Carsten Reinhold Schulz im Interview – „Mir geht es um die verbindende Kraft von Kunst und Kultur“

In den vergangenen fünf Monaten hat Carsten Reinhold Schulz gemeinsam mit dem Fotografen José-Luis Martinez mehr als 50 Düsseldorfer Künstler, Musiker und Poeten porträtiert. Das Ergebnis ist der Bildband „Diesseits und jenseits der Off Szene. Künstlerportraits aus Düsseldorf“, der Mitte November im Dizzy Verlag erschienen ist. Die Einnahmen aus dem Projekt sollen kleinen Kunstvereinen und freien Kunsträumen zugute kommen. theycallitkleinparis hat mit Schulz gesprochen.

Carsten, du bist bildender Künstler, Autor, Fotograf, Verleger, Filmer, Grafiker und Musiker. Gibt es darunter eine Disziplin, die dir besonders wichtig ist? Oder sind sie vielmehr gleichberechtigt?
Ich interessiere mich nicht in erster Linie für Kunst-Disziplinen. Seit 1989 nutze ich viele Ausdrucksmöglichkeiten, um die Idee vom Künstler-sein und zugehörige Rollenbilder zu hinterfragen. Daneben habe ich jedoch eine eher lyrische Form von Zeichnung, zum Beispiel mit der Technik der Rigolage, nie aufgegeben.

Ich verbinde dich in erster Linie mit dem Kulturbahnhof Gerresheim. Was genau hast du dort gemacht? Und von wann bis wann warst du aktiv?
Im Bahnhof habe ich versucht eine durch Künstler selbstverwaltete Utopie aufzubauen. Ein Ort kultureller Gleichberechtigung, bei dem zum Beispiel die Organisation von Hochzeiten in der Folge Kunst, Ausstellungen, Konzerte und inklusive Kulturprojekte finanzierte. Ein in sich geschlossener Kreislauf, der trotz der gut 3.000 Euro monatlicher Miete gut funktionierte. So konnte ich mit dem Kunstverein Jason Rø e.V. zwischen 2015 und 2018 über 250.000 Euro in die Kulturförderung des Stadtteils einbringen. Pro Jahr haben wir dabei etwa einhundert Veranstaltungen organisiert.

Für die, die dich noch nicht kennen: Welche Art von Projekten hast du sonst so in der Vergangenheit realisiert?
Eine wichtiges Projekt war 1992 sicherlich die „CULTURWERT:SAMMLUNG“, die im jetzigen NRW-Forum, damals Museum für Volk und Wirtschaft, und in der Kunsthalle Baden-Baden präsentiert wurde. Neben Lawrence Weiner, Christo und Jeanne Claude haben sich 170 Künstler gleichberechtigt zu ihrer Rolle und Funktion geäußert. Eva Beuys-Wurms hat einen Text ihres Mannes als Vorwort beigesteuert. Ich habe zum Beispiel vor zehn Jahren den ersten Kunstverein Düsseldorfs zur Unterstützung von Outsider-Künstlern gegründet, außerdem eine Galerie mit der vernachlässigten Perspektive Richtung Ukraine, Russland und Belarus aufgebaut. Alle Projekte haben bei mir einen direkten Zusammenhang mit kultureller Gleichberechtigung und Teilhabe im weitesten Sinn.

Nun hat Corona ja gerade die Künstlerschaft hart getroffen. Wie hast du selbst die Zeit seit März erlebt?
Ich wurde als Künstler gar nicht anerkannt, da ich nicht in der KSK bin. Trotz aller Nachweise zu einer geplatzten Aktion in einem NRW-Ministerium in Düsseldorf habe ich keine Hilfe erhalten. Dann habe ich einen Kunstverein nachgewiesen, da sagte man mir nach drei Wochen, die Geldmittel seien jetzt erschöpft. Also musste ich Grundsicherung beantragen, weil alle parallelen Jobs wegen Corona ausgesetzt wurden. Die NRW-Projektförderung von 7.000 Euro wurde mir dann noch vom Finanzamt wegen Rest-Schulden zu einem alten Kunstprojekt gepfändet, was eigentlich gar nicht gehen soll. Ich schlag mich derzeit eher so durch …

Ruth Berkovitsch, Foto: José-Luis Martinez

Mitte November erscheint das von dir initiierte Buchprojekt „Diesseits und jenseits der Off Szene. Künstlerportraits aus Düsseldorf“. Wie entstand die Idee?
Die erste Idee, die Düsseldorfer Künstlerschaft ohne Ausgrenzung und Klischees abzubilden, entstand etwa 2018. Im Juni 2020 war die Zeit dafür dann da und auch ein Fotograf als Partner, der bereit war, diese fünfmonatige Besuchstour zu den Künstlern inklusive der Corona-Auflagen mitzumachen.

Nach welchen Kriterien hast du die Künstler ausgewählt?
Ich habe eine, sagen wir mal, kontrollierte Nicht-Auswahl getroffen, um eine möglichst große Bandbreite von Menschen in der Düsseldorfer Kunst und Kultur abbilden zu können. Jedes Portrait steht auch für die vielen anderen Künstler, die nicht immer sichtbar sind oder ohnehin im Fokus der Öffentlichkeit stehen.

Magst du ein paar Namen verraten?
Dabei ist zum Beispiel Mindix, Andreas von Minden, der ehemalige Sänger der Bands Krombacher MC und Sons of Rath, das Schauspielerin- und Regisseurin-Duo DOBSTROH, der Maler und sogenannte Taxikünstler Seddik Gasmi, Outsider-Künstler Werner Böhle vom Studio 111 oder Uwe Juchum, Saxofonist und Veranstalter freier Musik vom SubSol in Flingern.

Es handelt sich also nicht ausschließlich um Künstler, die an einer Hochschule studiert haben?
Nein, natürlich nicht, es sind auch Outsider vertreten. Selbst eine Vorauswahl über sogenannte künstlerische Qualitätskriterien habe ich bewusst vermieden. Mir geht es um die verbindende Kraft von Kunst und Kultur und um die Menschen, die dafür stehen. So entsteht im Nebeneinander der Portraits ein relevantes und solidarisches Bild zur Kultur im Jahr 2020.

Die Fotos hat José-Luis Martinez gemacht. Wie hat er die Künstler in Szene gesetzt?
Es ging mir darum, die portraitierten Künstler respektvoll und in ihrer persönlichen Stärke und Kraft abzubilden. Darüber haben wir viel diskutiert. José hat diese Intention dann erstklassig und kreativ umgesetzt.

Lia Drabik, Foto: José-Luis Martinez

Und die Texte, die stammen von dir? Wofür bist du darüber hinaus bei dem Projekt verantwortlich?
Jeder Künstler hatte die Möglichkeit, einige Zeilen zu sich abzugeben. Oder ein Statement, das ihm wichtig ist. Ich habe dabei nichts zensiert. Von mir stammt die Projektidee, die Organisation der Kontakte, die grafische Umsetzung, das Vorwort und der verlegerische Teil. Und natürlich war ich bei jedem Portrait dabei.

In welchem Zeitraum sind die Beiträge entstanden?
Begonnen haben wir Mai 2020. Das Projekt hat also etwa fünf Monate gedauert.

Inwiefern thematisiert ihr inhaltlich das Thema Corona?
Corona hat uns bei der Arbeit beeinflusst, aber wir haben es nicht thematisiert. An Orten, wo es zu eng oder zu schlecht belüftet war, haben wir Fotoaufnahmen vermieden. Wir trugen Masken, was erschwerend hinzukam. Manche Künstler wollten von sich aus lieber im Park statt im Atelier aufgenommen werden.

Das Buch erscheint im Eigenverlag, richtig? Wo wird es in Düsseldorf zu bekommen sein?
Stimmt, der Verlag existiert seit zwanzig Jahren und hat unterschiedliche Projekte veröffentlicht. Das Buch hat eine reguläre ISBN-Nummer und kann daher natürlich in jedem Buchladen erworben werden. Aber ich werde auch versuchen, die wichtigen literarischen Spots Düsseldorfs zu bestücken. Da der Verkauf der freien Kunst-Szene helfen soll, denken wir über Kooperationen mit der Presse, Firmen, Pop-up-Verkäufsstände oder Plakataktionen nach. Corona macht ein passendes öffentliches Event in einem Kunstraum ja erst mal schwierig. Wir freuen uns über Ideen oder Kooperationen.

Ein solches Projekt zu realisieren kostet ja erst einmal Geld. Wie habt ihr das finanziert?
José und ich haben das Projekt komplett ohne Bezahlung realisiert. Als Herausgeber fungiert der Kunstverein Jason Rø e.V. für Kunst und Teilhabe. Obwohl der gemeinnützige Verein wegen Corona auch unter der Schmerzgrenze arbeitet, hat er die erste kleine Auflage vorfinanzieren können. Durch Vorbestellungen und erste Abverkäufe wollen wir die nächsten Auflagen finanzieren. Vielleicht findet sich auch noch ein entsprechender Partner. Das Projekt braucht jede Unterstützung, die es kriegen kann.

Das Buch kostet voraussichtlich 24 Euro. Ihr selber verdient daran nichts. An wen gehen die Einnahmen?
Durch ausgesetzte Ausstellungen und Veranstaltungen sind die kleinen Kunstvereine und freien Kunsträume arg in Bedrängnis. Ich weiß das aus etlichen persönlichen Gesprächen. Das Buch ist eine solidarische Aktion mit allen selbstverwalteten und engagierten Kunsträumen in Düsseldorf. Wenn die Einnahmen es hergeben, fördern wir so viele wie es geht. Darauf hoffen wir.

Welche Funktion haben Räume wie The Box, Reinraum oder WP8 in und für Düsseldorf?
Die Frage ist recht einfach zu beantworten. Wer sich vor allem für die lebendige, experimentelle und innovative Seite von Kunst und Kultur interessiert, ist bei den freien Kunsträumen am richtigen Ort. Hier ist jene Offenheit noch existent, die in den etablierten Orten der Kulturvermittlung nur noch mit hohem finanziellem und personellem Aufwand hergestellt werden kann. Die freien Kunsträume sind Basis, Verbindung und gleichzeitig ausgleichende Alternative kultureller Entwicklung. Sie sind die echten Kraftfelder des kulturellen Geschehens und ihre Stärke liegt in ihrer Vielfältigkeit. Diese Vielfältigkeit spiegelt sich auch in unseren Künstler-Portraits.

„Diesseits und jenseits der Off Szene. Künstlerportraits aus Düsseldorf“ ist im Dizzy Verlag erschienen und kann hier bestellt werden.

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