbildung“?
Los geht’s mit Geschichte und Warenkunde. Welche Rohstoffe werden genutzt, welchen Einfluss hat das Brauwasser, welches Getreide und welche Malzsorten kommen zum Einsatz, was machen eigentlich die Hopfensorten und welche Hefetypen haben diesen oder jenen Effekt. Dabei geht es auch ziemlich viel um Chemie, Physik und Biologie. Danach geht es um den technischen Brauprozess, bevor die vielen Bierstile, ihre Geschichte und ihre Besonderheiten dran sind. Und ab da wird es richtig spannend, weil es dann um Verkostung und geplante Tastings geht. Welche Grundgeschmäcker gibt es, was zeichnet ein balanciertes Bier aus, was sind Fehlgeschmäcker und wann sind die vielleicht sogar gewollt. Guinness oder Pilsner Urquell schmecken zum Beispiel etwas nach Butter. Wenn das aber bei einem Jever passiert, dann ist was schiefgelaufen. Man lernt, in welcher Reihenfolge man Bier trinken kann oder sollte. Und dann folgt die Krönung. Welche Bierstile passen zu welchen Lebensmitteln – und welches Bier passt zu welchem Gericht.

Dazu kommen wir später noch. Zunächst mal: Bei welchen Anlässen bist du als Bier-Sommelier im Einsatz?
Ich bin größtenteils in privatem Rahmen unterwegs. In Brüssel war ich regelmäßig im Freundeskreis oder für Besuchergruppen aus Deutschland als Bier-Sommerlier im Einsatz, außerdem habe ich mit zwei Freunden zusammen eigene Tastings oder Pairings, also die Kombination von zum Beispiel Bier und Speisen, gegeben. In Düsseldorf kam dann wenige Monate nach dem Umzug Corona dazwischen und die Kontakte waren dann einfach noch nicht da. Inzwischen mache ich wieder mehr oder weniger regelmäßig Tastings im privaten Rahmen, zum Beispiel für Geburtstage, aber auch mal Bier&Wein-Tastings mit Freunden aus dem Weinfach. In Deutschland ist das aber rechtlich etwas schwierig, da außerhalb des privaten Raums die Grenze zum gewerblichen Verkauf von Lebensmitteln schnell erreicht ist. Es braucht also entweder eine:n Partner:in mit Gewerbe oder muss im privaten Raum stattfinden.

Wie genau muss man sich deine Tätigkeit vorstellen?
Die eine Sache ist das eigene Wissen. Ich bin immer auf der Suche nach neuen oder mir unbekannten Bieren. Wenn ich zum Beispiel im Urlaub bin, suche ich mir die Brauereien und Brauhäuser in der Ecke raus und versuche die zu besuchen. Wichtig ist dabei auch immer das Gespräch mit den Brauer:innen oder Wirt:innen. Die andere Sache sind die Tastings oder Pairings. Da schaue ich, welche Leute dabei sind, wie viel bekannt ist und welche Biere zu der Gruppe passen würden. Und natürlich spielt das Budget eine Rolle. Wenn es ein Menü gibt, steht immer zuerst das Menü. Ich suche dann passende Biere raus, die auch in der Folge aufeinander abgestimmt sind, also zum Beispiel von wenig zu mehr Alkoholgehalt oder von leichter zu intensiv, von heller zu dunkler. Dazu braucht es schon einiges an Recherche und teilweise auch den Austausch mit anderen Expert:innen. Dann müssen die Biere organisiert werden, es braucht Gläser, Kühlmöglichkeiten, Bewertungsbögen, Rohstoffproben und noch einiges an Zubehör. Vor Ort führe ich dann durch den Abend. Dabei stehen natürlich die Biere, ihr Profil, die Geschichte dahinter und der „richtige“ Genuss im Mittelpunkt. Es geht dabei auch um den Brauprozess und Facts & Figures. Aber ich bin auch eine Art Geschichtenerzähler und baue interessante oder lustige Gegebenheiten rund ums Bier und die ein oder andere Sage ein.

Sind es eher Biere kleiner innovativer Craftbeer-Brauereien, die du empfiehlst, oder kann durchaus auch mal ein Bier einer großen Brauerei dabei sein, das man in jedem Supermarkt bekommt?
Also Biere von deutschen Großbrauereien sind im Grunde nie dabei. Wenn es um ein spezifisches Land geht, kann das anders sein. Ein Tasting zu tschechischen Bieren ist ohne Pilsner Urquell oder Budweiser Budvar einfach nicht vollständig. Wenn es um deutsche Biere oder eine internationale Mischung geht, sind aber häufig Biere dabei, die in einem gut sortierten Getränkemarkt zu finden sind. Für manche Biertypen gibt es mittlerweile Beispiele, die relativ gut erhältlich sind. Und für die Gruppe ist es natürlich schöner, wenn zumindest ein Teil der Biere im Nachhinein zu bekommen ist. Größtenteils arbeite ich aber mit Bieren von kleineren Brauereien oder mit Bierstilen, die den Menschen unbekannt sind, wie mit dem belgischen Bière de Saison. Die dazugehörigen Brauereien sind fast immer Handwerksbrauereien, die viel Liebe und Zeit in ihr Produkt stecken. Das heißt nicht, dass sie das sind, an was man landläufig denkt, wenn man den Begriff „Craftbeer“ hört, also irgendwelche Typen mit Bart, die vor allem super bittere Biere mit gewagten Zutaten brauen. Ich kredenze zum Beispiel gerne echtes belgisches Oude Kriek, also geschütztes Kirschbier nach alter Brauart. Ein Hefeweizen mit Mangosaft kommt sicher nicht zum Einsatz, auch wenn ich es selbst probiere. Wenig überraschend ist wahrscheinlich, dass ein großer Fokus auf belgischen Bieren liegt, deren Vielfalt weit über das Angebot im deutschen Supermarkt oder auf der „Benrather Bierbörse“ hinausgeht.

Kann man grundsätzlich zu jeder Speise ein begleitendes Bier empfehlen?
Kurze Antwort: ja.

Dann lass uns das doch gleich mal anhand von ein paar Beispiel-Gerichten testen. Welches Bier würdest du zum Kaiserschmarrn empfehlen?
Grundsätzlich kommt es natürlich immer auch auf die Zubereitung an. Und andere Ideen habe ich auch immer. Beim Kaiserschmarrn kann ich mir – ohne lange zu grübeln – zwei Stile gut vorstellen. Eher traditionell und auch in der Heimat des Kaiserschmarrns gebraut wäre ein dunkles Bockbier. Die Süße matcht mit der Süße des Kaiserschmarrns, der höhere Alkoholgehalt schneidet aber durch die Schwere des Desserts. Eher unkonventionell wäre ein Oude Kriek. Zucker hat das Bier fast keinen mehr, aber die Fruchtnote passt zum Dessert und die Säure hebt die Schwere an.

Und zur Miso-Suppe?
Die Suppe ist ja schon ziemlich geschmacksintensiv. Deswegen bietet sich ein Bier mit viel Kohlensäure an, um den Mund immer wieder frei zu kriegen und aufs Neue genießen zu können. Japanische Biere sind meistens Lagervarianten, bringen zwar Kohlensäure, aber selbst wenig Eigengeschmack, was der Übung nicht gerecht wird. Ohne längeres Nachdenken würde ich wohl entweder ein leichtes Bière de Saison oder ein Pale Ale mit viel Kohlensäure wählen.

Mit welchem Bier würdest du die Currywurst kombinieren?
Das kommt jetzt ein wenig auf die Schärfe an. Ganz bodenständig wäre ich aber beim Export. Wenn man ein wenig experimenteller unterwegs ist, darf es auch ein belgisches Tripel sein.

Und den Seeteufel?
Puh, jetzt hast du mich erwischt! Ich musste erst mal nachschlagen, was denn Seeteufel so ausmacht. Da er wenig Fett hat, würde ich ein Bier mit weniger Alkohol, begrenzter Kohlensäure und geringer ausgeprägter Hopfung dazu trinken. Da käme zum Beispiel ein belgisches Lambiek in Frage.

Du braust auch selbst. Was gefällt dir an der Idee, Bier herzustellen?
Ich mag den Prozess. Sich vorher Gedanken über den Stil machen, die Rohstoffe wählen, die Rezeptur festlegen. Und dann Schritt für Schritt zum Bier kommen. Maischen, Läutern, Kochen, fix Abkühlen und dann das Warten auf das fertige Produkt bis zum Genuss (meistens zumindest).

Alt oder Kölsch? Oder gar beides?
Lieber Alt. Aber in Kölschland dann auch mal das andere.

Flasche oder Dose?
Für den normalen Gebrauch Flasche. Die Dose hat aber den Vorteil, dass sie das Bier besser vor Licht schützt. Bei kleineren Brauereien ist das oft von Vorteil.

Auf dem Biermarkt gibt es mittlerweile kaum noch etwas, was es nicht gibt. Bier mit Kürbis- oder Pomelo-Geschmack sind nur zwei Beispiele. Welches ist das ungewöhnlichste Bier, das du je getrunken hast?
Ungewöhnliche Biere habe ich viele getrunken. Was im ersten Moment aber ungewöhnlich klingt, funktioniert im Geschmack dann teilweise richtig gut. So wie bei Sauerbieren. Wirklich widerlich fand ich hingegen Ginsengale. Ginseng kenne ich noch von meinen Großeltern und fand das noch nie lecker. Es schmeckt für mich einfach nach süß-bitterer Erde. Das Bier war dazu auch noch sehr dünn, aber sehr alkoholisch. Das hat wie verdünnte Medizin geschmeckt. Kein gutes Match zu dem dazu angebotenen Burger…

Was trendet momentan im Bier-Bereich?
Tatsächlich alkoholfreies und alkoholarmes Bier. Früher war es echt schwierig, ein gutes alkoholfreies Bier zu bekommen. Dann kamen die alkoholfreien Weizen und danach haben immer mehr Brauereien nachgezogen. Es sind immer noch viele alkoholfreie Biere zu süß, aber zugleich gibt es immer mehr wirklich gute. Und weil die Herstellungsverfahren günstiger werden, ziehen auch immer mehr mittelgroße Brauereien nach.

Wie ist es um die deutsche Bier-Landschaft bestellt?
Die Energiepreise und die Zurückhaltung der Menschen machen dem Sektor schon zu schaffen. Auch in Oberfranken, immerhin die Region mit der höchsten Brauereidichte weltweit, schließen immer mehr Brauereien. Gleichzeitig ist die Vielfalt aber enorm, dafür muss man gar nicht immer nach Belgien schauen. Nordpils (Jever), Südpils (Tannenzäpfle), Helles, Wiener Lager, Märzen, Rotbier, Landbier, Kellerbier, Zoigl, Zwickel, Hefeweizen, dunkles Weizen, Rotbier, Braunbier, Schwarzbier, Gose, Alt, Kölsch, Export, Berliner Weisse, Bock, Doppelbock, Maibock sind noch nicht mal alle Bierstile, die hier verbreitet sind.

Und wie sieht es international aus, welche sind die großen Bier-Nationen?
Vom Verbrauch pro Kopf her? Tschechien, Polen, Deutschland und Österreich.

Allerletzte Frage: Mal angenommen, du könntest den Rest deines Lebens nur noch ein Bier trinken, welches wäre das?
Das wäre ganz schön traurig. Wie so oft macht es ja die Vielfalt aus.

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