Miki Yui und Stefan Schneider im Interview – „Wir wollten den Ort nicht zu einer Eventlocation umfunktionieren“

Am 28. und 29. Mai erlebt auf der Neusser Raketenstation das „Hombroich: Raketenfestival“ seine Premiere. Als ausdrücklich nicht kommerzielles Festival möchte es seine Besucher:innen einladen, sich auf etwas Neues einzulassen, Akteur:innen und Besucher:innen sollen miteinander in Austausch kommen. Kuratiert haben den zweitägigen Reigen Miki Yui und Stefan Schneider. theycallitkleinparis hat mit den beiden gesprochen.

Stefan, Miki, wann wart ihr selbst das letzte Mal als Zuschauer bei einem Festival?
Miki: Ich war zuletzt 2019 auf dem „Meakusma“ im belgischen Eupen, ganz schön lange her…
Stefan: Ich war vergangenes Jahr im September beim „Seanaps Festival“ in Leipzig, ein sehr tolles jährliches Festival für experimentelle Musik. Davor im Juni beim „Theater der Welt“-Festival in Düsseldorf, für das ich Konzerte mit internationalen Gästen organisiert hatte.

Wie kam es dazu, dass ihr gemeinsam ein Festival kuratiert?
Miki: Wir sind von Katharina Hinsberg gefragt worden. Katharina gehört zu der Künstler:innen, die auf der Raketenstation arbeiten und ist auch Mitglied des Fördervereins. Auf ihre Anfrage hin haben wir ein Programm entwickelt und es dem Förderverein vorgestellt. Die Resonanz war sehr gut.

Decha, Foto: Markus Luigs

Wie würdet ihr das Programm des „Hombroich: Raketenfestivals“ umreißen?
Miki: Wir wollten ein nicht kommerzielles Festival machen. Wir laden alle, Besucher:innen und Akteur:innen ein, gemeinsam das Festival zu erleben, etwas Neues zu entdecken und in einen offenen Austausch zu gehen. Das Programm hat ein breites Spektrum, international und lokal. Wir haben Barbara Morgenstern mit Chor eingeladen, Decha und A Rocket in Dub aus Düsseldorf, die Schwedin Sofia Jernberg und Oskar Gottlieb Blarr. Wir möchten ein sehr gemischtes Publikum ansprechen.
Stefan: Auch wenn die Musik recht experimentell und für viele Leute vielleicht ungewöhnlich ist, hat sie an diesem Ort eine Zugänglichkeit, die man auf spezialisierten Festivals vielleicht manchmal vermisst. Beim Zusammenstellen des Programms haben wir uns an dem Satz von Karl-Heinrich Müller, dem Gründer der Raketenstation, orientiert, der sagte, dass der Ort „ein offenes Experiment für neue Lebensformen“ sei. Es gibt recht wenige Orte, an denen Menschen aus unterschiedlichen Generationen, sozialen Schichten oder mit unterschiedlichen musikalischen beziehungsweise künstlerischen Vorlieben miteinander in Berührung kommen. So einen Ort wollen wir an den beiden Tagen schaffen.

Seit wann bereitet ihr das Festival vor?
Miki: Seit über einem Jahr.

Wie läuft eure Zusammenarbeit? Wer kümmert sich worum?
Miki: Die Zusammenarbeit läuft gut. Trotzdem ist es für uns eine völlig neue Herausforderung, da gibt es manchmal natürlich auch Auseinandersetzungen…
Stefan: Zwischen japanischer Perfektion und rheinischer Lockerheit versuchen wir, möglichst oft einen Ausgleich finden.

Was bedeutet euch der Ort Raketenstation? Miki, du hast ja schon mal ein paar Wochen dort gewohnt und gearbeitet.
Miki: Ich hatte das Glück, vergangenes Jahr im April für einen Monat im Gastatelier wohnen und arbeiten zu dürfen. Die Raketenstation ist ein inspirierender Ort, das große Gelände, die Ruhe. Dabei ist es aber auch nicht zu idyllisch. Ich war total im Flow und konnte gut arbeiten.
Stefan: Ich war 2003 zum ersten Mal dort, als es eine sehr gute Gruppenausstellung von Akademie-Student:innen auf dem Gelände gab. In einem Container war eine Bar eingerichtet, in der ich live gespielt habe. Nach meinem Auftritt bin ich dann nachts mit dem Rad zurück nach Düsseldorf gefahren. Der Ort trägt natürlich eine Geschichte, die stark vom kalten Krieg geprägt ist. Es war ja tatsächliche eine Raketenstation. Düsseldorf war das Headquarter der britischen Rheinarmee. Die Kombination von militärischen Bauten, deren Umnutzung, zeitgenössischer Architektur und den neuen Gartenanlagen ist einzigartig und erzählt auch viel von westdeutscher Nachkriegsgeschichte und dem Umgang damit. Durch den Krieg in der Ukraine zeigt der Ort wieder etwas von dieser Präsenz.

Auf der Raketenstation gibt es insgesamt drei Orte, an denen Musiker:innen auftreten werden. Die Veranstaltungshalle, den Fontana Pavillon und die Wiese.
Miki: Es gibt mehr als drei Orte, manche werden auch lediglich einmal bespielt. In die Veranstaltungshalle dürfen maximal 199 Gäste. Hier gilt: first come, first serve. An den anderen Orte gibt es keine Begrenzung.
Stefan: Wir wollten den Ort für das Festival als Ganzes betrachten und nicht zu einer Eventlocation umfunktionieren. Es sollte möglichst alles so genutzt werden, wie man es auch sonst vorfindet. Deshalb haben wir entschieden, keine Bühnen aufzubauen oder Lightshows aufzufahren, wie sonst bei Konzerten üblich. Die Konzerte laufen alle nacheinander und nicht parallel. Man kann sich einfach irgendwo hinsetzen und zuhören. Oder über das Gelände laufen. Danach haben wir auch das Musikprogramm gestaltet.

Festivals sind ja gemeinhin auch für ein Rahmenprogramm bekannt. Essens- und Getränkestände, Klamotten, Schmuck und so weiter. Ist derartiges bei euch auch geplant?
Miki: Wir haben kein Essensangebot auf dem Festival. Stattdessen haben wir den Künstler Arpad Dobriban eingeladen. Er ist bekannt für seine Eat Art. Er bietet „Essbare Botschaften” zum Mitnehmen an. Die sind kostenlos, es gibt allerdings nur 150 Stück pro Tag. Wer neugierig ist, sollte also nicht zu spät kommen. Ansonsten haben wir eine georgische Bar von dem georgischen Wein- und Spezialitäten-Laden „Kakhaber“ auf der Rethelstraße. Dort gibt es Wein, Bier und georgische Limonade. Die Bar ist direkt neben der Radiostation. Außerdem ist ja am Eingang der Raketenstation das Cafe Biemel, die haben ebenfalls Getränke und Kuchen im Angebot.

In dem Moment, in dem wir dieses Gespräch führen, sind es noch genau drei Wochen bis zum Festival. Was gilt es für euch als Macher:innen noch zu erledigen?
Miki: Wir koordinieren vieles. Den Transport der Künstler:innen zur Raketenstation, die Verpflegung für die Künstler:innen vor Ort. Es wird auch einen Kinder-Radio-Workshop geben, der gemeinsam mit „Der Treff“ in Neuss-Weckhoven und dem Kabawil e.V. organisiert wird. Ein Festival der besonderen Art braucht halt viele Ideen und viel Einsatz.
Stefan: Es ist tatsächlich eine unfassbare Themenlawine mit parallelen To-do-Listen, die kein Ende nehmen.

Sucht ihr immer noch ehrenamtliche Helfer:innen? Für welche Aufgaben?
Miki: Ja, ehrenamtliche Helfer:innen sind nach wie vor dringend gesucht. Aufgaben sind zum Beispiel, die Gäste am Eingang in Empfang zu nehmen, ihnen Auskunft zu geben oder Aufsicht bei einer Klang-Installation zu machen. Wer hilft, bekommt von uns einen kostenlosen Transport von Düsseldorf zur Raketenstation, dazu frei Essen und Trinken und ein T-Shirt. Bisher haben wir richtig nette Helfer:innen.
Stefan: Zum Glück konnten wir Führungskräfte vom „Open Source Festival“ gewinnen.

Soll das Festival in Zukunft denn regelmäßig stattfinden?
Miki: Schau’n wir mal. Bisher ist die Resonanz sehr positiv. Wenn es wirklich regelmäßig stattfinden sollte, dann aber im Biennale-Modus, also alle zwei Jahre.

28.+29.5., jeweils 16 bis 21 Uhr, Raketenstation, Neuss, die Veranstalter:innen empfehlen die Anreise via ÖPNV oder mit dem Fahrrad

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