Mein Block. Begegnungen mit Veedel-Nachbarn

Mein letzter Umzug war keine große Sache. Ich bin einmal um die Ecke gezogen. Einen Möbelwagen brauchte ich nicht, viele Sachen habe ich zu Fuß in meine neue Bleibe geschleppt. Seit über zehn Jahren lebe ich im gleichen Häuserblock. Erst am großen Platz mit Blick auf Spielplatz, Bäume und Kirchturm, mittlerweile vis-à-vis des Altenheims. Das, was manche „Klein-Marokko“ nennen, ist nur einen Steinwurf entfernt, der große Puff liegt am Ende der Querstraße. Ich liebe diesen Kiez, aber vor allem liebe ich die Menschen, die mich umgeben. Rund 30.000 von ihnen leben in meinem Stadtviertel. Und jeder und jede prägt die Umgebung auf seine und ihre Weise.

Ich arbeite viel im Home Office. Meine Kolleg:innen sehe ich überwiegend in den kleinen Kacheln der Zoom-Meetings. Wenn ich Sehnsucht nach echten Menschen verspüre, drehe ich in der Mittagspause eine Runde um den Block. Ich trete aus der Haustür und egal, ob ich links oder rechtsrum gehe, das erste bekannte Gesicht ist meist das des hageren Typen mit der wächsernen Haut. Er wohnt zwei Häuser weiter und hat über die Maßen viel Tagesfreizeit. Die verbringt er damit, wahlweise in seinem Hauseingang oder am Eckbüdchen auf Gesellschaft zu warten. Seit er meinen Namen aufgeschnappt hat, ruft er, sobald er mich erspäht: „Hier kommt Alex“. Ich lache und frage, wie es ihm geht. „Am liebsten gut“, sagt er. Der Dialog ist immer der gleiche. Ich mag das. Weiter zum Kiosk an der Ecke. Eisinsel. Allerschönster Büdchenname. Die Betreiber sind eigentlich Musiker:innen. Er spielte früher in Doro Peschs Band Warlock. Ein Freund und ich nennen den Kiosk deshalb „Warlock-Büdchen“. Im Schaufenster liegen gehäkelte Topflappen, macht die Mutter der Büdchenfrau. Das Tagesgericht ist heute Möhrengemüse untereinander. Wird gut angenommen, sagt die Büdchenfrau. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht der ehemalige Kneipenwirt, der seine Jugend in Buenos Aires verbracht hat und schimpft wie ein Rohrspatz. Früher war alles besser. Heute ist alles Scheiße. Vor allem Düsseldorf geht gar nicht. So weit seine Durchsage.

Ein paar Schritte weiter treffe ich die Mutter der Zwillinge, die zauberhaftesten Kinder, die ich kenne. Allein der Hund der Familie ist mir nicht ganz geheuer, kläfft auch zu viel. Sie spielt jetzt Schlagzeug, erzählt sie. Den Traum habe sie sich endlich erfüllt. Ich gehe weiter, biege zweimal rechts ab. „Cemil’s Manege“ hat schon geöffnet. Heißt immer noch so, obwohl Cemil schon länger tot ist. Nun schmeißt eine Polin den Laden. Auf der Terrasse links vor der Tür hockt wie immer der Almöhi. Hutzeliges Männchen, sieht aus, als wäre er gerade einem Gobelin-Bild entstiegen. Memo an mich selbst: ihn endlich mal ansprechen, um seine Geschichte zu erfahren.

Auf der kleinen Straßeninsel an der nächsten Ecke ein Schild: „Mein Baumpate pflegt mich“. Schräg gegenüber im Erdgeschoss die wunderbar bepflanzten Blumenkästen der mittlerweile landauf landab bekannten Autorin. Sie selbst hat ihren Outdoor-Arbeitsplatz auf dem Spielplatz gegenüber aufgeschlagen. Sonnenstrahlen einfangen, ihr Garten ist ja so schattig. In einem aufblasbaren Sessel sitzend tippt sie garantiert kluge Gedanken in ihr Laptop. Kurz bevor ich den Schlüssel ins Schloss stecke, letzte Begegnung auf meinem Gang um den Block. Die Labradore. Einer dick und alt mit leicht struppigem Fell, der andere jünger und etwas schlanker. Beide bewegen sich wie in Zeitlupe. Entschleunigung pur. Davon möchte ich mir eine Scheibe abschneiden.

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