Jan-Paul Laarmann (Richtungsding) im Interview – „Ich fände ein Heft zum Thema Penis gut“

Richtungsding nennt sich eine Zeitschrift für junge Gegenwartsliteratur, die 2010 aus der Taufe gehoben wurde. Die jüngste Ausgabe erschien Ende April und versammelt Beiträge zum Thema „Rakete“. theycallitkleinparis hat mit Herausgeber Jan-Paul Laarmann gesprochen.

Vor einigen Tagen habt ihr das neue „Richtungsding“ in der Essener Zeche Carl vorgestellt. Wie wars?
Ich stehe ja da als Moderator auf der Bühne und habe einen recht kritischen Blick drauf. Ich glaube aber schon, dass wir unsere Gäste auf gehobenem Niveau unterhalten haben. Wir nehmen die Literatur, die unsere Autoren auf die Bühne bringen, ernst, aber wir wollen das Drumherum bewusst informell und amüsant halten. Sechs Lesungen fordern den Zuhörern schon eine ganze Menge Konzentration ab, da braucht es zwischendurch auch mal etwas Comic Relief. Das übernehme dann ich – manchmal freiwillig, manchmal unfreiwillig – in der Moderation. Dazu gibt es immer feine Musik und hoffentlich kurzweilige Autorengespräche, die die gelesenen Texte einordnen.

Seit wann gibt es das „Richtungsding“ schon?
Ich habe es 2010 mit Harald Gerhäußer gegründet. In dem Jahr war das Ruhrgebiet Europäische Kulturhauptstadt und wir beide wollten eigentlich aus Unzufriedenheit über ein größeres, offizielles Projekt, an dem wir uns beteiligt hatten, nur ein kleines, feines Unprojekt auf die Beine stellen. Inzwischen besteht das „Richtungsding“ aus einer sechsköpfigen Redaktion, die sich hauptsächlich aus bereits veröffentlichten Autoren zusammensetzt.

In welchem Turnus erscheint das Heft?
Wir haben ehrlich gesagt letztes Jahr von halbjährlich auf jährlich umgestellt. Es kann doch ein recht kräftezehrendes Hobby sein, sich durch Hunderte von Zuschriften zu wälzen. Und wir wollen das Heft ja auch gerne auf ein paar Lesungen vorstellen und nicht gleich ein neues nachschießen.

Jede Ausgabe ist einem Thema gewidmet. Welche waren das in der Vergangenheit?
Am Anfang waren alle Ausgaben themenoffen, das hatte aber den Effekt, dass wir uns einerseits vor Einsendungen nicht mehr retten konnten, andererseits aber auch die Leser nicht wussten, was denn jetzt der genaue Unterschied zwischen Richtungsding I, II und III sein sollte. Unsere Themenhefte spielen bisher alle mit dem Titel „Richtungsding“: In der bisher erfolgreichsten Ausgaben ging es in den „Norden“, einmal haben wir uns in „Rückwärts“ unter anderem geheimen Botschaften auf LPs und verkehrtherum erzählten Liebesgeschichten verschrieben und jetzt haben wir eine „Rakete“ gezündet. Dazwischen gab es noch ein Heft, das wir „Alle Richtungen“ getauft haben und mit dem wir feierlich unseren offenen Einsendemodus verabschiedet haben.

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Illustration: Benjamin Bäder

Du hast es schon erwähnt, „Rakete“ ist das Thema des neuen Hefts. Ist das in Zeiten, in denen Irre wie Donald Trump den Finger am roten Knopf haben, nicht ein wenig unpassend?
Nein, das ich finde nicht. Das Rückstoßprinzip der Rakete ist erstmal unabhängig von der zivilen oder militärischen Nutzung technisch – und im zweiten Schritt vor allem auch literarisch – spannend. Vom Silvesterfeuerwerk bis zur bemannten Raumfahrt, vom Raketenauto auf einem Salzsee bis zu Science-Fiction-Utopien – das Raketenthema gibt definitiv mehr her als Atombunker, Kriegsruinen und Star Wars. Im Heft finden sich vom Snooker-Spieler Ronnie the Rocket über Raketen von Aliens und in der Schweinezucht bis zur Rakete als Metapher für nicht ganz gesunde emotionale Ausbrüche ziemlich unterschiedliche Interpretationen des Themas. Wunderbarerweise ist uns da auf unsere Ausschreibung hin wenig Erwartbares zurückgeflogen, sondern eine ganze Menge Themen, mit denen wir definitiv nicht gerechnet haben.

Wie findet ihr eure Autoren?
Die Frage ist eher, wie finden die uns? Es freut uns, dass wir inzwischen Einsendungen aus allen Richtungen bekommen: Oft spielt da Mund-Propaganda unter den Autoren eine Rolle. Manchmal aber auch der Blick auf eine der Listen der x-hundert Ausschreibungen, die im Netz zu finden sind. Die Auswahl der Texte wird dann verblindet gemacht: Jeweils drei Redaktionsmitglieder lesen einen Text und überlegen, ob er für die Ausgabe geeignet sein könnte. Danach gibt es in einer zweiten Runde über die Texte immer wilde Diskussionen, meistens aber wie im Fall von „Rakete“ mit einer vollkommen friedlichen Lösung.

Du bist Herausgeber von „Richtungsding“. Steuerst du auch eigene Texte bei?
Nein. Im ersten Heft ist ein Text von mir und wir haben uns in frühen Tagen auch mal den Scherz erlaubt, unter Pseudonym einen Text einzuschleusen. Inzwischen sind wir da seriös: Alle Redaktionsmitglieder verzichten auf das Einreichen eigener Texte.

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Illustration: Benjamin Bäder

Mit Michaela Haikaus ist auch eine gebürtige Düsseldorferin unter den Autoren. Wovon handelt ihr Beitrag „Süße Galaxie“?

Er handelt von einer Ratte, die in einer siffigen Pizzeria mittels einer Silvesterrakete zum Mars fliegt. Hört sich niedlich an, liest sich aber höchst amüsant und ist einer der gekonnt heiteren Texte der Ausgabe. Wir haben häufiger Autoren aus Düsseldorf dabei, besonders empfehlen kann ich Tobias Steinfeld, der den Publikumspreis zum Thema „Norden“ gewonnen hat und der dann das Vergnügen hatte, mit 300 Euro Preisgeld in der Tasche nach Island zu reisen.

Bebildert werden die literarischen Texte von Benjamin Bäder. Was zeichnet seine Illustrationen aus?
In meinem Augen schaffen sie das notwendige Gegengewicht zur sonst sehr reduzierten Gestaltung. Benjamin Bäder nutzt bei jeder Ausgabe andere Stilmittel, die dem jeweiligen Thema gerecht werden und dem Heft über die einzelnen Geschichten hinaus noch mehr Zusammenhang verleihen. Eine Akzentfarbe, typografische oder Collagen-Elemente schaffen optische Verbindung zwischen den einzelnen Illustrationen, die häufig verspielt und assoziationsreich Schlüsselszenen der Geschichten aufnehmen. Sie sind ganz unverbindliche Deutungsangebote für die Texte und entstehen konzeptionell oft in mir als Herausgeber verschlossenen WhatsApp-Gruppen der Redaktion.

Auch wenn in „Richtungsding“ Autoren aus dem gesamten deutschsprachigen Bereich veröffentlichen: Wie schätzt du die literarische Szene in Düsseldorf ein – auch im Vergleich zum Ruhrgebiet, wo du ursprünglich herkommst?
Ich glaube, dass die Idee einer örtlichen literarischen Szene gerade in Zeiten, in denen man mit einer Mail jeden Text ans andere Ende der Welt senden kann, eine immer noch reizvolle, aber letztlich wenig tragende Fiktion ist. Oft gibt es kleine Kreise von Autoren oder wie in Bochum regelmäßige offene Bühnen, aber um daraus seriös eine Szene zu konstruieren, ist das zu wenig. Trotzdem gebe ich zu, dass wir der Verlockung auch manchmal nicht widerstehen. Was die Rolle der Literatur für die Stadt betrifft, habe ich schon das Gefühl, dass sie in Düsseldorf stärker bürgerlich, kanonisch und bibliophil geprägt ist, als im Ruhrgebiet. Mit dem Goethe-Museum und dem Heine-Haus sind es in Düsseldorf andere Bannerträger der Vergangenheit als Wolfgang Welt, Ulcus Molle Info oder die Arbeiterliteratur mit der Dortmunder Gruppe 61, die ich da in spontan ins Feld führen würde.

Wo kann man das Heft in Düsseldorf beziehen?
Das ist ein wunder Punkt. Die Barbara Buchhandlung in Moers verschickt auch an den Rhein und man kann es auch in jeder Buchhandlung von dort beziehen. Tatsächlich ist aber etwas mehr Vertriebsenergie gefordert, um es endlich auch mal bei BiBaBuZe oder bei Müller&Böhm unterzubringen. Wir arbeiten nach und versprechen auch in Düsseldorf eine baldige Raketenlesung, auf der man das Heft dann sogar handsigniert bekommt.

Letzte Frage: Welche Themen habt ihr für die Zukunft im Köcher?
Eine ganze Menge Unausgegorenes. Das nächste Thema könnte „abwärts“ werden. Und dann gibt es da noch einige in der Redaktion derzeit nicht mehrheitsfähige Herausgeberideen von einem politischen Heft zu „lechts und rinks“ nach Jandl, einem „Richtungsdingchen“ für Kinder, einer Ausgabe „Westwärts“ nach Rolf Dieter Brinkmann oder einem Heft zur Poetisieren des Digitalen. Ich fände tatsächlich auch ein Heft zum Thema Penis gut. Das würde ich gern als Herausforderung annehmen, bei dem Thema nicht in 50-Shades-of-Grey-Untiefen hinabzusinken. Allerdings wurden für den Fall einer Realisierung schon Redaktionsaustritte angedroht.

Richtungsding ist zum Preis von 8 Euro hier zu bestellen.

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