Als ich zuletzt frei hatte, bin ich einfach zuhause geblieben. Was soll ich sagen? Es war gut. Sehr gut sogar.
Meine Nachbarn sind gerade aus dem Urlaub zurückgekommen. Sie waren in Polen, einem Land, das ich sehr mag, aber einige Jahre nicht mehr bereist habe. Als sie wegfuhren, beneidete ich sie ein wenig. Während sie gen Krakau entschwanden, blieb ich daheim, leerte ihren Briefkasten und wässerte die Blumen in unserem Hof. Ich hatte ebenfalls ein paar Tage frei, aber aufgrund der Schulferien und der Kilimandscharo-hohen Preise beschlossen, in Düsseldorf zu bleiben. Ich wollte lange schlafen. Gut essen. Lesen. Radfahren. Ausstellungen besuchen. Das Tempo drosseln. Es mir maximal nett machen.
Es sich in der eigenen Stadt nett zu machen, ist ziemlich einfach. Und es hat gegenüber dem Es-sich-anderswo-nett-machen einige Vorteile: Man kann im eigenen Bett schlafen und muss sich nicht über durchgelegene Matratzen in viel zu hellhörigen Unterkünften grämen. Man hat seine Freunde in der Nähe. Man muss sich weder im Schritttempo über die Autobahn quälen noch in viel zu enge Flugzeugsitze quetschen. Man tut etwas für die persönliche CO2-Bilanz. Vor allem aber weiß man in der eigenen Stadt genau, wo es schön ist. Man weiß, wo es den besten Kaffee gibt, das köstlichste Eis und die gelb-goldenen Pommes. Man weiß, wo die feinsandigen Strände liegen. Und man kennt das Loch im Zaun, durch das man zu dem See gelangt, in dem man bei Einbruch der Dunkelheit heimlich eine Runde schwimmen kann. Umgekehrt kennt man hingegen auch die Orte, die es zu meiden gilt. Weil dort zu viel Trubel herrscht oder unverschämt hohe Preise für unverschämt niedrige Qualität aufgerufen werden. Weil die Bedienungen legendär garstig sind oder legendär verschnarcht.
Wenn man zum ersten Mal an einem fremden Ort ist, muss man all das erst noch herausfinden. Weil man dafür nicht ewig Zeit hat, sondern meist nur ein paar Tage, verlässt man sich gerne auf Geheimtipps – von anderen Touristen, aus dem Internet oder Reiseführern. Tipps für einsame Badebuchten, Restaurants mit „authentischer“ Küche, originelle Unterkünfte oder angesagte Bars. Ich bin in den vergangenen 30 Jahren vielen solcher Tipps gefolgt – und oft enttäuscht worden. Weil sich bei meinem Eintreffen vor Ort herausstellte, dass der Geheimtipp vieles war, nur nicht geheim. Und weil mangels Geheimhaltung zahlreiche andere Touristen bereits eingetroffen waren. Nun verliert ein Ort, an dem überwiegend Touristen zugegen sind, zwangsläufig seine Ursprünglichkeit, oft auch seinen Charme. Mir ist dabei durchaus bewusst, wie absurd es ist, sich als Touristin an anderen Touristen zu stören. Schließlich ist man selbst Teil des Problems.
Bei meinen Nachbarn war es nicht anders. Nach dem überfüllten Krakau hofften sie auf weniger touristisches Interesse der Anderen an Zakopane, einem polnischen Ferienort in der Hohen Tatra. Um es gleich zu sagen: Die Hoffnung erfüllte sich nicht. Die höchstgelegene polnische Stadt hat ungefähr 27.000 Einwohner. Demgegenüber stehen mehrere Million Touristen pro Jahr. Wer beim derzeit stark diskutierten Phänomen des Overtourisms bisher an Barcelona, Venedig oder Mallorca dachte, kann auf dieser Liste nun auch die Hohe Tatra ergänzen. „Rund um Zakopane ist man immer in einer Karawane unterwegs“, schrieben mir meine Nachbarn. „Die Landschaft ist traumhaft, aber leider vor lauter Touris kaum noch auszumachen.“
Als ich ihre Nachricht las, hatte sich in Düsseldorf eine angenehme Leere eingestellt. Nachdem die Fußball-EM unzählige Fans aus ganz Europa in die Stadt gespült hatte, ist es nach dem Finale und spätestens mit Beginn der Schulferien auffällig ruhig geworden. Im Düsseldorfer Hauptbahnhof läuft man nicht mehr Gefahr, von angetrunkenen Männergruppen in Trikots ihres Heimatlandes überrannt zu werden. Radfahren in der Innenstadt ist ohne ständige Todesangst möglich. Selbst der RE nach Köln ist pünktlich, wohltemperiert und verfügt sogar über freie Sitzplätze.
Alles in allem scheint mir der Sommer genau die richtige Zeit zu sein, um in der Stadt zu bleiben. Ich für mein Teil kann den Urlaub daheim nur empfehlen, freue mich aber über alle, die auch in Zukunft das Weite suchen.