Omid Gudarzi im Interview – „Ein inspirierendes Umfeld“

Die Kernkompetenzen der Mintropstraße sind seit jeher Zocken und Table Dance. Der Kiez ist einer der härteren der Landeshauptstadt, geprägt durch Obdachlosigkeit, Drogen und Rotlicht. Omid Gudarzi lebt seit 1976 fast ununterbrochen in der Nachbarschaft. Nicht alles, was vor ihrer Haustür passiert, gefällt ihr. Deshalb hat sie 2020 gemeinsam mit einigen anderen Anwohner:innen die Initiative Mintrop-Kiez ins Leben gerufen. theycallitkleinparis hat mit Gudarzi gesprochen.

Omid, du hast 2020 die Initiative Mintrop-Kiez gegründet, seit 2022 gibt es zusätzlich den Verein Mintropolis. Was waren die Gründe, die Initiative beziehungsweise den Verein zu gründen?
Ich finde, als politischer Mensch reicht es nicht, zur Wahl zu gehen. Ich muss mich auch aktiv beteiligen. Ich kann mich nicht auf die Position zurückziehen, dass ich meine Steuern zahle und alles Weitere die Politiker:innen machen lassen. Ich kann mich nicht ausschließlich beschweren, sondern muss mir auch überlegen, was man ändern kann, welche Vorschläge ich selbst einbringen kann.
Meine Nachbarin Martina Klinkhammer, mit der ich das Ganze maßgeblich begonnen habe, habe ich auf der Straße kennengelernt. Wir kamen ins Gespräch darüber, dass es in unserem Viertel sehr schmutzig ist, und haben daraufhin überlegt, wie man die Situation – abgesehen davon, sich über die Awista zu beschweren – verbessern kann. Wir haben im Viertel um sogenannte „Straßenpaten“ geworben, die eine Art Qualitätskontrolle leisten. Wenn die Awista bis zu einer bestimmten Uhrzeit nicht da war, melden sie das. Dann wird noch ein Wagen rausgeschickt. Ein anderes Ärgernis für uns Anwohner:innen war lange der Kleidercontainer am Mintropplatz, der häufig geplündert wurde und in den noch dazu immer wieder Betrunkene gekrabbelt sind. Das ist total gefährlich, gerade wenn es niemand mitbekommt! Wir haben diesen Missstand immer wieder angemahnt. Irgendwann haben wir die Situation vor Ort über mehrere Wochen fotografisch dokumentiert. Als wir diese Bilder weitergaben, wurde der Kleidercontainer endlich abgeholt. Seitdem sieht der Platz nicht mehr so verdreckt aus, man hat aber auch einen freieren Blick. Das sind so Mini-Erfolge.

Was genau versteht ihr unter Mintrop-Kiez, welche Straßen zählt ihr außer der Mintropstraße noch dazu?
Stresemannplatz, Mintropplatz, Adersstraße, Luisenstraße, Scheurenstraße. Wenn man sich das bei Googlemaps anschaut, sieht unser Kiez aus wie ein kleines Kuchendreieck.

Foto: Markus Luigs

Mit dem Kiez verbinden viele Düsseldorfer in erster Linie Obdachlose, Drogenabhängige und auch Rotlicht-Milieu. Was macht die Gegend für dich lebens- und liebenswert?
Die Bewohnerschaft ist sehr divers – und zwar in jederlei Hinsicht. Alter, Nationalität, sexuelle Ausrichtung. Du hast hier alles. Natürlich auch, das möchte ich gar nicht unter den Tisch fallen lassen, ein gewisses kriminelles Potenzial. Aber das hat ja auch seinen Reiz, solange es nicht brutal wird. Im Kiez leben interessante Menschen, viele Künstler:innen und Musiker:innen, es ist alles andere als langweilig oder spießig. Ein inspirierendes Umfeld.

Wie hat sich die Gegend rund um die Mintropstraße im Laufe der vergangenen Jahrzehnte entwickelt?
Das Rotlichtmilieu rund um die Mintropstraße habe ich schon als Heranwachsende mitbekommen (Gudarzi ist 60, Anm. d. Red.). Der Vater meines damaligen Freundes war regelmäßiger Gast im „Sportrestaurant Mehl“. Das wurde in den 1950er Jahren von einem ehemaligen Spieler von Fortuna Düsseldorf betrieben. Da trafen sich die unterschiedlichsten Leute: Luden, Prostituierte, dubiose Gestalten, aber auch Rechtsanwälte – eine schräge Mischung. Mein damaliger Freund und ich sind häufig in den Laden gefahren, um für seinen Vater Froschschenkel zu besorgen. Die gab es nämlich da. Damals war das Rotlicht-Milieu in der Gegend noch stärker vertreten als heute, es gab wesentlich mehr Table-Dance-Bars. Trotzdem war das Straßenbild extrem aufgeräumt, überhaupt nicht heruntergekommen. Ganz anders als heute. Ich habe schon den Eindruck, dass in den vergangenen Jahren ein regelrechter Verfall eingesetzt hat, stufenweise. Mein Eindruck war, dass die Stadtreinigung es ab einem bestimmten Punkt hier mit dem Saubermachen auch nicht mehr so genau nahm. Merkt ja niemand, beschwert sich niemand.
Das Verschwinden der Rotlicht-Bars hat natürlich viel damit zu tun, dass Pornografie und sexuelle Dienstleistungen sich mehr und mehr ins Internet verlagert haben. Dadurch ist das Bedürfnis in Live-Peepshows oder Table-Dance-Bars zu gehen, nicht mehr so groß. Im Moment gibt es auf der Mintropstraße drei Bars, die geöffnet sind: das „Klein-Paris“, das „Solid Gold“ und das „Tropical Nights“. Als ich 1997 auf die Adersstraße gezogen bin, wo ich bis heute wohne, habe ich mich in allen Rotlicht-Bars als neue Nachbarin vorgestellt. Der Typ vom „Manhattan“ sagte damals zu mir „Mädchen, wenn wat is’, sachse Bescheid!“ Ich bin zu der Zeit sehr viel ausgegangen und oft erst spät nach Hause gekommen. Das war aber nie ein Problem. Weil die Türsteher aufgepasst haben. Die waren untereinander vernetzt und haben Schwierigkeiten meist selbst geregelt, weil sie keinen Bock auf Polizei hatten.

Lass uns mal über das Thema Obdachlosigkeit sprechen, das ist ja eine Gruppe von Menschen, die im Viertel sehr präsent sind. Rund um die Mintropstraße gibt es zahlreiche Anlaufstellen für sie, darunter die Notschlafstelle auf der Graf-Adolf-Straße. Die Menschen, die nachts dort unterkommen, sammeln sich tagsüber auf dem Stresemannplatz, vor der ehemaligen Tankstelle.
Um das gleich mal vorwegzuschicken: Wir haben überhaupt nichts gegen Obdachlose. Die Menschen, die sich am Stresemannplatz treffen, sind Obdachlose ohne EU-Zugehörigkeit. Die fallen hier in Deutschland komplett durchs soziale Netz, weil sie keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Es ist also eine humanitäre Maßnahme der Stadt Düsseldorf, ihnen eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Wir als Initiative finden das großartig. Aber wir sehen auch, dass das Viertel auch ohne diese Menschen bereits ein gebeuteltes ist. Eine Gesellschaft kann nur ein gewisses Maß an Irregularität ertragen, bis die Situation kippt und in Frustration oder gar Aggression umschlägt. Um auf die Situation aufmerksam zu machen, haben wir einen Runden Tisch organisiert, mit Anwohner:innen und Geschäftsleuten. Es ging uns dabei darum, deutlich zu machen, welche Probleme wir wegen der Obdachlosen haben. Wir haben hier schon erlebt, dass Geschäftsleute Rübensaft auf die Bänke am Stresemannplatz geschmiert haben, damit die Menschen sich da nicht hinsetzen. Dennoch wollen wir keine Zäune errichten wie am Worringer Platz, das halten wir nicht für das richtige Mittel. Aber wir möchten die Hand heben und auf Probleme aufmerksam machen, der Politik klarmachen: Wenn ihr die Notschlafstellen so dicht beieinander ansiedelt, habt ihr auch eine Verantwortung für die, die diese Angebote in Anspruch nehmen. Ihr müsst euch überlegen, wo sie hin sollen, wenn die Nachtunterkünfte sie morgens raus kegeln. Es gibt hier in der Gegend drei Nachtunterkünfte, ich schätze mal, das sind bestimmt 180 Schlafplätze. Wir fordern eine Entzerrung, würden uns wünschen, dass eine Notschlafstelle anderswo untergebracht wird. In Bahnhofsnähe soll sie aber natürlich bleiben. Darüber hinaus wünschen wir uns mehr betreute Tagesaufenthalte für Obdachlose – und zwar niedrigschwellig, auch unter freiem Himmel, an denen auch Alkohol konsumiert werden darf. In anderen Städten gibt es so etwas schon. Und es funktioniert ziemlich gut.

Die Menschen, die sich tagsüber am Stresemannplatz aufhalten, hatten lange Zeit auch keinen Zugang zu einer Toilette.
Genau das war ein großes Problem. Viele haben ihre großen und kleinen Geschäfte direkt auf der Straße verrichtet. Wir als Initiative haben über ein Jahr dafür gekämpft, dass eine Öko-Toilette aufgestellt wird, die kostenlos genutzt werden darf. Seit Oktober 2022 ist die nun endlich da. Sie ist vornehmlich für die Obdachlosen gedacht. Allmählich nutzen sie das Angebot auch. Das hat aber eine ganze Weile gedauert. Zunächst haben sie gar nicht begriffen, dass das Angebot für sie ist. Das allein ist ja auch schon bezeichnend.

Foto: Markus Luigs

Ihr ladet auch regelmäßig Verantwortungsträger:innen ein und zeigt ihnen den Kiez. Wen denn zum Beispiel?
Claudia Roth von den Grünen hatten wir schon zu Gast und Bürgermeister Josef Hinkel. Außerdem den Bezirksbürgermeister Dietmar Wolf und den damaligen Polizeipräsidenten Norbert Wesseler. Die führen wir dann durch das Viertel und verweilen dabei bewusst länger auf dem Stresemannplatz, fünf bis zehn Minuten. Unsere Gäste fühlen sich dort, so unsere Erfahrung, sehr schnell unwohl. Die wohnen ja meist in ganz anderen Quartieren. Wir wünschen uns – und das haben wir auch Herrn Wesseler gesagt – mehr Polizeipräsenz. Und zwar nicht im Vorbeifahren, sondern in Form eines Beamten, der zu Fuß vor Ort ist.

Glaubst du eigentlich, dass es in diesem Kiez einen anderen Zusammenhalt unter den Menschen gibt als in einer saturierten Umgebung wie Urdenbach oder Angermund?
Nein, das glaube ich nicht. Das liegt auch daran, dass gar nicht so viele Menschen langfristig hier leben. Es gibt viele AirBnB-Apartments in der Gegend, dazu kommen die Geflüchteten, die eine Weile an der Graf-Adolf-Straße untergebracht waren. Das sind natürlich Menschen, die so mit ihrem eigenen Schicksal beschäftigt sind, dass wir sie mit dem, was wir machen, gar nicht erreichen. Aber bei denen, die schon länger hier wohnen, sehe ich einen Aufschwung. Die unterhalten sich plötzlich auf der Straße, weil sie sich über unsere Runden Tische kennengelernt haben.

Foto: Markus Luigs

Wir haben jetzt viel über das gesprochen, was im Viertel nicht funktioniert. Aber natürlich hat das Quartier auch gute Seiten. Angenommen, du solltest eine Tour für auswärtige Tourist:innen organisieren. Was würdest du denen zeigen?
Den Stresemannplatz, den die Künstlerin Tita Giese gestaltet hat. Die Ellington Bar. Ich würde sie oder ihn ins Hamam auf der Mintropstraße mitnehmen. Und die Kunst in der Unterführung Ellerstraße würde ich zeigen. Die ehemaligen Kling-Klang-Studios von Kraftwerk auf der Mintropstraße sind außerdem ein Muss. Und auf der Harkortstraße im Hinterhof gibt es ein Haus, in dem früher auch Künstlerateliers waren. Dort hatten unter anderem Gerhard Richter, Blinky Palermo und der Bildhauer Thomas Schütte ihre Ateliers. Heute sitzt in dem Gebäude das Büro des Künstlers Markus Ambach, der ja in der Vergangenheit auch schon mehrere Projekte in der Bahnhofsgegend realisiert hat.

Die Belebung des Kiez durch Kultur-Veranstaltungen gehört auch zu eurem Plan. Bisher gab es zwei Chanson-Abende in die Table-Dance-Bar „Tropical Nights“. Wie war das Interesse an dem Angebot?
An dem ersten Abend im Dezember waren ungefähr 30 Besucher:innen da, die kamen überwiegend aus unserem Kiez. Abgesehen von zwei Ehepaaren aus Pempelfort, ältere Herrschaften, die total neugierig auf den Laden waren. Die hatten in der „Rheinischen Post“ von der Aktion gelesen.

Das „Tropical Nights“ ist ja nicht die einzige rotlichtige Bar in der Gegend. Wie aufgeschlossen sind die Betreiber:innen für Veranstaltungen jenseits ihres Kerngeschäfts?
Christian, der Betreiber vom „Tropical Nights“, war sofort dabei, da musste ich gar keine Überzeugungsarbeit leisten. Mir war wichtig, dass uns als Verein durch die Veranstaltungen keine Kosten entstehen. Die Abende starten daher schon früh und damit zu einer Uhrzeit, zu der die Bar normalerweise noch nicht geöffnet hat. Wir machen nur eine Stunde Programm, dann starten die Tänzerinnen. Bis 21 Uhr, wenn der normale Betrieb startet, sind die Getränke billiger. Ein Bier kostet 5 Euro, ein Wein 4 Euro.

Was plant ihr für die Zukunft?
Mit Unterstützung des Stadtplanungsamts und der Hochschule Düsseldorf sind wir gerade dabei, eine Kartografie für ganz Düsseldorf zu erstellen. Durch Professoren der Hochschule Düsseldorf kamen wir auf die Idee, am Projekt sind sie nicht beteiligt. Wir möchten gerne erfassen, welche Anlaufstellen für Obdachlose und andere Menschen in prekären Lebenssituationen es an welchen Orten gibt und welche Träger sie betreiben. Ziel ist es, zwei bis drei Tagesaufenthalte in Bahnhofsnähe zu schaffen und betreiben zu lassen. Das ist ein sehr umfangreiches und wichtiges Projekt, das einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Außerdem soll unter der Regie von dem Galeristen Klaus Rosskothen auf unterschiedlichen Wänden eine Street Art Gallery im Kiez entstehen. Die Idee dazu kam übrigens von Josef Hinkel. Schrotträder sind ein weiteres großes Thema, davon gibt es bei uns im Viertel sehr viele. Beim Ordnungsamt ist aber tatsächlich nur ein einziger Kollege dafür verantwortlich. In der kompletten Stadt! Dass der mit der Arbeit nicht nachkommen kann, liegt ja auf der Hand. Auch da arbeiten wir an einer pragmatischen Lösung.

Da habt ihr ja ganz schön viel vor. Auf wie viele Schultern verteilt sich die Arbeit denn? Will sagen: Wie viele Menschen engagieren sich in der Initiative Mintrop-Kiez?
Das sind nicht viele (zählt an zwei Händen ab), sechs vielleicht. Wenn man Menschen gezielt für etwas anfragt, sind sie durchaus bereit, sich zu engagieren. Aber es braucht kontinuierlich Ansprache und Ideen. Wir sind keine Klagemauer. Wir suchen Leute, die mitmachen, sich für ihre direkte Umgebung engagieren möchten.

Was sind das für Leute?
Es ist eine Mischung aus Anwohner:innen und Geschäftsleuten. Ein Webdesigner, der Betreiber des Escape-Rooms am Stresemannplatz, eine Dramaturgin, ein Hotelbetreiber und Martina und ich. Wir beiden sind diejenigen, die am meisten mit der Stadt kommunizieren und für die strategische Ausrichtung von Initiative und Verein zuständig sind.

Du bist Filmemacherin, Redakteurin, Produzentin und Regisseurin. Wie viel Zeit investierst du für Initiative und Verein?
Das ist natürlich unterschiedlich, je nachdem, was gerade so anliegt. Aber im Schnitt sind es mindestens zehn Stunden wöchentlich.

Habt ihr keine Sorge, dass sich die Stadt aus der Verantwortung stiehlt?
Nein, unsere Erfahrungen sind genau umgekehrt. Die Stadt ist froh, wenn Leute sich nicht nur beschweren, sondern mit konkreten Vorschlägen um die Ecke kommen – und sogar bereit sind, die auch selbst umzusetzen. Im Vergleich zu jemandem wie dem Künstler Markus Ambach, der ja auch zur Graf-Adolf-Straße gearbeitet hat, sind wir eher die Praktiker, Hausmeister. Die Zusammenarbeit mit Politik und Verwaltung, das möchte ich noch mal ausdrücklich betonen, läuft übrigens in 95 Prozent der Fälle richtig gut.

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Alexandra Wehrmann hat einen ganz ausgezeichneten Schreibstil und dan sinterview ist wunderbar wiedergegeben. Eine kleine Anmerkung ist uns aber noch wichtig:
Bezirksbürgemeister des Stadtbezirks 3 Dietmar Wolf, kommt in diesem Artikel als Rundgangsbesucher unseres Erachtens zu kurz. Er ist sozusagen unsere Hebamme gewesen und hat uns bei unseren Ideen von Anfang an beratend zur Seite gestanden. Wir nennen ihn darum auch nach Maria Montessoris Motto: Hilf mir es selbst zu tun,- „Dietmaria“ Wolf.
Es grüßt herzlich die Initiative Mintrop-Kiez und Mintropolis e.V.

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