Marlon Bösherz im Interview – „Ich brauche die Resonanz“

Er ist Lyriker, Musiker und bildender Künstler. Während des diesjährigen asphalt Festivals zieht Marlon Bösherz ins Weltkunstzimmer ein, um dort in einem offenen Atelier zu leben und zu arbeiten. Die Besucher:innen erhalten Einblick in künstlerische Entstehungsprozesse und können hautnah verfolgen, wie Bösherz zeichnet und liest, schreibt und denkt – ein purer, unmittelbarer Schulterblick in das Künstlerdasein. theycallitkleinparis hat mit Marlon Bösherz gesprochen.

Marlon, du bist Lyriker, Musiker und bildender Künstler. Im Rahmen des diesjährigen asphalt Festivals ziehst du ins Weltkunstzimmer ein und lebst und arbeitest dort in einem offenen Atelier. An insgesamt sieben Tagen können dich die Festival-Besucher:innen besuchen. Wie entstand die Idee zu der Aktion?
Oft schweben die Ideen förmlich in der Luft. Die kunstschaffende Person stößt durch Zufall auf ein Buch oder eine Idee, ein Impuls und passende Situationen kommen dazu. Möglichkeiten. So hatte ich nach einem Umzug in ein neues Atelier und meine stete Fähigkeit, Räume bespielen und füllen zu können, irgendwo in einer Hirnecke den Wunsch und die Idee einmal meine Raumerschließung – ob sie nun gelingt oder nicht – offen zu legen. Ich hatte in meinen Ateliers in gewissen Phasen immer Menschen, Künstler:innen oder nicht, und gerade die unfertigen Arbeitssituationen schienen die spannenden zu sein. Oft wurde ich dann auch gefragt, wo ich denn meine Texte hernehmen würde, wo die Gedanken sich formten. Häufig konnte ich es gar nicht beschreiben. Natürlich, sie formen sich plötzlich, ein Satz wird aufgeschnappt oder schießt durch das Dauerdenken hervor. Dann passiert allerdings in vielen Punkten die Kombination aus Wissen, Übung und Eingebung. Sich einen Katalog zu schaffen, aus dem geschöpft werden kann, ist in allen Richtungen wichtig für mich. Die Entstehung eines solchen Katalogs zum Beispiel durch ein neues Atelier, andere Energien und neuen Input, ist das Moment, das ich zeigen möchte. Es sind in letzter Zeit auch neue Ideen entstanden, die ich gerne einem Ortswechsel aussetzen möchte.

Die meisten Künstler:innen arbeiten bevorzugt unter Ausschluss der Öffentlichkeit und zeigen ihre Werke erst, wenn sie fertig sind. Was reizt dich daran, die Menschen am Entstehungsprozess teilhaben zu lassen?
Ich kann mir vorstellen, dass es manche Menschen interessieren könnte. Zudem erlebe ich gerade selbst beim Arbeiten, wie manche Skizzen, welcher Art auch immer, einfach schon zünden, eine Welle erzeugen, etwas ins Rollen bringen. Das erzeugt ein Moment der Spannung. Ich habe keine Scheu, keine Scham, auch meine Fehler, mein Stolpern, die Umwege, Forschen und Treffer aus dem Unterbewusstsein zu zeigen. So oder so hat die Lyrik, für mich auch die Kunst, somit auch das Leben die Wahrheit des Irrtums inne.

Im Weltkunstzimmer sollen auch Texte entstehen, die durch Gespräche mit Gästen inspiriert sind. Ist diese Arbeitsweise für dich neu?
Nein, mein Schreiben passiert überwiegend durch den Kontakt mit der Welt. Es allerdings auf diese Weise zu konzentrieren beziehungsweise in einer performativen Ausstellung zu aktivieren, ist noch nicht so oft passiert.

Wie wichtig ist dir generell der Austausch mit Betrachter:innen, Zuhörer:innen und Leser:innen, also mit jenen, die deine Arbeit konsumieren?
Extrem wichtig, wenn es ein Austausch ist. Immer nur in sich hinein zu horchen reicht mir nicht. Ich bin grundsätzlich ein kommunikativer Mensch, aktiv und passiv. Ich brauche die Resonanz. Darin finde ich Antworten und Fragen.

An welchen Projekten arbeitest du gerade?
Zunächst einmal das DjoundBo Kollektiv, dazu gleich mehr. Dann gibt es die Band Botticelli Baby, mit der ich viel auf Tour sein werde. Auf diesen Fahrten durch Europa erlebe ich vieles, was ich in meine Kunst einfließen lasse. Allein das Hochgefühl auf der Bühne und die vielen Menschen, die mir begegnen, inspirieren mich. Ende des Jahres wird es eine Zeit im Studio geben, um ein paar neue Songs aufzunehmen. Die Lyrik läuft durch alles hindurch und einige neue Ansätze, mit Text und Schrift umzugehen, will ich beim asphalt festival vertiefen. Auch mein musikalisches Solo-Projekt The Puffins reift und wird weiter wachsen.

Du hast Philosophie und Geschichte an der Uni Duisburg-Essen studiert. Seit 2015 bist du Student an der Kunstakademie Düsseldorf. Du hast zahlreiche Ausstellungen und Performances realisiert, ein Buch geschrieben und mit deiner Band Botticelli Baby europaweit Konzerte gespielt. Man könnte den Eindruck gewinnen, du seist rund um die Uhr kreativ. Geht das?
Ja, das geht. Das geht so lange gut, bis ich eben umkippe. Was versteht sich unter Kreativität, frage ich mich hier und führe zur Frage zurück? Irgendwann kam ich an den Punkt, feststellen zu müssen, dass ich gar nicht aufhören kann, Dinge, Eindrücke, Menschen zu sammeln, wahrzunehmen, aufzunehmen und mich berühren zu lassen. Ich konnte das Leben nicht beenden. Inspiriert zu sein und zu inspirieren, was sowohl zu meinem eigentlichen künstlerischen Arbeiten, als auch dem Alltag führt. Morgens einen Kaffee zu trinken ein paar Notizen zu machen, einen Traum festzuhalten, ein paar Gedichte zu lesen oder Musik zu hören gehört für mich genauso zu meiner Arbeit wie konzentrierte Stunden an meinem Arbeitsplatz im Atelier oder auf der Straße. Es ist also immer ein Spiel aus In- und Output. Es ist immer das Leben, meine Arbeit und mein Leben.

Du hast es schon kurz erwähnt: In diesem Jahr hast du gemeinsam mit der Künstlerin Josefine Henning das Kunstkollektiv ›DJOundBO – TRÄNEN, SEX und ALKOHOL‹. Was ist von euch beiden zu erwarten?
Wir werden uns konkret mit Duo-Performances auseinandersetzen. Was kann zum Beispiel Zärtlichkeit in einer Künstler:innen-Beziehung sein? Oder die Beobachtung des Anderen im jeweiligen Dasein? Es wird einen Gedichtband geben mit Linoldrucken und Gedichtzeichnungen, der schon 120 Seiten beschreibt, im Augenblick. Ein Verlag wird übrigens noch gesucht! Linoldrucke, Polaroid-Fotografie und mobile Installationen und Ausstellungskonzepte für das ganze Jahr. Einige Ausstellungen sind in Planung, die sich mit Raum-in-Raum-Konzepten und Performance-Erinnerungen, Überbleibseln und Live-Darstellungen, dem Schaffen eigener Räume befassen können. Malerei, Zeichnung und Notizbuch-Kunst sind stets Blut des Ganzen. Aufkleber, Lesehefte und kleinere Erarbeitungen fließen mit. In all diesem Losgehen sind auf dem Weg oder eben Umweg – gerade letzterer ist besonders wichtig – alle Fehler erlaubt. Das Leben ist das Leben von Künstler:innen, in diesem Fall.

Marlon Bösherz: Offenes Atelier, 30.6., ab 19 Uhr, 1.-6.7., jeweils ab 18 Uhr, Lagerraum Weltkunstzimmer, Düsseldorf, Eintritt frei

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