Studierende der Baukunst-Klasse im Interview – „Die Heyestraße hat die Chance, zu verbinden“

In zwei miteinander korrespondierenden Projekten setzen sich Studierende aus der Baukunst-Klasse der Düsseldorfer Kunstakademie derzeit mit der Heyestraße in Gerresheim auseinander und versuchen dabei, auf spielerische Art das Potenzial des öffentlichen Raums auszuloten. theycallitkleinparis hat vier von ihnen zum Interview gebeten. Als da wären Selina Redeker, Elena Kasnatschejew, Alexander Horbach und Sascha Lehnhardt.

Wie kamt ihr als Baukunst-Klasse der Akademie darauf, euch mit der Heyestraße zu befassen?
Selina: Die Idee für den Ort ist auf unseren Professor Thomas Kröger zurückzuführen. Im letzten Semester hat sich ein Teil der Studierenden mit den Themen und Problematiken von Wohnen und Arbeiten im ländlichen Raum beschäftigt. Nun sollte es an den Stadtrand gehen. Hier lassen sich ähnliche Probleme wie in zum Teil abgehängten ländlichen Regionen erkennen. Die südliche Heyestraße ist vor allem durch die Schließung der Gerresheimer Glashütte seit 2005 von zunehmendem Leerstand betroffen. Die geplante Neubebauung des Glashütten-Areals und der Umbau der ehemaligen Unfallkasse auf der Heyestraße 99 werden Auswirkungen auf die Straße und das Viertel haben. Auch der Druck auf den Wohnungsmarkt im Zentrum und die gute Anbindung durch die S-Bahn werden Gerresheim zunehmend interessanter machen. Durch unseren Professor kam im Übrigen auch der Kontakt zum Eigentümer der Unfallkasse, Euroboden, zustande auf dessen Vorplatz der Pavillon aufgestellt werden durfte. Auch die Bezirksbürgermeisterin Frau Icking von den Grünen war von Anfang an sehr interessiert an dem Projekt und hat das Semester aufmerksam und hilfsbereit begleitet.

Was hat euch an der Straße interessiert?
Sascha: Die große Ambivalenz zwischen der spezifischen italienischen Atmosphäre, die stark durch die Gastarbeiter:innen und deren Familien, die zu Zeiten der Glashütte nach Gerresheim kamen, geprägt wurde und dem vielen Leerstand.
Elena: Diese besondere Atmosphäre zeichnet sich vor allem durch das Leben aus, das auf der Straße stattfindet. Die Nachbarschaft begegnet sich hier an ein paar wenigen Orten – das Café Venezia ist zum Beispiel ein sehr zentraler Ort. Den ganzen Tag über treffen dort junge und alte Bewohner:innen aufeinander und sind im Gespräch. Trotzdem gibt es wenige Orte, die eine echte Aufenthaltsqualität bieten. Für uns war es in der Auseinandersetzung mit der Straße interessant, Potenzialorte herauszuarbeiten, die ein Gleichgewicht zu den straßenspezifischen Qualitäten herstellen können.

Was macht die Straße in euren Augen aus?
Selina: Die Straße zeichnet sich durch die gut vernetzte Nachbarschaft und das kleinteilige soziale Gefüge aus. Neben der sozialen Struktur, die sehr heterogen geprägt ist, bieten die Heyestraße und angrenzende Orte große, ungenutzte räumliche Potenziale. Der Straßenraum selbst hat eine hohe bauliche Dichte, ist relativ schmal und wird von der Straßenbahn und Autos durchfahren. Für Fußgänger, Fahrradfahrer und Außengastronomie ist wenig Raum. Dennoch spielt sich hier ein großer Teil des alltäglichen Lebens draußen ab. Der sogenannte Rote Platz, der sehr zentral auf dem unteren Straßenabschnitt liegt, könnte ein belebter Stadtplatz sein. Da er sich jedoch in privater Hand befindet und somit andere Interessen bedient, wurde hier von jeglicher Aufenthaltsqualität abgesehen.
Alexander: Die einmalige Atmosphäre der Heyestraße gilt es zu erhalten und weiterzudenken! Das Projekt „A Circus“ stellt sich den Fragen der „Planungsphase 0“, hinterfragt wie Stadtplanung erst einmal qualitativ statt rein quantitativ bemessen werden kann. Was bedarf es aus Sicht der Bewohner, bevor die eigentlichen Maßnahmen geplant werden? Die Heyestraße bietet dahingehend ein spannendes und auch ambivalentes Publikum und steht gewissermaßen prototypisch für heutige Probleme in Städten – Überalterung, Arbeitslosigkeit, die Folgen einer verkehrsgerechten Stadtplanung und vor allem den Mangel an öffentlichem Raum. Der zukünftig große Druck des Wohnungsmarktes auf das Heyeviertel wird diese Probleme verstärken und in ein anderes Licht rücken. Wir sehen das als große Chance, noch mitzugestalten. Wir möchten die Zeit nutzen, in die Straße reinzuhören, neue Bilder zu schaffen und diese an die Vertreter aus Politik und Wirtschaft zu vermitteln.

Selina und Elena, ihr habt für euer Projekt „HeyHeye“ einen leerstehenden Waschsalon genutzt. Wie kam das?
Selina: Wir haben schon zu Beginn des Semesters Kontakt zu den Eigentümern des Waschsalons aufgenommen, da wir ihn als Arbeitsraum nutzen wollten, während wir die Heyestraße analysierten. Wir sahen in ihm den idealen Ort, um einen der vielen Leerstände auf der Straße neu zu besetzen und einen Anker in der Nachbarschaft zu haben. Ein Ort von dem aus wir mit Aktionen starten konnten und in den wir einladen können. Leider bekamen wir erst Ende Juli die Zusage. Dafür können wir, bis sich ein langfristiger Nachmieter für die Räumlichkeiten gefunden hat, dort bleiben.

Was genau habt ihr in dem Waschsalon gemacht?
Elena: Wir haben hier unsere Semesterarbeit fertiggestellt und auch unsere Semesterabschlusspräsentation dort veranstaltet. Durch die Präsenz vor Ort sind wir mit vielen Anwohner:innen beiläufig ins Gespräch gekommen und konnten so ein dezidiertes Meinungsbild erhalten. Unser Semesterthema „Common Grounds“ hat eine begleitende Fotoausstellung, bei der zu jedem Projekt eine spezifische fotografische Annäherung an den jeweiligen Ort gezeigt wird. Diese ist gerade an den Wänden des Waschsalons zu sehen. Vertreten sind hier auch die Arbeiten weiterer Kommilitonen. Rudolf Schingerlin hat sich zum Beispiel mit der Plessingstraße in Duisburg auseinandergesetzt. Tobias John und Marcel Arndt haben sich mit den denkmalgeschützten Gebäuden der ehemaligen Glashütte beschäftigt. Vom Waschsalon aus konnten wir auch unsere kleine Aneignungsaktion „Platzgeben” starten, bei der wir den roten Platz mit Stühlen bespielten. Auch unsere Umfrage, für die wir die großen Schaufensterflächen nutzen konnten, fand dort statt.

Ihr habt unter anderem Passant:innen und Anwohner:innen zur Heyestraße befragt. Was wolltet ihr von den Menschen wissen?
Selina: Wir haben unsere Umfrage auf vier sehr simple, aber wichtige Fragen beschränkt; der Zugang zur Beantwortung sollte möglichst niedrigschwellig sein. Was fehlt Ihnen auf der Heyestraße? Was mögen Sie an der Heyestraße? Was stört Sie an der Heyestraße? Und: Was wünschen Sie sich in diesem Laden?

Und welches Meinungsbild hat sich dabei ergeben?
Selina: Das Meinungsbild, das sich daraus ergab, hat einiges von dem bestätigt, was wir selbst auch schon wahrgenommen hatten. Viele Wünsche und Vorstellungen für die Heyestraße betrafen in erster Linie das Versorgungsangebot und die Außenraumgestaltung. Die Nachbar:innen wünschen sich einen Drogeriemarkt zurück und einen weiteren Supermarkt, aber auch mehr Grünflächen, mehr Angebote für Kinder und Jugendliche, einen Buchladen oder auch wieder einen Waschsalon. Als störend wurde oft die Verkehrssituation und der Leerstand benannt. Schön war, zu sehen, dass sich viele in dem sozialen Umfeld wohl fühlen, sodass unter der Frage, was sie an der Heyestraße mögen, oft die Antwort „die Menschen” zu lesen war.
Elena: Die große Bereitschaft, sich mitzuteilen und Wünsche und Ideen zu äußern, kann auch als Interesse gedeutet werden, das Viertel mitzugestalten. Für uns wirkte das sehr motivierend. Die Umfrage hat gezeigt, dass sich die hier lebenden Menschen stark mit ihrem Viertel identifizieren und gerne zu einer positiven Veränderung beitragen wollen.

Was passiert mit den Meinungen der Anwohner? Werden die in irgendeiner Form weitergegeben, zum Beispiel an die lokale Politik?
Selina: Im Rahmen des Pavillon-Programms unseres Projekts „A Circus“, um das sich Alexander Horbach und Sasha Lehnhardt kümmern, sind die wichtigsten Bezirksvertreter:innen zu Bürgerdialogen geladen. Den Auftakt bildete ein Abend mit Frau Icking, der Bezirksbürgermeisterin. Die Auswertung unserer Befragung kann hierbei eine gewichtende Rolle spielen, um bestimmten Themen mehr Nachdruck zu verleihen. Geplant ist aber auch noch eine grafische Auswertung, die an der Scheibe des Waschsalons angebracht werden soll und somit das allgemeine Meinungsbild an die Nachbarschaft zurück kommuniziert.

Foto: A Circus-Pavillon, Foto: Alexander Horbach

Welche Veranstaltungen sind darüber hinaus im Rahmen von „A Circus“ geplant?
Sascha: Der Pavillon steht hier bis einschließlich 25. September. Als kommende programmatische Highlights sind zum Beispiel die Veranstaltungen der „Circus talks”-Reihe zu nennen, die am 10. September um 18:30 Uhr mit „Theorie und Praxis@common grounds“ beginnen wird. Zudem gibt es unter dem Titel „Circus on air“ mehrere Filmabende. Und einen Kindernachmittag am 15. September ab 16 Uhr, bei dem zusammen mit dem Künstler Cole Blaq Schablonen-Graffitis entstehen werden.

Ihr habt es schon erwähnt: Teil des Projekts ist auch die Ausstellung „Common Grounds“. Was ist deren Ausgangsidee? Was haben die gezeigten Arbeiten mit der Heyestraße zu tun?
Selina: Die Ausgangsidee des Titels „Common Grounds“ ist auf die Thematik zurückzuführen, wie städtischer Raum geteilt ist in öffentliche, gemeinschaftliche Flächen und privat verwaltetes Eigentum. Im Hinblick auf diese Thematik stellten wir uns viele Fragen. Welche Qualitäten muss der öffentliche Raum bieten? Welche Verantwortung trägt die Politik und wie kann der einzelne Bürger oder eine Initiative als Zusammenschluss aus verschiedenen Akteur:innen den städtischen Raum mitgestalten? Wie muss in Zukunft mit städtischem Raum umgegangen werden? Und wie muss öffentlicher städtischer Raum gestaltet sein? Wie können alte und neue Nachbarschaften zusammenwachsen? Am Beispiel der südlichen Heyestraße wollten wir die Parameter für eine lokale Stadtentwicklung untersuchen. Unter diesem Aspekt ist zum Beispiel die Auseinandersetzung mit der zukünftigen Nutzung der übrig gebliebenen baulichen Fragmente der Glashütte zu nennen. Es wurde untersucht und herausgearbeitet, durch welche Nutzungen sich die Gebäude für die Öffentlichkeit aktivieren lassen. Eine weitere Arbeit setzt sich mit dem Straßenraum der südlichen Heyestraße auseinander. Hier stand im Fokus, wie räumliche Potenziale durch kleine „minimalinvasive” Eingriffe herausgearbeitet werden können. Hierfür spielte die mögliche Einbindung und Vernetzung von lokalen Akteur:innen eine genauso große Rolle wie die Form der Gestaltung. Es wurde hierbei nach einfachen und partizipativ anwendbaren Gestaltungsmitteln gesucht.

Findet das komplette Programm von „A Circus“ im Pavillon statt? Oder gibt es auch Veranstaltungen im ehemaligen Waschsalon?
Sascha: Das Programm ist für die Bespielung des Pavillons entwickelt worden, der Waschsalon fungiert währenddessen eher als Schlechtwetter-Alternative. Im Pavillon sind derzeit an den Wänden Zeichnungen aus den Semesterprojekten zum Thema „Common Grounds“ zu sehen und in Korrespondenz dazu im Waschsalon die fotografische Begleitung zu den jeweiligen Projekten.
Selina: Für den Waschsalon soll ein kleineres Programm erarbeitet werden, das noch mehr auf die lokalen Bedürfnisse an flexibel nutzbaren Innenraum abgestimmt werden soll. Zum Beispiel kleine nachbarschaftlich organisierte Ausstellungen oder ein tageweise stattfindendes Nachbarschaftscafé. Hierfür ist wiederum der Einbezug von lokalen Akteur:innen wie zum Beispiel der Quartiersmanagerin von Bedeutung. Als Studentinnen der Kunstakademie können wir uns aber auch vorstellen, unsere räumlichen Möglichkeiten zu nutzen, um Kommiliton:innen einzuladen, sich künstlerisch mit dem Ort auseinanderzusetzen oder auch einen temporären Arbeitsplatz anbieten.

Was kann ein Projekt wie eures langfristig bewirken?
Sascha: Es kann ein Stein des Anstoßes sein, damit sich Nachbar:innen, Anwohner:innen, Gewerbetreibende und Politiker näherkommen, sich austauschen, gemeinsam Lösungsansätze für bestehende Probleme formulieren und Ziele für die Zukunft der Heyestraße setzen.

Wo seht ihr die Potenziale der Heyestraße?
Alexander: Die Heyestraße Süd ist in besonderem Maße eine Durchfahrtsstraße. Sie verbindet das nun brachliegende Glashüttengelände mit dem pittoresken Altstadtkern Gerresheims rund um die Basilika St. Margareta. Es gibt eine historisch gewachsene Trennung zwischen dem „oberen“ und dem durch das ehemalige Arbeitermilieu geprägten „unteren“ Gerresheim. Die Heyestraße hat die große Chance, zu verbinden! Dafür bedarf es der öffentlichen Räume, der gemeinsamen Räume, der Räume zum Verweilen. Die italienische Prägung der Gastarbeiter aus den fünfziger Jahren ist noch heute auf der Straße spürbar und belebt die wenigen Stadtnischen wie den Roten Platz. Der Freiraum um die Gustav-Adolf-Kirche zeigt das Potenzial zukünftiger Straßen- und Stadträume. Diese Qualitäten gilt es durch unser Projekt herauszuarbeiten und zu stärken. Der Vorplatz der ehemaligen Unfallkasse könnte in diesem Zusammenhang einmal mehr zum „pocketpark“ werden, den Straßenraum erweitern und ein Wechselspiel der gemeinsamen Räume mit Rotem Platz und dem etwas weiter oben gelegenen Kinderspielplatz entlang der Heyestraße eröffnen.

Was wünscht ihr der Heyestraße?
Selina: Wir wünschen der Heyestraße, dass sie sich ihre bestehenden Qualitäten bewahren kann – trotz der bevorstehenden Veränderungen. Wir hoffen, dass die Politik erkennt, dass ein Viertel, das von einer solchen sozialen Breite profitiert, sich diese unbedingt erhalten muss. Der öffentliche Raum der Heyestraße sollte in partizipatorischen Prozessen entwickelt werden. Hierbei muss auch eine gewisse Übernahme von Verantwortung bei Eigentümer:innen eingefordert werden, die unmittelbar an den öffentlichen Raum angrenzende Flächen verwalten. Seien es die zum Teil nur durch spekulative Interessen begründeten Leerstände von Ladenräumen oder die Stadtplätze vor Gebäuden, die keine Aufenthaltsqualität anbieten wollen. Es muss eine Aufwertung der Straße im Sinne der Anwohner:innen stattfinden, die sensibel, behutsam und partizipativ vonstatten geht. Wir hoffen, dass wir ein Teil dazu beitragen können und durch die Plattform, die gerade durch den Circus-Pavillon entstanden ist, neue Impulse im Viertel gesetzt werden.

Was passiert mit dem Pavillon, wenn das Projekt in Gerresheim abgeschlossen ist?
Sascha: Der Pavillon zieht im Sinne seines temporären Wesens weiter und bespielt im Oktober eine als Parkplatz genutzte Freifläche vis à vis der Kunstakademie Düsseldorf.
Alexander: Die gerade besprochenen Probleme stellen sich nicht nur auf der Heyestraße. Wir hätten uns in Düsseldorf keinen besseren Auftakt vorstellen können und doch freuen wir uns, weiterzuziehen. Wir freuen uns, den Prozess an anderer Stelle wieder mitzugestalten und diese Fragen an einem neuen Ort neu zu adressieren. Wie der klassische Circus auf der weitläufigen Wiese schlagen wir unser Zelt auf – in der Heerstraße auf einem brachliegenden Vorplatz, vor der Kunstakademie auf einem Parkplatz – offenbaren für kurze Zeit eine fantastische Welt und ziehen sodann weiter. Es geht insbesondere darum, Gedanken anzustoßen und Bilder zu schaffen. Bilder einer vom Fußgänger und Nachbarn gedachten Stadt und vor Leben sprudelnder gemeinsamer Räume. Gerade ohne den Anspruch auf Dauerhaftigkeit hinterlässt der Circus auch nach seiner Weiterreise die Phantasie des Möglichen an eben jenem Ort.

Mehr Infos zum Projekt gibt es hier.

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