Markus Luigs im Interview – „Der Tausendfüßler war doch potthässlich“

Herr Luigs ist nicht zufrieden. Ausnahmsweise mal nicht mit anderen, sondern mit sich selbst. „Mich befriedigen meine Aussagen nicht“, sagt er mitten im Gespräch und kratzt sich hörbar an der Schulter. Wir sitzen in seinem Büro in Flingern. Draußen auf der Lichtstraße gehen Menschen von rechts nach links und von links nach rechts. Eine Mutter mit Kind. Ein junges gutaussehendes Paar. Und die „Wegräumer“ sind auch unterwegs, um für Sauberkeit im Veedel zu sorgen.

Markus, dein erster Bildband „Düsseldorfer Perlen“ erschien im Jahr 2017 – und war innerhalb von kurzer Zeit vergriffen. Sechs Jahre später planst du nun den Nachfolger. „Düsseldorfer Perlen 2“ soll im September kommen. Was hat den Anstoß gegeben, einen zweiten „Perlen“-Band herauszugeben?
Das war eine Begegnung mit einer Kundin. Sie ist bei mir im Büro vorbeigekommen, eigentlich um Fotos abzuholen, die sie bestellt hatte. Wir saßen dann zusammen und haben uns den ersten Band „Düsseldorfer Perlen“ angeschaut. Das war ein sehr schöner Moment, weil sie so begeistert von den Bildern war – und sich die Begeisterung in der Situation auch auf mich übertragen hat. Ich hatte mir das Buch vorher länger nicht angeschaut, an manche Fotos konnte ich mich gar nicht mehr erinnern. In dem Moment habe ich Lust bekommen, eine Fortsetzung zu veröffentlichen. Ich habe ja nicht nur 160 Bilder von Düsseldorf, so viele waren ungefähr in Band eins, sondern viel, viel mehr. Ich fotografiere die Stadt seit 15 Jahren.

Derzeit läuft ein Crowdfunding für „Düsseldorfer Perlen 2“. Mit dem Geld willst du die Druckkosten finanzieren, immerhin 18.000 Euro. Wie weit ist denn das Innenleben des Buchs gediehen?
Ich habe ungefähr 20 Seiten fertig, wo ich eine Rhythmik drin habe. Ich arbeite ziemlich intuitiv. Wenn das Crowdfunding durch ist, weiß ich, wie es geht. Momentan habe ich noch doppelt so viele Fotos, wie letztendlich ins Buch kommen werden. Ungefähr 350 werde ich zeigen. Momentan bin ich noch bei 700. Das muss ich also noch auf die Hälfte eindampfen.

In den 15 Jahren, die du Düsseldorf schon fotografierst, hat sich die Stadt kontinuierlich verändert. Neugestaltungen in Städten werden häufig heiß diskutiert, viele Menschen möchten, dass alles so bleibt, wie es ist. Wie siehst du das?
Ich finde Veränderung, gerade in Düsseldorf, meistens gut. Der Kö-Bogen 2 ist in meinen Augen, auch wenn das manchen überraschen mag, eine Verbesserung. Die Menschen nehmen die Neugestaltung doch auch wirklich an. Sie begehen das begrünte Dach des Ingenhoven-Gebäudes, sitzen auf den Außenterrassen, nutzen den Raum. Ist kann daran nichts Schlechtes finden. Es muss nicht alles bleiben, wie es ist. Veränderung hat eine Berechtigung. Schau dir doch mal Köln an. Wenn das heute noch so pittoresk wäre, wie es vor dem Krieg mal war, das wäre doch schrecklich. Jetzt ist die Stadt geprägt durch Architektur aus den 1950er und 60er Jahren. Ich finde das gut.

Auch in Düsseldorf sind viele Orte, die du für deinen ersten Bildband fotografiert hast, mittlerweile aus dem Stadtbild verschwunden. Die Wurstbude auf dem Höherweg zum Beispiel, die du damals auf dem Titel hattest. Welche sonst noch?
Soll ich mal ein Buch holen? Ist dann leichter. (Verschwindet im Hinterzimmer, um kurz darauf mit den „Düsseldorfer Perlen“ zurückzukommen. Beginnt zu blättern.) Gerresheimer Bahnhofsbüdchen. Garage Bilk. Brause. Edelmann auf der Kölner Straße, da ist jetzt ein kleiner Lebensmittelladen drin. Der Kiosk in Hamm. Das Fortuna-Büdchen hat sich natürlich auch stark verändert. Das war früher total schlicht und aufs Wesentliche reduziert. Ich bin froh, dass ich es so noch fotografiert habe.

Wie gehst du bei der Auswahl der Motive für das neue Buch vor?
Als ich wusste, dass ich ein zweites Buch machen möchte, hatte ich bestimmte Motive sofort im Kopf. Das Bild des im Abriss befindlichen Commerzbank-Gebäudes auf der Königsallee Ecke Benrather Straße zum Beispiel. Das wird im neuen Buch auf jeden Fall zu sehen sein. Im Moment ist die Aufnahme noch sehr aktuell. Aber wenn das Buch im September erscheint, ist es schon wieder Geschichte. Außerdem bin ich den Insta-Account der „Düsseldorfer Perlen“ durchgegangen, um zu schauen, was ich im Laufe der Jahre so alles eingestellt habe. Im Juli 2017 habe ich das letzte Foto gemacht, das im ersten Band der „Düsseldorfer Perlen“ erschienen ist. Seitdem sind ja fast sechs Jahre vergangen.

Welche Rolle spielen die Lieblinge deiner Follower:innen bei der Auswahl?
Da stehe ich als Fotograf vor einer ähnlichen Frage wie beispielsweise Helge Schneider. Spiele ich „Katzeklo“, weil die Leute es erwarten? Oder lasse ich es weg? Das wäre ja auch gemein. „Düsseldorfer Perlen 2“ wird ein Mix werden aus Sachen, die mir am Herzen liegen und solchen, von denen ich weiß, dass sie vielen Menschen etwas bedeuten. Ich weiß ja, welche Bilder Bestseller sind – und welche ich noch nie verkauft habe. Obwohl ich das Blog schon eine Weile mache, seit 2015, sind bis heute nicht alle Reaktionen für mich berechenbar. Wenn ich ein Bild von der Mata-Hari-Passage poste, weiß ich, dass darauf viele Likes und auch Kommentare kommen. Das hat mit Erinnerungskultur zu tun. Dabei geht es weniger um die Qualität des Bildes als darum, was die Betrachter:innen mit dem gezeigten Ort verbinden. Aber natürlich kann man nicht alles kalkulieren, das wäre ja auch langweilig.
Meine eigenen Favoriten sind meist ganz andere als die vieler Betrachter:innen. Ich mag eher die leisen Bilder, die man vielleicht erst auf den zweiten Blick entdeckt. Alles, was mir selbst besonders gut gefällt, hat wahnsinnig wenig Likes. Und umgekehrt: Das, was viele Likes hat, gehört nicht zu meinen persönlichen Favoriten. Nimm das Chateau Rikx in Oberkassel. Für viele Menschen war das ihr zweites Wohnzimmer. Ich bin in dem Laden nie drin gewesen. Trotzdem interessiert mich die Architektur. Deshalb wird das Bild auch ins Buch kommen.

Lass uns mal beim Beispiel Chateau Rikx bleiben. Das Gebäude, wo der Club früher drin war, diente zuletzt als Corona-Testzentrum. Vor drei, vier Monaten wurde es dann abgerissen. Es ist also einer der Orte, die aus dem Düsseldorfer Stadtbild verschwunden sind. Zu diesen verschwundenen Orten haben viele Menschen, gerade die fortgeschrittenen Alters, eine besonders intensive Beziehung, was auch mit der eigenen Endlichkeit zu tun haben könnte. Wie ist das bei dir?
Da bin ich völlig unemotional, Stahl und Beton weine ich in der Regel keine Träne nach. Es gibt natürlich ein paar Gebäude, die man aus architektonischer Sicht hätte erhalten können, das ATO-Haus von Paul Schneider-Esleben auf der Uerdinger Straße zum Beispiel. Aber so ein Tausendfüßler, der war doch potthässlich. Untendrunter hat es immer nach Urin gestunken.
Trotzdem reizt es mich, Dinge zu fotografieren, von denen ich weiß, die wird es in zwei Wochen, Monaten, Jahren nicht mehr geben. Natürlich habe ich die Brause fotografiert, als der Investor völlig überraschend und ohne Genehmigung mit dem Abriss der alten Tankstelle begonnen hat. Oder die alten Post-Gebäude zwischen Kölner Straße und Erkrather Straße, die bis vor einigen Jahren dort standen, wo heute ein neues Quartier mit Namen „Grand Central“ entsteht. Auf dem Gelände war ich übrigens neulich noch mal mit der Kamera. Eine menschenverachtende Scheiße, die dort entsteht! Am Rande des Areals leben Menschen in Behausungen, die notdürftig aus Planen und Brettern zusammengezimmert sind. So ein Gelände interessiert mich als Fotograf. Nicht aus gesellschaftlicher Sicht, sondern weil es eine ganz eigene Ästhetik hat. Eine Fläche, auf der etwas Neues entsteht, auf der man aber gleichzeitig auch das Gewesene noch erkennen kann. Das Kaputte, das Zerfetzte – aber die Schönheit ist ja da. Ich bin niemand, der mit dem Finger auf solche Orte zeigt und sagt: „Das ist hässlich.“ Im Gegenteil. Philipp Holstein hat mal über mich geschrieben, dass ich in meinen Fotos versuche, die Dinge zu ordnen. Selbst in so einem Chaos wie an der Erkrather Straße.

Das Titelmotiv, das du für den zweiten Band vorgesehen hast, zeigt einen Blick über die Kniebrücke stadteinwärts. Ein Ort, den die Betrachter:innen sofort verorten können. Das ist ja komplett anders als bei der Wurstbude Höherweg, die auf dem Titel deines ersten Bildbands war. Die kannten nur Eingeweihte.
Ein Motiv wie die Wurstbude würde ich heute so für den Buchtitel nicht mehr auswählen. Die war so selbstverliebt, so nischig. Die Idee hinter der Kniebrücke ist die, dass ich mich der Stadt aus der Distanz nähere, dann fahre ich über die Brücke und gehe ins Detail. Das einzig bekannte Gebäude, das auf dem Foto zu sehen ist, ist das Mannesmann-Hochhaus. Burgplatz, Schlossturm und St. Lambertus sind nicht drauf. Es kann aber auch sein, dass ich mich letzten Endes für ein komplett anderes Motiv entscheide. Das ist ja das Gute daran, selbst Verleger zu sein. Ich kann eine solche Entscheidung alleine treffen. Und wer weiß, was mir in den kommenden Monaten noch so unterkommt?

Lass uns mal über den Stern-Verlag sprechen. Das scheint ein Ort zu sein, der eine besondere Faszination auf dich ausübt. Die Buchhandlung gibt es seit 2016 nicht mehr. Schon in deinem ersten Bildband hast du Fotos von den leeren Verkaufsräumen gezeigt. Auch für den neuen Band ist eine Serie geplant.
Der Stern-Verlag wird auch im neuen Buch eine Rolle spielen, ja. Die Bilder stammen allerdings nicht aus der gleichen Serie wie die aus Buch eins. Ich hatte ja im Laufe der Jahre immer wieder Gelegenheit, in den Räumen zu fotografieren, zuletzt war ich 2022 vor Ort. Diese Aufnahmen werde ich veröffentlichen. Ich finde sie sehr interessant. Obwohl sich vor Ort nichts getan, nichts verändert hat. Es ist nur staubiger geworden. Am Anfang habe ich es fast als Leichenfledderei empfunden, im ehemaligen Stern-Verlag Fotos zu machen oder Stühle aus dem Laden zu kaufen. Heute, mit mehr Abstand, sehe ich das anders.

Im ersten Perlen-Band hast du ja insgesamt vier Leute eingeladen, Texte zu schreiben. Wie hast du das bei Band 2 geplant? Kommt der ganz ohne Text aus?
Ich hätte schon gerne ab und zu ein bisschen Text. Nicht unbedingt so lange Stücke wie im letzten Buch. Eher mal eine Headline, einen Gedanken. Von mir sollen die nicht kommen. Ich wüsste aber auch nicht, wen ich damit nerven könnte. Ich kenne keine Düsseldorfer Schreibkraft.

Willst du mich nicht mal fragen, welche Bilder, die du für Band 2 vorgesehen hast, ich besonders mag?
Welche?

Die Bilder von den Tauben am Bertha-von-Suttner-Platz. Und der Taubenschlag auf dem obersten Parkdeck am Hauptbahnhof. Die sind ja während der Arbeit für das Oberbilk-Buch entstanden. Dazu hast du mal den schönen Satz formuliert: „Tauben sind auch Vögel“.
Ja, der ist von mir. Das wäre übrigens so ein einzelner Satz, der im Buch neben einem Bild stehen könnte. Viele bezeichnen Tauben ja als die Ratten der Lüfte. Da kann ich mich nicht anschließen. Ich finde Tauben schön. Neulich habe ich bei mir ein Fenster aufgelassen – und hatte dann fünf Tauben in meiner Wohnung, die alles vollgeschissen haben. Versuch mal, die wieder rauszubekommen! Egal. In meinen Fotos spielen Tauben jedenfalls eine große Rolle. Sie tauchen immer wieder auf.

Wie ist das eigentlich, wenn du in anderen Städten unterwegs bist, in Wien, in Lille oder London, und die fotografierst, inwiefern unterscheidet sich das von Düsseldorf?
Egal, wo ich bin, ich sehe immer das Gleiche. Ich fotografiere immer das Gleiche. Die Fotos, die ich hier in Düsseldorf mache, kann ich auch in jeder anderen Stadt machen. Die Bilder sind nicht charakteristisch für Düsseldorf, Wien oder London, sondern für mich. Meine letzten Trips habe ich übrigens alle ohne Kamera gemacht. Wien zum Beispiel, da hatte ich nur das Mobiltelefon dabei.

Und warum?
Ich habe in der letzten Zeit jobmäßig so viel fotografiert, dass ich keine Lust hatte, die Kamera mitzuschleppen. Was soll ich denn mit dem ganzen Material? Was soll ich mit Paris-Fotos, wo ich ja genau das gleiche fotografiere wie in Düsseldorf? Ich vermisse nichts, wenn ich keine Kamera dabeihabe.

Aber das Handy muss schon sein, oder?
Ohne Handy wird es tatsächlich kritisch. Wenn der Akku leer ist, werde ich nervös. Nicht, weil mich niemand erreichen kann, das ist mir egal, sondern weil ich keine Fotos machen kann. Das ist fürchterlich.

Gibt es auch unfotografierbare Städte?
Für mich nicht. Ich glaube, ich könnte sogar Dubai fotografieren. Sage ich jetzt einfach mal so. Eine Stadt kann noch so scheinbar perfekt und neu sein, du wirst immer Brüche finden, etwas, das die Optik stört. Genau an dem Punkt wird es für mich interessant. Ein Stadtteil wie Duisburg-Marxloh, wo alles schreit „Ich bin Trash, ich bin dreckig, ich bin schrottig – fotografier mich!“, lässt meine Kamera hingegen kalt. Und mich auch. Funktioniert nicht, wegen Überangebot an Motiven. Ich mag es, wenn die Dinge unerwartet auf mich zukommen. Im- und Export am Höherweg, das reizt mich.

Zurück zu Düsseldorf: Dein Blog „Düsseldorfer Perlen“ gibt es seit 2015, du kennst die Stadt also ziemlich gut. Gibt es trotzdem so etwas wie blinde Flecken auf deinem Düsseldorf-Stadtplan?
Blind Spots? Ja, die gibt es. Lichtenbroich zum Beispiel. Vor einiger Zeit hat mir mal jemand geschrieben: „Warst du schon mal in Lichtenbroich?“. Nein, war ich noch nicht. Ich bin dann hingefahren und habe festgestellt, warum nicht.

Und warum nicht?
Ich habe einen kompletten Tag im Stadtteil verbracht und bei mir hat sich nichts getan. Ich habe kein einziges Foto gemacht. Kann sein, dass das etwas mit den Menschen vor Ort zu tun hat, auch wenn die auf meinen Bildern ja fast nie zu sehen sind. Wenn ich Menschen begegne, die mich misstrauisch beäugen, gehen bei mir die Schotten runter, dann kann ich nicht fotografieren. Von Lichtenbroich werden ja weniger Fotos gemacht als von Oberkassel, Kaiserswerth oder Gerresheim. Menschen mit Kamera ist man dort nicht gewohnt, genauso wenig wie in Garath oder Ratingen-West. Generell gehe ich aber beim Fotografieren ohnehin anders vor. Eigentlich fahre ich nicht gezielt irgendwohin. Die Bilder entstehen eher zufällig, aus dem Moment heraus.
Es gibt einen Düsseldorfer Musiker, der in seinem Notizbuch Orte notiert hat, von denen er dachte, sie seien für mich fotografisch interessant. An dem Punkt kommt das für mich schon nicht mehr infrage. Ich werde da nie hinfahren. Ich werde da nie ein Foto machen. Dann wäre es ja ein Abfotografieren von einer schon vorhandenen Idee, die nicht von mir ist. Ich muss das Gefühl haben, ich sei der erste Mensch, der diese Stelle entdeckt. Sonst mache ich es nicht.

Das Crowdfunding für „Düsseldorfer Perlen 2“ läuft noch bis zum 31. Mai. Als Dankeschöns gibt es unter anderem Foto-Walks mit dem Meister. Wer seinen Teil zum Erscheinen des Bildbands dazutun möchte, kann das hier tun.

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