Alexandra Wehrmann im Interview – „Der Alltag wird für einen Moment aufgebrochen“

In meinem journalistischen Leben habe ich schon einige ungewöhnliche Interviews geführt. Ich habe mal einen Hund befragt. Mal mit einer ziemlich eloquenten Kastanie gesprochen. Und mal mit dem Pizzabäcker Carlo Conti, den ich kurzerhand erfunden hatte. Nur eine fehlte noch in meiner Sammlung: ich selbst.

Wie entstand die Idee zu „Für einen Moment. Aktionen in der Einfahrt“?
Die Idee des lebendigen Adventskalenders ist ja nicht neu. Ich war vor einigen Jahren mal bei einem zu Gast und seitdem gärte es in mir. Irgendwann kam mir die Idee mit der Einfahrt als Veranstaltungsort. In Oberbilk, wo ich seit vielen Jahren lebe, gibt es ziemlich viele Hofeinfahrten. Leider hat das Haus, in dem ich selber wohne, aber keine.

Wie hast du die Einfahrt auf der Industriestraße gefunden?
Ich habe einen Aufruf über Facebook gestartet. Für das Posting habe ich vorab ein x-beliebiges Hoftor in Oberbilk fotografiert. Daraufhin hat sich jemand gemeldet, der genau in dem Haus wohnt und den ich schon von meinen Rundgängen kannte: Daniel Wiese. Daniel fand die Idee gut und hat sie an seinen Vermieter weitergetragen. Und der war wiederum einverstanden, dass ich die Aktion dort mache.

Wie schwierig war es, Leute zu überzeugen, an dem Projekt mitzuwirken?
Komischerweise gar nicht schwierig. Die meisten, die ich angefragt habe, mochten die Idee und hatten spontan Lust, dabei zu sein. Und das, obwohl ich ihnen nicht einmal eine Aufwandsentschädigung zahlen kann. „Für einen Moment“ ist komplette Selbst- und Fremdausbeutung. Das aber mit viel Liebe zum Detail.

Hast du denn für das Projekt keine Gelder beantragt?
Nein, dafür war ich auch zu spät dran. Um im Dezember 2019 Geld zu bekommen, hätte ich ja schon Ende vergangenen Jahres den entsprechenden Antrag einreichen müssen. Da wusste ich noch nicht mal, dass ich das Projekt überhaupt mache. Letzten Endes bin ich aber froh, dass es ohne monetäre Unterstützung geklappt hat. Fühlt sich einfach besser an. Und knietief im Dispo bin ich auch nicht.

Bei wem musst du dich auf jeden Fall noch bedanken?
Zuallererstmal bei meinem Freund, weil er mein Gelaber über die Aktion über so viele Wochen und Monate ertragen hat und für die Pressefotos in das Eulenkostüm geschlüpft ist. Dann bei Wiebke und Daniel Wiese, denen ich immer wieder mit Fragen, Problemen und Wünschen auf die Pelle gerückt bin. Dirk Feller hat die wundervollen Pressefotos gemacht. Und Claudia Sander die nicht minder wundervollen Plakate und Flyer. Hans-Jürgen Müller hat uns den Theatervorhang zur Verfügung gestellt und in Sachen Anbringung desselben beraten. Anne Domdey und Ralf Simonett haben die Wohnzimmerlampe organisiert. Marlin de Haan das Eulenkostüm ausgeliehen. Zu guter letzt gilt mein Dank natürlich dem Hausbesitzer, der sich für die Idee erwärmen ließ. Ich weiß allerdings gar nicht wie er heißt.

Du hättest das Ganze ja auch im Innenraum machen können. Warum ausgerechnet in einer Einfahrt?
Zum einen erinnern die Tore natürlich an die Türchen eines Adventskalenders, das gefiel mir daran. Ich finde es aber grundsätzlich auch einfach sehr reizvoll, derartige Veranstaltungen an einem doch eher ungewöhnlichen Ort stattfinden zu lassen. Dort, wo sie niemand erwartet. Das hat etwas Überraschendes, manchmal auch Skurriles. Der Alltag wird für einen kurzen Moment aufgebrochen. Ähnliches habe ich bei meinen Stadtrundgängen auch schon das ein oder andere Mal probiert. Da hat zum Beispiel mal ein Tänzer am Mintropplatz semi-erotische Moves gewagt. Ich selber habe bei solchen Aktionen vermutlich den allermeisten Spaß.

Warum nur ein Tor und nicht 24 unterschiedliche?
Das ist nicht ganz stimmig, ich weiß. Aber erstens sind Hausbesitzer für derart abwegige Ideen nicht eben leicht zu erwärmen. Und selbst wenn, hätte ich den Organisationsaufwand für 24 unterschiedliche Einfahrten nicht stemmen können.

Das Spektrum der Aktionen reicht von kurzweiligen Vergnügungen wie Pole Dance oder Karaoke über Konzerte und Dichterlesungen bis hin zu sehr ernsten Themen: Obdachlosigkeit, Beschneidung von Frauen oder Kampf gegen Braunkohle. Nach welchen Kriterien hast du das Programm zusammengestellt?
Rigoros nach meinem eigenen Gusto. Das ist bei diesem Projekt nicht anders als bei meinem Blog oder den Rundgängen: Ich orientiere mich beim Zusammenstellen in erster Linie an mir und dem, was mich umtreibt und was mir gefällt. Wenn es dann noch andere Leute interessiert, umso besser! Ansonsten ist es in der Einfahrt wie im Leben selber: Es gibt halt nicht nur unterhaltsame, witzige, leichte Momente. Sondern auch solche, die zunächst mal unangenehm sind, vielleicht sogar schmerzhaft. Deshalb sollte man sich vor ihnen aber keinesfalls verschließen.

Die einzelnen Aktionen dauern in der Regel nicht länger als 15 Minuten. Warum so kurz?
Weil im Dezember sowieso niemand Zeit hat. Ich dachte, 15 bis 30 Minuten kann man dem Tag vielleicht dennoch abringen. Der Veranstaltungsort ist total zentral, fünf Minuten zu Fuß vom Bahnhof entfernt. Man kann auf dem Weg von der Arbeit nachhause oder zum Glühweinstand locker einen Schlenker über die Industriestraße machen. Ich fände es aber auch schön, wenn Menschen ungezielt auf die Aktion stoßen würden. Einfach so, weil sie zufällig vorbeikommen. Schräg gegenüber den Einfahrt liegt zum Beispiel ein Büdchen. Davor stehen öfter Leute rum und trinken Bier. Die Vorstellung, dass die in die Einfahrt rüberkommen und sich dort vielleicht einen Opernsänger anhören, finde ich regelrecht beglückend.

Die Plakate und Flyer zeigen eine riesige Stoff-Eule vor der Einfahrt. Was hat es mit dem Vogel auf sich?
Die Eule ist lediglich ein Platzhalter für all die Überraschungen, die hinter dem Tor allabendlich passieren werden. Ich wollte halt nicht einen der Mitwirkenden auf dem Plakat abbilden, brauchte aber ein Motiv mit Wiedererkennungswert. Mittlerweile ist die Eule aber schon fast so was wie ein Maskottchen für das Projekt geworden. Deshalb überlege ich, sie zumindest an manchen Abenden tatsächlich vor Ort zu haben. Ich stelle mir das sehr schön vor: Ein eiskalter Dezember-Abend. Das spärliche Licht der Oberbilker Gaslaternen. Und irgendwo zwischen Bahndamm-Bordell, Kiosk und Waffenlager steht eine riesige Eule.

Was passiert an Heiligabend?
Heiligabend machen wir die Aktion nicht erst abends, da würden wir vermutlich unter uns bleiben, sondern schon mittags, um 13 Uhr. Was brauchen Menschen am Heiligabend am Dringendsten, habe ich mich gefragt. Entspannung! Deshalb machen wir Tai Chi. In der Hofeinfahrt. Ich selber habe das noch nie gemacht, aber mit Michael Wenzel wird ein erfahrener Tai-Chi-Könner vor Ort sein. Wer Michas Programm absolviert hat, geht völlig entspannt in die familiären Verpflichtungen. Den kann einen keine Großtante mehr schocken, selbst wenn sie randvoll mit Mariacron ist.

Für einen Moment. Aktionen in der Einfahrt: 1. bis 24. Dezember, 18:30 Uhr (am 24.12. bereits um 13 Uhr), Hofeinfahrt Industriestraße 33, Düsseldorf-Oberbilk, Eintritt frei

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