Die Holzschnitte von Inessa Emmer werfen viele Fragen auf. Wieso baumelt vom Himmel ein Kronleuchter? Was macht die viel zu große Schachfigur im Birkenwald? Und warum zum Teufel trägt der Flamingo grüne Gummistiefel?
Der Salzmannbau in Düsseldorf-Bilk. Die Künstlerin wartet auf dem obersten Treppenabsatz, vor ihrem Atelier. 10 Uhr morgens, gar nicht unbedingt ihre Zeit. Später wird sie erzählen, dass sie eher eine Nachtarbeiterin ist. Aber das wusste man zum Zeitpunkt, als der Termin vereinbart wurde, noch nicht. Emmers guter Laune tut die Uhrzeit jedenfalls keinen Abbruch. Die 33-Jährige trägt eine rostfarbene Prinz-Heinrich-Kappe zu schwarzem Shirt und schwarzen engen Jeans, die brünetten Haare hat sie zu Zöpfen geflochten. Emmer reicht ein Glas Wasser und nimmt auf einem Stuhl Platz. Hinter ihr an der Atelierwand lehnen zwei große Formate mit den für sie mittlerweile schon fast typischen Birken: auf dem linken ist ein blaues Papierschiffchen zwischen den Bäumen gestrandet, auf dem rechten steht ein knallroter Hydrant. Die Werke strahlen eine angenehme Ruhe aus, was daran liegt, dass die Künstlerin den Dingen Raum lässt. Aber auch ein gewisser Witz ist nicht zu leugnen. Emmer liebt es zu irritieren. Dinge zu kombinieren, die auf den ersten Blick nicht zusammen zu passen scheinen. Was die Motive angeht, da fasziniere sie momentan die Verschmelzung von Mensch und Natur, erklärt Emmer. Tatsächlich verschwindet das Gesicht der Protagonistin eines ihrer jüngeren Werke komplett hinter einem Blumenarrangement. „Und diese Arbeit hier ist gestern erst fertig geworden.“ Sie zeigt auf ein kleines Format, auf dem ein comichaftes „Peng“ prangt, darunter eine menschliche Hand, die zur Schusswaffe geformt ist.
Geboren wird Inessa Emmer in Kasachstan. Die ersten sieben Jahre ihres Lebens verbringt sie in der größten Metropole des Landes: Almaty. Die Stadt liegt am Fuß eines Hochgebirgszugs, 300 Kilometer weiter östlich beginnt bereits China. Als Emmer sieben Jahre alt ist, verlagert die Familie, der Vater ist Deutschrusse, ihren Lebensmittelpunkt nach Wanne-Eickel. „Das ist eigentlich meine Heimat“, sagt die Künstlerin. In Wanne-Eickel wächst sie auf. Dort geht sie zur Schule. Dort macht sie Abitur. Langfristig in Kasachstan zu sein, könne sie sich heute nicht mehr vorstellen, gesteht sie. Dennoch fliegt sie – zusammen mit ihren Eltern – einmal im Jahr dorthin, um die Großeltern zu besuchen. Mit fünf Personen wohnen sie dann in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. „Das ist immer schön kuschelig.“
Nach dem Abitur gibt Emmer geht sie zunächst auf Nummer sicher – und studiert Kunst auf Lehramt. Die Einführung an der Uni Dortmund gerät für sie zum Schlüsselerlebnis. Der Grafikdozent zeigt den Studenten Arbeiten verschiedener Künstler, darunter auch die von Gerd und Uwe Tobias. Die großformatigen, farbintensiven Holzschnitte des Zwillings-Künstlerpaars aus Köln faszinieren Emmer auf Anhieb: „Als ich sie gesehen habe, war es um mich geschehen.“ Sie beschließt, sich ebenfalls in der Technik Holzschnitt zu versuchen, unternimmt erste Gehversuche, zunächst noch auf Papier, später auf Nesselstoff. Ausgangspunkt jeder Arbeit ist eine kleinformatige Skizze. Über die für ihre Werke so wichtige Farbgebung entscheidet Emmer dann erst im laufenden Arbeitsprozess. Mit einer sogenannten Decoupiersäge, einer motorisierten Laubsäge, schneidet sie Stempel aus Pappelsperrholz aus. Um Figuren ins Holz zu schneiden, verwendet sie außerdem ein Hohleisen. Die ausgeschnittenen Holzformen walzt sie im Anschluss mit Farbe ein und bringt sie durch Druck ihres Körpergewichts auf den Stoff auf. So entsteht peu à peu, Stück für Stück ein Werk. „Bis einer der großen Holzschnitte fertig ist, dauert es viele Wochen“, erklärt die Künstlerin.
Während ihres Studiums in Dortmund hört Emmer das erste Mal von der Düsseldorfer Kunstakademie. „Die kannte ich bis dahin noch gar nicht.“ Um das zu ändern, besucht sie erstmals den „Rundgang“ – und fängt Feuer. Ihre Begeisterung für das Lehramtsstudium, vor allem aber für den Lehrerberuf, ist da ohnehin bereits merklich abgeklungen. Sie bewirbt sich in Düsseldorf – und wird im ersten Versuch genommen. „Ich habe es als große Ehre empfunden, an der Akademie studieren zu dürfen“, sagt Emmer heute. An der Eiskellerstraße habe eine andere Dynamik geherrscht als in Dortmund. „In Dortmund hat man Kunst gemacht, um Scheine zu bekommen. Man wollte schnell fertig werden. In Düsseldorf ließ man sich mehr Zeit. Und es ging ausschließlich um die Kunst.“ Das sehe man natürlich auch an der Qualität der Arbeiten.
Im Gegensatz zu vielen anderen Akademie-Studenten hat Inessa Emmer auch während der Zeit ihres Studiums bereits ein eigenes Atelier. „Ich brauche ja für meine Arbeiten viel Platz“, erklärt sie. Folgerichtig habe sie gar nicht so viel Zeit in den Akademie-Werkstätten verbracht. Nach sechs Jahren Studium in den Klassen von Stefan Kürten und Thomas Grünfeld verlässt sie die Eiskellerstraße Nummer 1 als Meisterschülerin von Grünfeld. Zu dem Zeitpunkt hat sie bereits zahlreiche Gruppen- und Einzelausstellungen absolviert, die allererste 2014 im Kunstverein WP8 am Worringer Platz. „Da habe ich drei Riesen-Arbeiten aufgehängt – und der Laden war voll“, lacht sie. Es folgen Schauen im Kulturbahnhof Eller, im Kunstpalast („Die Grosse“) oder im K21. Auch erste internationale Auftritte kann die 33-Jährige mittlerweile vorweisen. 2018 reiste sie mit Kurator Wilko Austermann nach Neapel, um eine Einzelausstellung in einer dortigen Galerie zu eröffnen. 2019 war eins ihrer Werke Teil einer Gruppenausstellung im chinesischen Yinchuan.
Derzeit hat Emmer ein Heimspiel in Düsseldorf. Seit dem 7. Juli zeigt der Malkasten die Gruppenausstellung „Drucksachen“, an der sie gemeinsam mit vier weiteren Künstlern beteiligt ist.
„Drucksachen“, mit Arbeiten von Inessa Emmer, Michael Falkenstein, Roman Klonek, Abi Shek und Julia Siegmund: 7.7.-30.8. Malkasten, Düsseldorf
Die Ausstellung kann Montag bis Freitag von 10 bis 17 Uhr besichtigt werden. Terminvereinbarung unter 0211-356471.