Volker Hermes im Interview – „Von einem Herzinfarkt in den anderen“

Für den Düsseldorfer Maler Volker Hermes war die Phase seit Beginn der Pandemie vielleicht die beste Zeit seines Lebens. Mit der Reihe „Hidden Portraits“, die mit dem Thema Verhüllung spielt, schaffte Hermes es in die amerikanische „Vogue“, ins „ZEIT“-Magazin und in die ZDF-Sendung „Aspekte“. Zudem widmete ihm das Musei del Castello Visconteo in Pavia eine große Einzelausstellung. In seiner Heimatstadt Düsseldorf, wo Hermes’ Arbeiten seit vielen Jahren entstehen, nahm von all dem kaum jemand Notiz. Nun, fast anderthalb Jahre nach dem Start des Hypes, zeigt das Festival „die digitale“ rund 30 Porträts von Verhüllten in einer Gruppenausstellung. „digital jokes“ ist die überschrieben und startet am 22. Oktober im Weltkunstzimmer. theycallitkleinparis hat kurz vor der Vernissage mit Volker Hermes gesprochen.

Volker, wie wird man eine Instagram Sensation?
Ich weiß natürlich weder genau, was das ist, noch wie man es denn wird. Aber so ein Begriff entsteht wohl, wenn Journalist:innen einen Knaller am Anfang ihrer Artikel haben wollen. Oder zumindest eine griffige Überschrift. Soweit ich mich erinnere, tauchte das zum ersten Mal in einem Bericht über meine Arbeit in der amerikanischen „Vogue“ auf. Und wurde dann munter weiter verbreitet. Auf die Überschrift dieses Interviews bin ich auch schon sehr gespannt.

Seit wann arbeitest du an den „Hidden Portraits“? Und wie viele Verhüllte hast du mittlerweile geschaffen?
Die ganze Reihe begann vor über 10 Jahren, immer parallel zu meiner Malerei. Da kommen vermutlich ein paar hundert Arbeiten zusammen. Nicht, dass ich das so genau wüsste.

Copyright: Volker Hermes

Welche Idee liegt der Serie zugrunde?
Am Anfang stand meine Frage, was eine Gesellschaft eigentlich von der Kunst will. Welche Rolle der Kunst zukommt. Ich saß in meinem Atelier, als sogenannter „freier“ Künstler, und fragte mich: Wie frei bin ich eigentlich? Und was passiert, wenn die Gesellschaft, an die sich Kunst mit ihren Symbolen und Aussagen wendet, nicht mehr existiert? Wie verändert sich Wahrnehmung von Malerei über die Jahrhunderte und wie kann ich das als zeitgenössischer Künstler aus einer veränderten Gesamtsicht kontextualisieren? Konkret bearbeite ich Fotos historischer Porträts, indem ich die Gesichter verhülle. Das ist umso radikaler, weil unser gesamter Zugang zu diesen Porträts nur noch über das Gesicht läuft. Die Bedeutung bestimmter Posen, Codes von Kleidung oder Attribute auf diesen Gemälden sagen uns nichts mehr, weil sie aus einer vergangenen Lebensrealität kommen. Jetzt, ohne den gewohnten Zugang, sind die Betrachter förmlich gezwungen, sich neu auf diese Kunst einzulassen, sie neu zu entdecken. Aber ich verhülle eben auch die Individualität der Dargestellten und zwar mit den meist ziemlich opulenten Oberflächen ihre herausgehobenen Stellung als Elite. Denn Porträts waren Auftrag einer kleinen reichen Schicht an die Künstler:innen, als Mittel der Repräsentation. Kunst als Vehikel der Repräsentation einer finanziellen Elite ist uns in diesen Tagen auch nicht fremd. Ich kontextualisiere also historische Kunst, durchaus im Hinblick auf aktuelle Phänomene.

Copyright: Volker Hermes

Du bist eigentlich Maler. Die „Hidden Portraits“ entstehen allerdings am Computer, mit Hilfe von Photoshop. Wie genau gehst du dabei vor?
Mir war sofort klar, dass ich mich zwar künstlerisch mit Altmeistern auseinandersetzen wollte, aber auf keinen Fall altmeisterlich imitierend malen wollte. Wir leben schlicht in einer anderen Zeit, die eine eigene, zeitgenössische Form von Malerei braucht. Naheliegend war da Bildbearbeitung, die ich mir dann selbst beigebracht habe. So kommt eine Maler zu Photoshop. Technisch gesehen nehme ich einzelne Teile des Gemäldes und forme sie zu neuen Kleidungsstücken wie Masken oder Hüten um oder dupliziere andere Bereiche und hänge den Protagonisten Tonnen von Perlen um oder lasse die Gesichter hinter Bergen aus Spitze verschwinden. Wichtig ist mir dabei, dass ich den Porträts nichts von außen hinzufüge, sondern nur einzelne Elemente des Bildes selbst modifiziere. Schon aus Respekt vor dieser grandiosen Kunst. Die Komposition und das generelle Setting bleibt unbedingt erhalten und meine Modifikationen fügen sich glaubhaft in das Gemälde ein. Ich respektiere also die Eigenheiten der originalen Künstler, schaffe aber eine plausible zweite Version als Fotoarbeit aus einem zeitgenössischen Blickwinkel.

Im Herbst vergangenen Jahres waren die Arbeiten im Rahmen einer Einzelausstellung im italienischen Pavia zu sehen. Und auch das Interesse der Medien war weltweit groß. Wo wurde überall über deine Arbeit berichtet?
Ja, die Ausstellung in dem grandiosen Renaissance-Museum war eine umwerfende Erfahrung. Mindestens genauso umgeworfen hat mich die weltweite Aufmerksamkeit. Ich kann das alles gar nicht im Einzelnen aufzählen, aber das war und ist echt toll! Und aufregend! Da bin ich teilweise von einem Herzinfarkt in den anderen gefallen. Besonders, weil es rund um den Globus ging und sich die größten Publikationen gemeldet haben. Aber es gab eben auch Berichterstattung im heiligen deutschen Kulturbetrieb: in „Aspekte“ im ZDF, „Kulturzeit“ oder im ZEIT-Magazin.

In deiner langjährigen Heimatstadt Düsseldorf nahm man von der Serie und dem riesigen Interesse daran bis jetzt hingegen kaum Notiz. Das ändert sich ab dem 22. Oktober. Dann sind die „Hidden Portraits“ im Rahmen des Festivals „die digitale“ zu sehen, und ebenda als Teil der Ausstellung „digital jokes“. Ist das ein Kontext, in dem du dich gut aufgehoben fühlst?
Mich bei einem Festival für digitale Kunst wiederzufinden, fühlt sich als Maler erst einmal schräg an. Manchmal vergesse ich echt, dass die „Hidden Portraits“ digitale Arbeiten sind, weil sie aus so malerischen Gedanken kommen. Ich war auch ehrlicherweise zunächst skeptisch ob des Titels der Ausstellung, den ich etwas reißerisch finde. Trotzdem bin ich den Organisatoren der „digitale“ dankbar, dass sie sich des Themas Humor in der Kunst angenommen haben. Wobei ich zwischen Humor und Gag durchaus unterscheide, deswegen die Distanz zum Titel. Aber Humor ist ein wichtiges Werkzeug meiner Arbeiten. Ich könnte zum Beispiel lange, wütende Texte über die nicht hinterfragte, toxisch männliche Machtattitüde auf historischen Gemälden schreiben. Oder ich baue den Herren ein vollkommen lächerliches Hütchen aus ihren Hermelinen, wobei ja die selbstgewissen Posen gleich bleiben. Das kommt dann humorvoll daher, stellt aber die ganze Herrlichkeit infrage und ermöglicht eine kritische Reflexion. Sehr direkt, sehr undidaktisch. Und das ist nur ein Aspekt unter vielen. Man muss schon sehr sicher in seiner künstlerischen Aussage sein, um sich Humor leisten zu können. Wie ich nun oft erfahren musste, hält sich in der deutschen bildenden Kunstszene hartnäckig das Vorurteil, dass sich Humor und eine tiefere künstlerische Auseinandersetzung ausschließen. Dankenswerterweise durfte ich aber auch erfahren, dass das außerhalb Deutschlands nicht der Fall ist.

Wie viele Verhüllte werden im Rahmen der Schau im Weltkunstzimmer gezeigt?
Ich plane mit 30 Arbeiten unterschiedlicher Größen in einer Petersburger Hängung.

Welche Art von Arbeiten wird neben deinen dort vertreten sein?
Das kann ich dir gar nicht sagen, weil ich gar nicht weiß, was sonst so gezeigt wird. Mir fällt gerade auf, dass das recht mutig von mir ist. Quatsch, ich bin natürlich gespannt.

Wie viel bist du als Instagram Sensation selbst im digitalen Raum unterwegs – und welche witzigen Phänomene dort sprechen dich persönlich an?
Social Media frisst schon Zeit. Das wirst du als Verlegerinnen-Ikone und Bestsellerautorin kennen. Im Ernst, ich habe mir mal Auswertungen angeschaut, wie lange ich zum Beispiel auf Instagram bin und das ist überraschenderweise gar nicht so arg. Auf Facebook bin ich sehr reduziert, auf Twitter und TikTok gar nicht. Die meiste Zeit verwende ich tatsächlich für Kommunikation. Und noch viel mehr Zeit für Recherche in digitalen Archiven von Museen. Ich schaue mir also gar nicht so viele witzige Sachen an. Aber ich bin zugegebenermaßen fasziniert von der Möglichkeit, ohne große Hürden, ohne den Umweg über schnöselige Gatekeeper einer Szene in Kontakt mit superinteressanten Leuten zu kommen. Alles sehr direkt und da ich – toitoitoi – bis jetzt ohne Hater durchgekommen bin, alles sehr freundlich und aufgeschlossen.

Wie schon erwähnt, bist du ja eigentlich Maler. Was macht die Malerei? Bleibt dafür momentan überhaupt Zeit?
Im Moment bleibt mir keine Zeit für die Malerei. Aber ich zeichne zwischendurch und notiere mir Gedanken zu Bildern, das kommt also auch wieder. Alles hat seine Zeit.

Du hast es innerhalb des vergangenen Jahres zweimal ins „ZEIT“-Magazin geschafft. Und auch davon abgesehen war die Zeit seit Beginn der Corona-Krise für dich ein ziemlicher Rausch. Denkst du manchmal darüber nach, wie es sein könnte, wenn das Interesse an deinem Tun irgendwann wieder nachlassen sollte?
Tatsächlich erreicht mich diese erhöhte Aufmerksamkeit ja in einem eher fortgeschrittenem Alter, in dem man manches besser einordnen kann. Von Anfang an habe ich einfach alles so genommen, wie es gekommen ist. Ohne Erwartungen an irgendetwas, aber vermutlich dankbarer, als ich es mit Anfang 20 gewesen wäre. Es wird sicher irgendwann leiser werden, aber ich habe soviel Kontakt zu wunderbaren Menschen und Orten bekommen, dass sich im Endeffekt einiges nachhaltig verändert hat und ich sehr glücklich über diese Erfahrung bin.

digital jokes: 22.10.-7.11. Weltkunstzimmer, Ronsdorfer Str. 177a, Düsseldorf, Fr 18-20, Sa + So 12-18 Uhr

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