Bernardo San Rafael im Interview – „Die Schwäne sind meine Rettung gewesen“

Bernardo San Rafael kannte man in Düsseldorf als den „Teddy-Mann“. Seine Performances im öffentlichen Raum, bei denen der Tänzer in einem Kostüm aus Dutzenden von Teddybären unterwegs war, löste bei Passanten extreme Reaktionen aus – von Begeisterung bis hin zu Unverständnis. Vor circa einem Jahr hat San Rafael seine langjährige Heimat Düsseldorf verlassen. Mittlerweile pendelt er zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Zürich. Dort hat der gebürtige Costa Ricaner nun das Eisschwimmen für sich entdeckt. Was als Experiment begann, hat sich längst zu einer Tanz-Performance entwickelt, in der auch die Schwäne, die sich am Ufer des Zürisees sammeln, eine Rolle übernehmen. theycallitkleinparis hat mit San Rafael gesprochen.

Künstler machen seit Beginn der Pandemie eine sehr schwere Zeit durch. Es gibt kaum Auftritts-und Arbeitsmöglichkeiten und dementsprechend kommt wenig Geld rein. Wie ist deine momentane Situation? Wie deine Gemütsverfassung?
Es ist eine Achterbahnfahrt. Mal bin ich optimistisch, zum Glück meistens. Aber es gibt momentan auch Phasen, in denen ich mich lethargisch fühle. Die finanzielle Situation für uns Künstler ist eine Katastrophe, die Hürden, um Unterstützung zu bekommen, sind sehr hoch. Dazu kommt, dass ich weder in Deutschland noch in der Schweiz, wo ich gerade lebe, Gelder beantragen kann.

Du hast 12 Jahre in Düsseldorf gelebt. Einen Tag vor Beginn des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 bist du nach Mecklenburg-Vorpommern gezogen. Warum?
Ich kam mit dem psychologischen Druck nicht klar. Ich hatte keine Arbeit mehr, habe nichts verdient und konnte meine Miete nicht mehr bezahlen. Dazu kam, dass die Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz geschlossen war. Mein Lebensgefährte war in Zürich und ich hockte alleine in Derendorf. Ich habe meine Wohnung dann gekündigt und bin in ein Haus in Mecklenburg-Vorpommern gezogen. Das habe ich vor fast zehn Jahren für einen Appel und ein Ei gekauft. Das Haus ist riesig, ungefähr 360 Quadratmeter. Aber es ist 130 Jahre alt, vieles müsste restauriert werden. Es gibt nicht mal eine Heizung.

Zum Abschied aus Düsseldorf hast du es dann noch mal in die BILD geschafft. Schlagzeile: „Teddy-Mann löst Feuerwehr-Einsatz aus“. Was war passiert?
Als ich meine Wohnung in Düsseldorf ausräumen musste, hatte ich ein paar Freunde und Bekannte spontan zu einer Abschieds-Performance eingeladen. Am Fenster meiner Wohnung auf der Collenbachstraße. Es kamen ziemlich viele Zuschauer und meine Nachbarn dachten, ich würde aus dem Fenster springen. Nach fünf Minuten waren Polizei, Rettungswagen und Feuerwehr vor Ort. Die Straße wurde gesperrt.

Großes Kino. Und am ersten Tag des Lockdowns bist du dann mit dem Zug nach Mecklenburg-Vorpommern gefahren.
Ich saß neun Stunden im IC nach Stralsund, komplett allein in einem Wagen. Das werde ich nie vergessen!

Dein Haus liegt in der Nähe von Demmin. Wie haben die Menschen dort auf dich reagiert, als Künstler und als Person of Color?
Sehr nett. Ich glaube, ich bin ein offener Mensch und bisher habe ich nicht das Gefühl, nicht akzeptiert zu werden. Ich fühle mich dort zuhause.

Derzeit lebst du überwiegend bei deinem Freund in Zürich. Was vermisst du an Düsseldorf am meisten?
Meine Freunde vermisse ich sehr. Die besten Pommes der Welt bei „Fritten Piet“ in der Altstadt. Und meine wunderschöne kleine Wohnung auf der Collenbachstraße.

In Zürich hast du deine Leidenschaft fürs Eisschwimmen entdeckt. Wie kam das?
Im Oktober 2020 ging alles los. Für zwei Soundcomposer aus NY und Stockholm haben wir ein Video im Wasser gedreht.

Du bist auch im tiefen Winter in den See gestiegen. Für viele deiner Landsleute aus Costa Rica wäre es vermutlich der pure Horror, in Wasser zu schwimmen, das eine Temperatur knapp über dem Gefrierpunkt hat. Was gefällt dir daran?
Kein Costa Ricaner würde ein Haus in Mecklenburg-Vorpommern kaufen oder eisschwimmen! Aber ich liebe es! Das ist wohl meine deutsche Seite. Es kostet Überwindung und Vorbereitung, aber es ist sehr gesund und das Gefühl danach ist unbeschreiblich. Ausgeglichener als nach dem Eisschwimmen bin ich selten.

Funktioniert das Ganze für dich wie eine Art Meditation?
Könnte man sagen. Man muss fokussiert und ruhig sein.

An der Stelle, an der du seit einigen Wochen in den Zürisee steigst, sammeln sich ein paar Dutzend Schwäne. Wie haben sie auf dich reagiert?
Es ist wirklich unfassbar schön. Mittlerweile kennen die Schwäne mich. Ich weiß, wer das Alpha-Tier ist. Ich habe sehr vorsichtig angefangen und sie haben sich an mich gewöhnt. Ich glaube, dass es für sie interessant ist, mir beim Tanzen zuzuschauen.

Nachdem du zunächst nur geschwommen bist, hast du deine Gänge in den See schon bald mit Musik unterlegt und das Ganze zur Tanz-Performance weiterentwickelt, in die du die Schwäne miteinbeziehst. Die Filme deiner Auftritte im See teilst du über deine Social-Media-Kanäle mit deinem Publikum. Wie viele Folgen von „Swan Lake“ gibt es mittlerweile?
Vielleicht 20? Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen. Zurzeit gehe ich fast jeden Tag in den See, aber ich mache nicht jedes Mal ein Video. Manche Momente möchte ich auch für mich behalten.

Wie reagieren Passanten, die zufällig vorbeikommen, wenn du im eisigen Wasser performst?
Sehr bewundernd und interessiert. Ich habe einige kennengelernt. Manche kommen immer wieder vorbei.

Wird der „Swan Lake“ auch im Frühling und Sommer weitergehen? Oder ist dir das Ganze bei sommerlichen Temperaturen zu wenig herausfordernd?
Das ist noch ungewiss. Ich weiß nicht, ob die männlichen Schwäne in der Brutzeit vielleicht agressiv auf mich reagieren. Aber ich möchte sie auf jeden Fall bis zum kommenden Winter begleiten. Ich kann nicht mehr aufhören. Diese Schwäne sind im Lockdown meine Rettung gewesen, da ich künstlerisch tätig und körperlich wie geistig aktiv werden konnte.

Was wünschst du dir persönlich für die Zeit nach der Pandemie?
Das Virus wird bleiben. Wir müssen lernen, mit ihm zu leben und damit umzugehen. Aber die momentane Situation darf kein Dauerzustand für die Kunst werden. Ohne uns verblödet das Volk. Weniger Bildschirm und mehr Performance wäre wunderschön.

2 Kommentare

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Schönes Interview. Zürich ist jedoch nicht die Hauptstadt der Schweiz. Das ist Bern. Zürich ist dafür die schönste Stadt der Schweiz. 😉

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