Erster Fastentag
Während ich das hier schreibe, sehe ich vor meinem geistigen Auge Bilder. Bilder von üppig belegten Burgern, von riesigen Nudelbergen, Bilder von tellergroßen Kuchenstücken mit Zuckerguss, Vorspeisentellern und von XXL-Saftschorlen. Während ich diese Buchstaben in die Tastatur tippe, ist es halb vier nachmittags. Hinter mir liegen achteinhalb Stunden, in denen ich nichts gegessen und nichts getrunken habe. Meine Lippen sind trocken wie die Wüste Gobi. Ausgedörrt wie eine Trockenpflaume ertappe mich dabei, wie ich um die Wasserflasche neben meinem Bett herum schawenzel. Bisher bin ich standhaft geblieben.
Mein Tag begann für meinen Geschmack viel zu früh. Ich bin eher eine Nachtigall als eine Lerche. Als solche stelle ich mir samstags und sonntags selbstredend keinen Wecker. Es sei denn, ich gehe auf Reisen. Heute war das anders, wenn auch keine Reise anstand. Obwohl: Im besten Fall wird das, was ich vorhabe, auch eine Art Reise. Eine Reise, auf der ich viel erlebe, viel lerne, auch über mich, und von der ich vielleicht verändert zurückkehre. Schau’n wir mal.
Der Wecker ging jedenfalls heute um kurz nach sechs, schließlich soll während der Fastenzeit das Frühstück vor dem Sonnenaufgang eingenommen werden. Schlaftrunken und mit Spätschäden der intensiven Altweiber-Feierei im Körper schlurfte ich in die Küche, um mir vor Tau und Tag eine für meine Verhältnisse ziemlich üppige erste Mahlzeit zuzubereiten. Ich bestrich zwei Scheiben Brot mit Hummus, schnitt Bananen und Äpfel ins Müsli, und brühte, weil es mir authentisch erschien, einen frischen Minztee auf. Als ich alles verzehrt hatte, legte ich mich wieder hin. Das hatte ich mir vorab überlegt, um den Ramadan ein wenig auszutricksen. Vielleicht, so meine Idee, würde mir der Tag so nicht ganz so lang erscheinen.

Gegen zehn wachte ich zum zweiten Mal auf, diesmal ohne Wecker, und schaute auf mein Handy. Ein Freund, der in mein Experiment eingeweiht ist, wünschte mir Ramadan Mubarak, was übersetzt so viel bedeutet wie „frohen Ramadan“ oder „gesegneten Ramadan“. Den wünscht man sich übrigens nicht nur zum Start, sondern während des gesamten Fastenmonats. Mein Ramadan-Coach Erdin Kadunic hatte sich auch schon gemeldet. „Noch acht Stunden, dann darfst du wieder“, schrieb er launig – und erkundigte sich, ob ich einen Kalender habe, in dem die Uhrzeiten für Sonnenauf- und Sonnenuntergang vermerkt seien. Habe ich noch nicht.
Dafür hat mir meine Nachbarin einen Ramadan-Kalender vor die Türe gestellt, der dem christlichen Vorbild Adventskalender nachempfunden ist. Seit etwa zehn Jahren gibt es diese muslimische Variante der Kalender, gefüllt mit kleinen in Form gegossenen Schokostückchen. Allerdings nicht 24, sondern 30, für jeden Tag der Fastenzeit eins. Mittlerweile findet man die Ramadan-Kalender, zumindest in meinem Viertel Oberbilk, in den meisten Supermärkten. In den vergangenen Jahren hat das Ganze auch weitere Kreise gezogen, über die Schokolade hinaus. Auf YouTube häufen sich Tutorials für individuell zu befüllende Ramadan-Kalender – wie ich gestern auf WDR5 hörte. Auch bevor ich begann, das hier zu tippen, hatte ich – Ablenkung tut schließlich Not – das Radio eingeschaltet. Unglücklicherweise begann zu dem Zeitpunkt gerade die Sendung „Alles in Butter“. Normalerweise lausche ich dem Genussexperten Helmut Gote ziemlich gerne. Aber heute, an meinem ersten Fastentag, konnte ich seine appetitanregenden Ausführungen über unterschiedliche Camembert-Sorten nicht gut ertragen – und schaltete ab. Eine Petitesse wie diese lässt erkennen, wie sehr der Ramadan auch jenseits des Verzichts auf Essen und Trinken auf die Lebensumstände wirkt. Zu dieser nachmittäglichen Uhrzeit wäre ich für mein Teil normalerweise zum Beispiel wandernd unterwegs. Für meinen ersten Fastentag hielt ich aber diese Art von körperlicher Anstrengung nicht für ratsam und blieb daheim. Für morgen und damit Tag 2 ist aber eine kleine Tour angedacht. Ich werde berichten.
Auch davon, welche Motive ich hinter den ersten Türchen meines Ramadan-Kalenders vorgefunden habe. Der liegt übrigens gerade in Reichweite und ist daher arg in Gefahr. Aber nein, ich warte. In knapp zwei Stunden ist es schon so weit. Sonnenuntergang. Dann genehmige ich mir eine Dattel und ein Glas Wasser. Das wird ein Fest.
Diese Reihe wird im besten Fall bis zum Ende des Ramadans fortgeführt.