Als er 1991 nach Düsseldorf kam, tat sich eine neue Welt für ihn auf. Sagt Tobi Dahmen. Eine Welt, in der er „seine“ Musik nicht nur zuhause hören konnte, sondern in den Clubs. Im Unique. Im Rheingoldsaal. Oder im jüngst geschlossenen Q-Stall. Mod war Dahmen allerdings schon vor seinem Umzug in die Landeshauptstadt gewesen. Damals lebte er in Wesel und cruiste statt mit einem Roller mit dem Fahrrad durch die Gegend. „Fahrradmod“ heißt dann auch seine autobiografische Graphic Novel, die im September bei Carlsen erschienen ist. Acht Jahre hat Dahmen daran gearbeitet. Am 12.12. reist der Comiczeichner, der mittlerweile in Utrecht lebt, in die alte Heimat, um sein Werk vorzustellen.
Deine Graphic Novel „Fahrradmod“ ist Ende September erschienen. Warum findet die dazugehörige Release-Party eigentlich erst jetzt statt?
Das liegt daran, dass das nicht die erste Release-Party ist. Zuerst gab es ja die offizielle Buchvorstellung auf der Frankfurter Buchmesse, dann noch eine Release-Party in Hamburg, wo der Carlsen Verlag sitzt, Aber mir war es schon sehr wichtig, das Buch auch in meiner alten Heimat zu präsentieren. Ich kenne hier ja nach wie vor viele Leute, habe seinerzeit die Herrensahne-Partys mitgestaltet und nicht zuletzt spielt Düsseldorf ja auch mit dem Unique Club eine Rolle im Buch.
Das Buch hat 480 Seiten. Wie viele Bilder enthält es? Und: Wie lange hast du daran gearbeitet?
Die Bilder habe ich nie gezählt, aber ich habe mal grob überschlagen, dass es um die 2000 sein dürften. Ich habe acht Jahre daran gearbeitet. Neben meinem normalen Job als Illustrator. Einer der vielen Gründe, warum das so lange gedauert hat.
Ursprünglich sollte der Band beim Indie-Verlag Zwerchfell erscheinen. Nun ist es doch Carlsen geworden. Wie kam das?
Zwerchfell hat das Projekt eine ganze Weile begleitet, aber schließlich zeigte eben auch Carlsen Interesse. Parallel bahnte sich schon an, dass es schwierig für einen kleinen Verlag wie Zwerchfell werden würde, all das Drumherum, das ein Buch mit einem solchen Volumen mit sich bringt, zu stemmen. Insofern haben wir uns geeinigt, dass Carlsen das Buch herausbringt, Zwerchfell aber weiterhin die Redaktion macht. Das hat so auch prima geklappt.
„Fahrradmod“ ist autobiografisch, erzählt wird von deiner Jugend im niederrheinischen Wesel. Wann und wie bist du dort mit der Mod-Subkultur in Berührung gekommen?
Das war so ca 1986. Es gab auf dem Parallel-Gymnasium eine Gruppe Mods, zu der auch ein langjähriger Freund von mir gehörte. Über die habe ich die Mod-Szene kennengelernt, nicht zuletzt dadurch, dass einer das Buch „Mods“ von Richard Barnes auf eine Party mitbrachte. Ich habe mich aber davor auch schon für „alte“ Musik interessiert.
Wie hat sich deine Optik daraufhin verändert?
In den Achtziger Jahren war das Schlimmste, irgendwie „normal“ zu sein. Man wollte unbedingt zu einer der zahlreichen Subkulturen gehören, die es damals gab. Punks, Rockabillys, Psychobillys, Waver oder eben Mods oder Scooterboys. Dafür, dass Wesel so eine kleine Stadt ist, gab es damals dort ziemlich viele Subkulturen mit zahlreichen Anhängern. Man konnte nicht durch die Stadt laufen, ohne sich gegenseitig abzuchecken: Wozu gehört der wohl und wozu tanzt die da wohl? Die einzelnen Gruppierungen waren sich ja auch nicht nur freundlich gesonnen. Trotzdem hat all das auch viel Spaß gemacht, dadurch war eine Menge los in unserer kleinen Stadt.
Trotzdem war Wesel ja leider nicht London. Und auch das Internet noch keine Option. Wie kamst du an deine Klamotten und Platten?
Vor allem durch Second-Hand-Läden. Sich Anzüge schneidern zu lassen, kam damals finanziell noch nicht in Frage. Das Größte war, mit dem Erspartem nach Düsseldorf zu fahren und dort in der Altstadt einkaufen zu gehen. Da gab es ja noch BBC und Pickup, wo sie viel Importware aus England hatten. Fred Perry-Polos, Doc Marten’s, Cavern-Anzughosen aus billigstem Stoff, die dann gerne mal im Pobereich mitten auf der Tanzfläche rissen. Später gab es auch noch das Charmeuse. Für Platten sind wir natürlich zu Hitsville gegangen, was es ja noch immer gibt. Und für die Riesenauswahl Saturn am Hansaring in Köln. Und wenn mal jemand nach London fuhr, hatte der natürlich die Taschen voll mit Bestellungen von den Daheimgebliebenen, die dann hoffen mussten, dass er einem auch ein Hemd mit einem schönen Muster mitbringt.
Wie reagierten die Leute in Wesel auf deinen Look, zum Beispiel deine Eltern oder die Lehrer?
Meine Mutter hat immer gesagt: „Eines Tages wirst du darüber lachen, wenn du alte Fotos von dir siehst!“ Und sie hat natürlich Recht gehabt. Aber im Großen und Ganzen war es ihnen wohl lieber, dass wir mit Krawatte in die Schule gingen als mit Psycho-Flat oder Irokesenschnitt. Die meisten Lehrer haben das überhaupt nicht kapiert und haben es unter jugendliche Selbstfindung verbucht. Außer unserem Sowi- Lehrer, der kannte das, bei dem haben wir aber auch „Quadrophenia“ in der Stunde geguckt.
Und wo gingst du aus?
Wir hatten eigentlich eine ganz coole Disco, in einem alten Gemäuer, ein bisschen außerhalb gelegen, die Alte Post in Flüren. Da lief viel Indie-Musik und auch ab und zu ein paar Ska-Nummern. Aber je motorisierter wir wurden, desto größer wurde natürlich unser Radius. Erst das Rock Babylon, dann das Rolling Stone in Voerde, die Villa Körner in Kirchhellen, das Pop’s in Rickelrath und natürlich jede Menge Konzerte in ganz NRW. Und später im Sommer auch Rollertreffen.
Welche Bands hast du damals gehört?
Meine Modkumpels haben vor allem Garage Punk gehört, Fuzztones, The Sonics, Miracle Workers. Ich bin nach dieser Phase aber schnell beim Ska gelandet. Die Specials, Madness und Selecter. Es gab ja in den späten Achtzigern ein ziemliches Ska-Revival, die sogenannte dritte Welle. Und es gab auch jede Menge deutsche Bands, auf deren Konzerte wir gefahren sind. Das wurde ich dann aber schnell wieder leid – war mir doch zu sehr reine Partymusik, im Gegensatz zu den alten Ska- und Rocksteady-Nummern. Letztendlich habe ich dann den Soul für mich entdeckt. Das ist immer noch meine größte Liebe.
Während einige deiner Kumpels Roller ihr eigen nannten, hattest du lediglich ein Fahrrad. Wie schlimm war das?
Ich war zum Glück nicht der einzige ohne Roller, es gab nur wenige, die sich einen leisten konnten oder das Geld dafür ausgeben wollten. Ab und zu konnte man mal bei jemandem hintendrauf mitfahren. Aber keinen Roller zu besitzen, hat das allgemeine Gefühl, nicht die Standards zu erfüllen, der ewige Mitläufer, das Greenhorn zu sein, natürlich verstärkt. Deshalb habe ich das Buch auch „Fahrradmod“ genannt. Weil es eben so ein schönes Synonym für „Möchtegern“ ist.
1991 bist du nach Düsseldorf gekommen, um Visuelle Kommunikation zu studieren. Welche Möglichkeiten bot die Stadt, die dir Wesel nicht geboten hatte?
Da tat sich eine neue Welt für mich auf. Auf einmal konnte man seine Musik nicht nur auf versteckten Sixties-Partys und Privatpartys hören, sondern im „normalen“ Nachtleben. Düsseldorf war ja mal eine der Hochburgen der deutschen Mod-Szene gewesen. Und dieses Erbe spürte man noch. Es gab das Rheingold und den Unique Club, aber auch so viele andere Bars und Clubs, die unseren Sound spielten. Ich weiß noch, wie auf einer Musikhochschulparty nur Sixties-Sound lief und wie erstaunt ich darüber war. Und wie ich im Q-Stall zum ersten Mal eine meiner Lieblingsbands, Young Holt Unlimited, aus den Lautsprechern hörte. Die hatte ich vorher nur zuhause gehört. So was vergisst man nicht. Das war eine super Zeit. Wenn man damals die Stadtmagazine studierte, konnte man jeden Abend der Woche in einer anderen Location unseren Sound hören. Ich wollte immer Freunde von auswärts überreden, mal so einen Marathon durchzuziehen, aber das hat dann irgendwie doch nie geklappt.
Wie lange bist du Mod geblieben? Beziehungsweise warst du später Teil anderer Jugendkulturen?
Wie schon gesagt, ich war kurz nachdem ich die ganze Sache entdeckt habe in Richtung Rude Boy und Original Skinhead unterwegs, habe schließlich dann Soul und auch Mod wieder entdeckt. Eigentlich gehört das alles für mich zusammen und entstammt der großen Wurzel der afroamerikanischen Musik. Alle diese Stile bedeuten mir viel, sowohl musikalisch als auch kleidungstechnisch. Und das wird wohl auch immer so bleiben. Einmal Mod, immer Mod. Der Schauspieler Martin Freeman hat mal gesagt: „Being a mod is more of a sensibilty than a style.“ Das trifft es ziemlich gut. Man läuft durch die Welt und hat ein Auge für gewisse Details. Und eben auch ein Ohr für spezielle Musik.
Ohne welche drei Songs kann deine Release-Party auf keinen Fall auskommen?
Natürlich Lieder aus dem Buch: „Let Me Give You My Lovin’“ von Maxine Brown, „Turning My Heartbeat Up“ von The M.V.P.s und „Look At Me Now“ von Terry Callier beispielsweise. Den kompletten Soundtrack zum Buch kann man sich übrigens online anhören unter www.mixcloud.com/fahrradmod. Aber Henry Storch, Michael Wink und Annie O’Seven haben ja eh Plattenkisten mit legendärem Inhalt. Das dürfte ein Hochgenuss werden.
Du hast 17 Jahre in Düsseldorf gelebt, bevor du 2008 nach Utrecht gezogen bist. Wie oft bist du heute noch in der alten Heimat?
Leider viel seltener als ich gerne würde. Das Düsseldorfer Nachtleben habe ich auch schon ein Weilchen nicht mehr erlebt. Aber ich versuche immer, jedes Jahr noch ein Grillen am Rhein und einen Abend in der Vorweihnachtszeit unterzubringen. Letzteres klappt ja dieses Jahr zum Glück auch wieder.
Besitzt du mittlerweile einen Roller?
Nein, immer noch nicht. Aber man soll nie nie sagen.
12.12., 21 Uhr, Buch-Release-Party, Prinz Albert, Albertstr. 113, Düsseldorf
12.12., 15-17 Uhr, Signierstunde beim Modlord, Lorettostr. 6, Düsseldorf
2 Kommentare
Kommentieren[…] den Blog „wecallitkleinparis“ noch ein ausführliches Interview geführt. Könnt Ihr hier nachlesen. So, ich geh jetzt mal schlafen und träum mich nochmal auf die Tanzfläche. […]
Schönes Interview!