Kernkompetenz Widerstand. Der Geist der Kiefernstraße

Die Kiefernstraße ist so etwas wie der Gegenentwurf zum Düsseldorf-Klischee. Auf der einst besetzten Straße zeigt sich die Hochburg des Neo-Kapitalismus von einer gänzlich anderen Seite. Die Häuser sind bunt. Das Wohnen günstig. Die Bewohner alternativ. Nun soll in direkter Nachbarschaft der „Kiefern“ voraussichtlich ein Hotel entstehen. Und 140 Mikroapartments. Die Pläne des Leverkusener Entwicklers Cube Real Estate („We love Development“) stoßen bei den Menschen hinter den bunten Fassaden so gar nicht auf Gegenliebe. Sich mit den Plänen der Entwickler abfinden? Kommt für sie nicht in Frage. Ein Besuch vor Ort.

Wie eine Drohung prangt das große A auf der Seitenwand des Hauses mit der Nummer 20. A für Anarchie. Gleich hinter dem Haus liegt das B8-Center, das unter anderem Filialen eines Elektromarkts, eines Möbeldiscounters und einer Spielothek beherbergt. Seit dessen Eröffnung im Jahr 2010 hat sich viel verändert rund um die Kiefernstraße. Auf dem Gelände der Schwanenhöfe präsentiert sich die schöne neue Arbeitswelt nebst Fitness-Studio und Szene-Gastronomie. Auf der Kettwiger Straße wartet das B&B-Hotel mit günstigen Übernachtungsangeboten auf Gäste. Und gegenüber, auf der Werdener Straße, ist zuletzt das FlinCarrée entstanden. „Rund 184 Wohnungen, maßgeschneidert für Singles, Studenten und junge Paare oder perfekt nutzbar für Messebesucher und als Boardinghouse“ heißt es auf der Website von Pro Urban. Das Versprechen des Entwicklers: „Sie verdienen. Wir machen den Rest“. Slogans wie dieser machen unmissverständlich klar, dass sich Immobilienangebote wie die im FlinCarrée nicht an Geringverdiener richten. Und dass die Gentrifizierung im Stadtteil in vollem Gange ist.

Ein paar hundert Meter vom FlinCarrée entfernt steht Ann Jasmin Wiesen im Nieselregen vor dem Haus Kiefernstraße 4. Rechts und links von ihr, in den Fenstern der Off-Off Galerie K4, prangt papierner Protest: Plakate mit Slogans wie „Mit uns gegen den Ausverkauf unseres Viertels“ oder „Cube Real Estate raus aus Flingern“. Wiesen hat hennarote Haare und trägt einen Nasenring. Eine Immobilie im FlinCarrée könnte sich die 31-Jährige nicht leisten, nicht mal eine sogenannte Microflat. Mal ganz abgesehen davon, dass der moderne Wohnblock nicht die Umgebung wäre, in der sie sich wohlfühlen würde. Stattdessen hat sie sich vor drei Jahren bewusst für die Kiefernstraße entschieden. Vorher hat Wiesen im benachbarten Oberbilk gewohnt. 37 Quadratmeter für 400 Euro warm. Für Düsseldorf ein echtes Schnäppchen. Für die junge Frau irgendwann trotzdem zu viel. Das Geld war knapp und sie war es leid, als Werbetexterin entgegen ihrer Überzeugung für Automobilindustrie oder Pharmakonzerne zu arbeiten. In einem Alter, in dem andere Bausparverträge abschließen, beschloss Wiesen, ihr Leben radikal zu ändern.

Heute braucht sie gerade mal 300 Euro pro Monat, um über die Runden zu kommen. Die Kosten ihrer Wohnung sind da bereits eingerechnet. Wiesen bewohnt ein 21-Quadratmeter-Zimmer mit Hochbett, Badewanne und Kohleofen. Die Toilette im Treppenhaus teilt sie sich mit ihrem Nachbarn. Ihr Lebensentwurf ist, was das Materielle angeht, bescheiden: „Ich gehe nicht oft essen, koche lieber selber. Die Wäsche mache ich bei meinem Freund, der hat eine Waschmaschine.“ Weil sie für ihren Lebensunterhalt wesentlich weniger Geld erwirtschaften muss als früher, arbeitet sie mittlerweile nicht mehr für Automobil- oder Pharmakonzerne, sondern textet für Projekte aus den Bereichen Nachhaltigkeit oder Tierschutz. Themen, die ihr inhaltlich nahe sind. Ist sie jetzt glücklicher als früher? „Auf jeden Fall.“

Lebt seit drei Jahren auf der Kiefern: Ann Jasmin Wiesen

Die Freiberuflerin hat Brennnessel-Tee gekocht und serviert vegane Kekse. Im Sessel neben ihr schläft ihre Katze den Schlaf der Gerechten. Das Haus, in dem sie wohnt, erzählt Wiesen, funktioniere wie eine große WG: „Wir entscheiden alles gemeinsam.“ Die Basisdemokratie sei manchmal anstrengend, natürlich, „aber ich genieße die Community hier.“ Die meisten Wohnungstüren werden nicht abgeschlossen. Wenn man sich um eine Wohnung bewirbt, wird man nicht gefragt, wie viel man verdient, sondern ob man sich ehrenamtlich engagiert. Ob man sich vorstellen kann, Gartenarbeit zu übernehmen, oder Dienste im K4. Die Kiefernstraße hat ihre ganz eigenen Gesetze. Und ihre eigene Identität. Viele Menschen, die hier leben, haben die Häuser in den 1980er-Jahren mit besetzt – und sind geblieben, nachdem die Stadt im Jahr 1987 Mietverträge mit den ehemaligen Besetzern abschloss. Hier findet man keine Unternehmensberater, Anwälte oder BWLler. Stattdessen Künstler, Handwerker, Physiotherapeuten und Musiker. Auf der anderen, der Seite mit den geraden Hausnummern, lebt eine Roma-Familie. Die Bewohnerschaft der „Kiefern“ sei entschieden gegen Rassismus, gegen Sexismus. „Das wird hier seit je her gelebt“, so Wiesen.

Grundstück der ehemaligen Kfz-Werkstatt Drösser

Auch in Sachen Widerstand gegen die Pläne von Cube Real Estate herrscht Einigkeit auf der Straße. Alle, die hier leben, seien involviert in den Protest, so die Einschätzung von Wiesen. Die entsprechende Petition ist online, Unterschriftenlisten im Umlauf, Infostände und ein Brief an OB Geisel in Planung. „Wir wollen richtig Alarm machen“, sagt Ann Jasmin Wiesen. Sie möchte gar nicht so sehr darüber sprechen, wogegen sie sei. Lieber darüber, was sie und die anderen Kiefernstraßenbewohner sich für das 2017 verkaufte Gelände, auf dem früher eine Autowerkstatt betrieben wurde, wünschen. Sie seien für Sozialwohnungen. „Es wäre schön, wenn wir das hinbekämen. Wenn hier Leute einziehen würden, die hier wirklich leben möchten. Und nicht welche, die sich drei Tage im Monat aus ihren Mikroapartments die Punks anschauen.“ In einer Stadt müsse es Raum für alle geben. Für Arme, Künstler, Obdachlose, Alte, Geflüchtete. Und nicht nur für die Privilegierten, die die meisten Wohnprojekte ins Visier nehmen. Mit Cube Real Estate, dem Entwickler, der das Hotel und die Mikroapartments an der Erkrather Straße realisieren möchte, sind die Bewohner der Kiefernstraße schon seit Wochen via E-Mail im Austausch. Der Entwickler hat Transparenz und Dialog versprochen. Als kurz darauf ein Bagger einen Teil des Geländes aufriss, reagierte man auf der Kiefern mit Argwohn. Noch in dieser Woche wollen sich beide Seiten persönlich zusammensetzen.

Während wir in ihrer ungeheizten Altbauwohnung sitzen, reisen Ann Jasmin Wiesens Gedanken in die Zukunft. Ihr ist bewusst, dass auf der Kiefernstraße Leute leben, die viel Erfahrung haben in Sachen Widerstand und Kampf. Und dass Wohnen ein Thema ist, das alle Menschen angeht. Nicht nur in Flingern-Süd. Sondern in der ganzen Stadt, im ganzen Land. Entsprechend groß könnte das Thema werden. Die Kiefernstraße, die das in ihrer Nachbarschaft geplante Hotel und die Mikroapartments verhindern möchte, taugt als starkes Bild. Ähnlich stark wie die Baumbesetzer im Hambacher Forst. „Es gibt in Düsseldorf zwei über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Straßen“, schrieb die Welt im Mai 2006. „Die eine ist die Einkaufsmeile Königsallee, auf der sich die Stadt von der wohlhabenden Seite zeigt. Die andere ist die Kiefernstraße in Flingern.“ Könnte sein, dass man von letzterer demnächst noch viel hört.

Hier kann man die Online-Petition unterschreiben.

Und hier geht es zum Interview mit dem Entwickler Cube Real Estate.

 

1 Kommentar

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Hallo Alex,

toller Bericht und es macht einen trotzdem traurig, denn trotz aller Hilfe Bekundungen seitens der Stadt passiert …. nichts.
Weiterhin bekommt der Höchstbietende den Zuschlag um Grundstücke zu „entwickeln“, sprich mit maximalen Profit zu vermarkten

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