Axel Ganz im Interview (2)– „Die Clubs in Tbilissi eifern der Berliner Clubkultur nach“

Der Düsseldorfer Musiker Axel Ganz lebt seit drei Jahren in Georgien. Obwohl er die Sprache nur in Ansätzen beherrscht, ist er in der Zeit tief in das kaukasische Land eingetaucht. Im Interview mit theycallitkleinparis erzählt er über Konsonanten-Verklumpungen, die Situation von Minderheiten im Land und die lebendige Club-Szene in der Hauptstadt Tiblissi.

Georgien erlebt ja schon seit einigen Jahren einen ziemlichen Boom als Reiseland.
Der Boom ging meiner Erinnerung nach schon in den Nuller Jahren los. 2018 war Georgien dann Gastland der Frankfurter Buchmesse. Das hat noch mal einen großen Schub für den Georgien-Tourismus gebracht. Seitdem kommen viel mehr Touristen ins Land. Es gibt in erster Linie zwei Gruppen von Reisenden. Zum einen die jüngeren Backpacker:innen, die bergwandern und Abenteuer-Touren machen. Zum anderen das etwas bürgerlichere Publikum, das sich in erster Linie für die Kultur des Landes interessiert, für Klöster und Wein.

Irgendwo zwischen Tbilissi und Telavi: Kleinstadt Gombori, Foto: Axel Ganz

Haben euch denn schon viele Freund:innen in Georgien besucht?
Viel weniger, als wir dachten. Zwei. Einer kam vor der Pandemie. Und der zweite war im Januar diesen Jahres da.

Man liest ja in Deutschland immer viel über die Clublandschaft in Tbilissi. Wie nimmst du die aus der Nähe wahr?
Auf uns macht Tbilissi als kulturelles und politisches Zentrum einen sehr lebendigen Eindruck. Die Stadt hat ein total vielfältiges Kulturleben. Wenn man es plakativ sagen will: Es hat mich an Berlin in den Neunziger Jahren erinnert. Total viele Freiräume. Ein Kulturleben, das von spannendster temporärer Subkultur bis zur Hochkultur reicht. Wo es immer etwas zu entdecken gibt. Es gibt sehr viele alte Gebäude, Industriebrachen, wo man etwas machen kann. Das ist hier in Deutschland nicht mehr der Fall, selbst in Berlin nicht. Mit Beginn der Nuller Jahre ist in Tbilissi eine Szene für elektronische Musik entstanden. Es gibt ein wegweisendes Festival, das „4GB Festival“. Das hat nichts mit Gigabyte zu tun, sondern es sind die Initialen des berühmten georgischen DJs Gio Bakanidze, der mittlerweile verstorben ist und zu dessen Ehren das Festival ins Leben gerufen wurde. Das muss man sich so ähnlich vorstellen wie die Fusion in Deutschland. Da wird drei Tage lang Techno-Kultur in vielen Spielarten gefeiert. Später ist dann das Bassiani entstanden, das ist der legendäre Techno-Club unter dem Stadion. Der Club wird gerne mit dem Berliner Berghain verglichen. Überhaupt eifern die Clubs in Tbilissi der Berliner Clubkultur nach. Sie haben die besten Anlangen, es ist alles State of the Art, wie in Europa. Da wird an nichts gespart. Es gibt insgesamt vier Clubs, die dieses internationale Niveau haben: Bassiani, Khidi, Mtkvarze und TES. Im Mtkvarze hat im November 2019 noch Tolouse Low Tracks gespielt. Das TES ist ein relativ neuer Club, eine Industriebrache mit einem alten Kraftwerk aus den Zwanziger Jahren, direkt am Fluss gelegen. Mit großem Hof, mit einer Insel-Bar wie früher im Ego Club, mit einer super Anlage. Wenn ich dort bin, denke ich immer: Wow, so habe ich mir das früher erträumt. Und die machen das hier. Es ist wirklich fantastisch, was für Möglichkeiten es in Tbilissi gibt. Inzwischen habe ich erfahren, dass die Clubs dort für bestimmte Communitys eine Bedeutung über die Musik hinaus haben, die ein vergleichbarer Club in Deutschland nicht in dem Maße hat. Weil die Gesellschaft zwischen Liberalität und Konservativität, zwischen Orthodoxie und Öffnung nach Europa schwankt, haben es schwule oder lesbische Pärchen eben nach wie vor nicht so leicht, geschweige denn Trans-Personen. Die sind nach wie vor gezwungen, ein Schattenleben zu führen. Die einzigen Freiräume für Minderheiten in Tbilissi sind diese Clubs. Sie haben jede Nacht geöffnet, meist ab Mitternacht.

Wird in Tbilissi denn in erster Linie zu elektronischer Musik gefeiert? Wie vielfältig ist die Szene?
Es gibt viel, auch moderne Spielarten der traditionellen Musik. Viele Ensembles, die traditionelle kaukasische Musik mit Popmusik mischen. Für die jungen Leute ist natürlich ähnlich wie in Deutschland HipHop extrem wichtig. Es gibt auch Rockmusik, aber weniger. Ich würde sagen, die elektronische Musik hat schon die größte Szene in Tbilissi.

Du bist selbst auch Musiker. Hat sich die neue Umgebung auf deine Musik ausgewirkt?
Georgien pflegt seine traditionelle Musik. Mehrstimmiger Gesang, da sind sie ganz groß drin. So etwas wird man in meiner Musik nicht wiederfinden. Der Einfluss ist eher indirekter Natur. Die Situation in Georgien war für mich ideal, um Musik zu machen. Ich habe mir in unserem Haus in Telavi ein kleines Studio eingerichtet, in dem ich sehr konzentriert arbeiten kann. Am Anfang dachte ich, dass ich viele Field Recordings machen würde, das habe ich in Deutschland zehn Jahre lang gemacht. Letzten Endes habe ich mich dann aber eher auf andere Sachen konzentriert. Ich wollte hin zu algorhythmischer Musik. Ich habe mich ein bisschen über mich selbst gewundert, dass ich mich in dieses für mich total unbekannte Thema eingearbeitet habe. Am Ende sind jetzt in mein neues Pondskater-Album „Way Out Ouest“ aber doch ein paar Spuren mit Stimmen aus alten georgischen Schwarz-Weiß-Filmen eingeflossen.

Du hast die algorhythmische Musik, das sogenannte Live Coding, schon erwähnt. Wie funktioniert das genau?
Live Coding ist eine besondere Art, Musik zu performen. Die Künstler:innen sitzen vor einem leeren Editor. Und ihr Bildschirm wird via Beamer für die Konzertbesucher:innen übertragen, sodass jede:r sehen kann, welche Befehle du eingibst. Live Coding ist nur dann Live Coding, wenn der Code übertragen wird. Puristen sprechen sogar nur dann von Live Coding, wenn man mit dem komplett leeren Editor anfängt. In dem Fall passiert vielleicht am Anfang noch recht wenig. Nur eine Kick Drum, nur ein Beat. In der Folge kommen Elemente dazu, andere werden wieder weggenommen – so entsteht ein Track. Diese Art, Musik zu machen, unterscheidet sich sehr stark davon, wie ich vorher Musik gemacht habe. Da sind die Songs im Proberaum entstanden. Erst wenn sie fertig waren, bin ich damit auf die Bühne gegangen. Live Coding funktioniert ganz anders. Man improvisiert. Der gleiche Ansatz wie im Jazz. Ich persönlich fange allerdings nicht mit dem komplett leeren Editor an, sondern bereite Codes vor – und variiere die dann. Einige Puristen belächeln das. Viele Andere sind aber offener, was das angeht. Manche Live Coder steuern auch externe Instrumente an, Synthesizer oder Drum Machines. Das mache ich teilweise auch.

Und inwiefern passt ein Tonträger zu dieser Art von Musik? Du hast ja gerade erzählt, dass das Ganze von Improvisation lebt.
Ich bin halt immer noch ich, mit meiner ganzen Musiksozialisation. Auch wenn ich seit vier Jahren code, schleppe ich natürlich trotzdem meine anderen Ideen und Konventionen noch mit. Vielleicht mache ich deshalb immer noch Platten oder Kassetten oder Veröffentlichungen. Weil ich das immer noch gut finde. Aber ich habe tatsächlich festgestellt, dass es von meinen Stücken oft mehrere Versionen gibt. Weil mich das improvisatorische Element dazu bringt, das Stück nie zweimal gleich klingen zu lassen.

Aber du zeichnest die Stücke schon auf?
Ja, ab einem gewissen Punkt zeichne ich sie auf. Ich archiviere den Code, die Samples, alles.

Wie bist du denn auf Live Coding gekommen?
Vor vier Jahren traf ich im Oberbilker Bioladen auf der Heerstraße Markus van Well. Wir unterhielten uns über Musik und er fragte mich, ob ich schon mal was von Live Coding und algorhythmischer Musik gehört hätte. Ich kannte das überhaupt nicht, fand es aber total interessant. Markus und ich haben uns dann mal getroffen. Mittlerweile ist eine richtige kleine Community von vielleicht zwanzig Musiker:innen daraus entstanden, aus Düsseldorf, aber auch aus Leipzig, Frankfurt, Bremen oder Karlsruhe. Wir nennen uns TopLap Düsseldorf. Das sind zum einen Leute wie Markus und ich, die popkulturell sozialisiert, und, was das Coden angeht, Autodidakten sind. Wir haben aber auch einige jüngere Leute dabei, die an der Musikhochschule studieren. Die machen natürlich ganz andere Musik als wir.

Trittst du mit deinem Solo-Projekt Pondskater auch in Georgien auf?
Während der ersten beiden Corona-Jahre ging leider fast nichts. Aber in diesem Frühjahr konnte ich zaghafte Kontakte zur Tbilissier Musikszene knüpfen. Der künstlerische Leiter des TES ist DJ Generali Minerali, ein junger georgischer Musiker. Er agiert als DJ international und kuratiert das Programm des TES. Der fand das interessant, was ich mache, und hat mich eingeladen, einen Vortrag über Live Coding zu halten. Neulich hatte ich dann eine Radioshow, das heißt, es war kein Publikum im Club, sondern mein Set wurde live gestreamt. Wenn ich nach Georgien zurückkomme, möchte ich auf jeden Fall mehr machen.

Teil 1 des Interviews gibt es hier.

Teil 3 des Interviews gibt es hier.

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