Carsten-Reinhold Schulz im Interview – „Sammler und ihre Motive sind sehr unterschiedlich“

Für viele Menschen ist die Plastiktüte ein Wegwerfprodukt. Nicht so für Jens Schacht. Der Fotograf nennt eine umfangreiche Sammlung von Tüten sein eigen. Über 650 Stück, ausnahmslos aus den 1970er und -80er Jahren. 50 bis 70 davon sind ab dem 24. Juli in einer Ausstellung im Kulturbahnhof Gerresheim zu bewundern. theycallitkleinparis sprach mit dem Kurator der Schau, Carsten-Reinhold Schulz.

Carsten, du bist Jahrgang 1963. Gehörst du noch zu der Generation, in der man statt einer Tasche oder einem Koffer seine Schulsachen in der Plastiktüte transportierte?

Bin mir nicht sicher, ob das für meine Generation gilt, aber besonders schick fand ich es, meine Schulbücher nur mit einem Gürtel festgezurrt, einhändig gehalten und dann lässig über den Rücken geschwungen, zu transportieren. Die Schulsachen in Plastiktüten mitzunehmen war Erkennungsmerkmal der Kiffer und ihnen mehr oder weniger vorbehalten. Wir haben damals eher getrunken. An die Plastik-Taschen des Modelabels „Fiorucci“ kann ich mich als damaliger Popper und späterer Mod dennoch mit einer gewissen Ekstase erinnern. Die waren ziemlich Imagefördernd. Davon gibt es ein gutes Beispiel in der Ausstellung.

Mittlerweile genießt die Plastiktüte ja zurecht keinen guten Ruf mehr. Benutzt du heute noch Tüten?

Die Vorstellung, dass den Plastiktüten nichts Positives mehr anhaftet, ist ja keine so neue Erkenntnis. Auf die Tüten zu verzichten, ist in etwa so wie Gewicht-Abnehmen: Es funktioniert, man macht aber gelegentlich noch kleine Fehler. Gewohnheiten müssen umgelernt werden. Die Thematik der Plastikvermeidung hört ja nicht bei den Tüten auf, sondern fängt da erst an. Beim Produkteinkauf kann man zusätzlich und deutlich mehr Plastik vermeiden. Es geht um viele hundert Millionen Liter Rohöl weltweit, das kann – bei durchschnittlich 40 Gramm Rohöl pro Tüte – jeder mal nachrechnen.

Wie entstand die Idee zur Ausstellung?

Der Sammler und Fotograf Jens Schacht hat mich mit seiner Sammlung in einer riesigen Kiste aus den 70ern einfach überrascht. Ich kannte ihn bisher als Sammler sogenannter Firmenklassiker. Aber der Zeitpunkt, durch das nahende Ende der Plastiktüten, die Bandbreite der Objekte und die Chance, sogar zeitgeschichtliche Aspekte zu verknüpfen, waren für eine erstmalige Ausstellung im Kulturbahnhof Gerresheim einfach perfekt. Die natürliche Kombination aus Banalität, Objekt und aufwändig bearbeitetem Kulturprodukt finde ich persönlich ohnehin sehr reizvoll. Ich habe schon vorher Künstler in diesem Zusammenhang zeigen können, etwa Katherina Kuznetcowa mit ihren Joghurt-Transportkartons.

Wie viele Tüten werden zu sehen sein?

Etwa 50 bis 70 Tüten.

Nach welchen Kriterien hast du sie ausgesucht?

Ich habe selbstverständlich versucht, die Bandbreite und die Qualitäten der Tüten und der Sammlung aufzuzeigen. Wie kann ich Aspekte des Materials, der Zeit, der Farben, des Aufdrucks zur Geltung bringen? Unterteilungen nach Fotoaufdrucken, Grafiken, Werbetechniken, Firmengruppen oder freien Design-Ideen können angelegt werden. Wenn man wollte, könnte man in die Tiefe gehen und nach der Produktion fragen und nach der Einfärbung des Kunststoffs. Prozesse, die technisch und ästhetisch immer eine besondere Herausforderung darstellen. Aber darum geht es bei dieser Ausstellung ja nicht – Interessenten zum Thema dürfen sich jedoch gerne melden.

Aus welchen Branchen stammen die Tüten?

Der Sammler hat zum damaligen Zeitpunkt mit dem Sammeln der ersten Fotoaufdrucke begonnen, aber später nicht mehr nach Kriterien gesammelt. Das war aus meiner Sicht gut so. Daher findet sich über Kaufhausketten, Modelabels bis zum Hundefutter und dem Düsseldorfer Händler an der Ecke alles nur Erdenkliche. Viel Wiedererkennungswert ist garantiert.

Wie werden die Tüten im Kulturbahnhof Gerresheim präsentiert?

Wir haben diesmal bewusst auf eine Mischung in der Präsentationsmethode gesetzt, die dem Thema und den Objekten sehr gut gerecht wird. Es werden einige Tüten-Exponate unter Acrylhauben und unter Glasrahmen zu sehen sein, aber wir haben ebenso geclipst, zum Umgehen frei gehängt oder die Objekte in Reihe direkt auf die Wand aufgebracht. So bleibt auch die Nähe zum Material erhalten.

Welche Tüte ist dein persönlicher Favorit?

Mich begeistern etliche Tüten, aber meine gefühlten Favoriten sind eine Reihe monochromer Tüten in unterschiedlichen Farben, etwa in DIN A 4 Format. Sie bilden für mich regelrecht so etwas wie einen „Klang“ einer eigentlich nahen Vergangenheit.

Was erwartet die Besucher der Vernissage unter dem Programmpunkt „Proklamation REWE“?

Da die Firma REWE, beratend begleitet vom Deutschen Naturschutzbund NABU, nach eigenen Angaben die erste für den Massenmarkt relevante Firmenkette ist, die seit dem 1. Juni dieses Jahrer vollständig auf die Plastiktüte verzichtet, performed der Düsseldorfer Schauspieler Daniel Wandelt mit seiner sensationellen Stimme, die offizielle Erklärung der Firma zum Thema, die uns der Pressesprecher Thomas Bonrath zugesandt hat. Dieser Erklärung halten wir für gesellschaftlich relevant und sie verdeutlicht einen der Gründe für die Ausstellung in unserem für Ideen der Teilhabe und künstlerischem Experiment gedachten, denkmalgeschützten Bahnhof in Gerresheim.

Wie muss man sich den Sammler Jens Schacht vorstellen?

Meiner Erfahrung nach sind Sammler und ihre Motive sehr unterschiedlich. Der Sammler Jens Schacht ist beruflich ein sehr gewissenhafter, fachlich hochkompetenter Fotograf und jemand, dem es gefällt, Dinge zu bewahren. Er ist ästhetischen Reizen und Erinnerungen gleichermaßen verfallen. Als Fotograf sind ihm in den 70ern daher die erstmalig genutzten Fotoaufdrucke auf den Tüten aufgefallen. Es waren, präzise gesagt, die Werbetüten der Sportschuh-Firma Adidas und die auf weißer Kunststofftüte abgedruckten Titelseiten der Welt am Sonntag. Sie waren der Startschuss zu seiner Sammlung. Herr Schacht ist langhaarig, ein auch bei Sammlern gelegentlich anzutreffendes Phänomen. Die Plastiktüten-Sammlung von Jens Schacht ist auf die Zeit der 1970er und 1980er Jahre begrenzt.

Woher bekommt er seine Tüten? Gibt es für Plastiktüten eine Szene wie für Ü-Ei-Figuren oder Briefmarken?

Die Sammlung ist abgeschlossen. Eine entwickelte Szene vergleichbar den Ü-Eiern oder Numismatikern ist nicht bekannt, da die wenigsten Menschen die Plastiktüten über so lange Zeit flach und vor Licht und Umwelteinflüssen geschützt lagern konnten. Daher dürfte sich das Angebot an Tauschware in „Mint-Qualität“, wenn sie nicht bereits in Museen gelagert sind, in Grenzen halten.

Wie viele Tüten umfasst die Schacht‘sche Sammlung?

Über 650 Exponate.

40 Gramm. Tüte, Image, Kontroverse. Plastiktüten der 1970er und -80er Jahre“: 24.7.-11.8. Kulturbahnhof Gerresheim, Heyestr. 194, Düsseldorf, Mo 10-15, Mi & Do 15-19, So 12-18 Uhr

1 Kommentar

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Sehr schöner Text und lustige Antworten „Herr Schacht ist langhaarig, ein auch bei Sammlern gelegentlich anzutreffendes Phänomen. “ 🙂

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