Bojan Vuletic und Christof Seeger-Zurmühlen im Interview – „Wir mussten das asphalt komplett neu denken“

Die Nächte von Bojan Vuletic und Christof Seeger-Zurmühlen sind derzeit ziemlich kurz. Das kennen die beiden künstlerischen Leiter aus der sommerlichen Phase kurz vor dem von ihnen verantworteten asphalt Festival bereits. In diesem Jahr kam allerdings Corona erschwerend hinzu. Die Folge: Das asphalt musste alles, was geplant war, komplett über Bord werfen und sich eine neue Version des Festivals ausdenken. Das ist mittlerweile passiert. Vom 9. bis zum 19. Juli findet asphalt auf See auf einer schwimmenden Bühne am Schwanenspiegel statt. theycallitkleinparis hat mit Vuletic und Seeger-Zurmühlen gesprochen.

Wann war euch klar, dass ihr das asphalt Festival 2020 nicht wie geplant durchziehen könnt?
Christof: Wie viele andere Menschen auch haben wir zuerst versucht, möglichst normal weiter zu arbeiten und die Planung des ursprünglichen asphalt Festivals 2020 immer wieder an die rapiden Veränderungen anzupassen. Morgens haben wir Dinge beschlossen, die dann ein paar Stunden später obsolet waren. Internationale Reisen wurden immer unsicherer und der Vorverkauf ging gegen Null. Wir haben natürlich viel mit anderen Institutionen gesprochen, aber es existierten keine Pläne in deutschen Theatern und Kunsträumen, wie man überhaupt miteinander proben geschweige denn auftreten könnte. Nach einigen Wochen wurde uns klar, dass wir aus dem Laufrad des hilflosen Reagierens heraustreten und in einen kreativen Modus wechseln mussten. Im Laufe des Monats April kristallisierte sich heraus, dass das Festival nicht wie geplant und auch nicht leicht verändert stattfinden kann, sondern dass wir es komplett neu denken müssen.

In welchem Zeitraum entstand dann die Alternativ-Version asphalt auf See?
Bojan: Christof und ich sind in uns gegangen und haben uns auf das besonnen, was asphalt auszeichnet: einen öffentlichen Raum mit seinen ganz spezifischen Bedingungen für künstlerische Arbeiten zu erobern. Wir haben einige sehr schöne Konzepte erarbeitet und Räume in Bezug auf diese Ideen in der Stadt ge- und untersucht. Dann haben wir uns auf asphalt auf See fokussiert und auf die Machbarkeit hin mit Experten überprüft. Insgesamt dauerte diese Phase bis zur Erteilung der Genehmigung mehr als einen Monat.

Das heißt ja, ihr musstet das komplette ursprünglich geplante Programm absagen und parallel ein neues Programm planen. Wie lang waren eure Arbeitstage in der Phase?
Bojan: Seitdem wir auch wieder mit Proben beginnen konnten, Christof am Jungen Schauspielhaus, ich phasenweise am Hans-Otto-Theater in Potsdam und gemeinsam für „Aktion:Aktion!“ mit dem Theaterkollektiv Pièrre.Vers für asphalt auf See, sind die Schlafphasen sehr kurz. Verraten können wir, dass unsere Video-Leitungskonferenzen immer gegen Mitternacht beginnen. Dieser Zustand ändert sich wohl erst wieder nach dem Festival.

Wie kamt ihr auf den Schwanenspiegel als Ort? Habt ihr dort vorher schon mal eine Veranstaltung gemacht?
Bojan: Nein, aber wir haben ihn schon öfter beäugt. Christof hat dann die spezifische Stelle bei einer Fahrradrecherche-Tour entdeckt.

Das Programm umfasst insgesamt 42 Veranstaltungen. Es ist damit das größte Kulturangebot, das seit Start des Lockdowns in Düsseldorf stattfindet. Was für Veranstaltungen habt ihr geplant?
Christof: Es wird Theater geben, Konzerte, Lesungen, Performances und Stücke für Familien. Es sind berührende, aufwühlende, lustige, sinnliche und auch unbequeme Veranstaltungen dabei. asphalt auf See ist eben nicht bloß als Entertainment gedacht. Wir möchten künstlerischen Interventionen Raum verschaffen, die sich mit der aktuellen Lage beschäftigen. Im Programm sind gleich mehrere Uraufführungen, die wir als Festival koproduzieren und damit dazu beitragen, dass auch in diesen schwierigen Zeiten neue Kunst entsteht. Viele Künstler haben ein bereits bestehendes Programm noch mal angepackt und für das Setting auf der Seebühne neu konzipiert. Wichtig war uns auch, gerade jetzt, wo in Zeiten von Homeoffice und Kinderbetreuung viele Frauen in überwunden geglaubte Rollenklischees zurückgedrängt werden, einen starken Fokus auf weibliche Stimmen zu legen – an der diesjährigen Festivalausgabe sind genauso viele Künstlerinnen beteiligt wie männliche Kollegen.

Wie groß ist der Kulturhunger der Düsseldorfer? Was bekommt ihr für Rückmeldungen?
Christof: Seit unserer ersten Ankündigung bis heute sind die Reaktionen, die uns erreichen, unglaublich positiv. Wir haben unzählige persönliche Nachrichten erhalten und in kürzester Zeit waren viele Veranstaltungen ausverkauft. Das gibt uns enorme Kraft und bestärkt uns in unserem Unterfangen.

Das Publikum hört den Sound von der Bühne über ein Kopfhörersystem. Wie weit sind sie vom Geschehen weg? Und: Könnte diese Distanz nicht problematisch sein?
Bojan: Wir installieren eine schwimmende Bühne auf dem Wasser, während das Publikum auf den Terrassen am Ufer sitzt, nicht weiter weg als in einem größeren Theater und selbstverständlich unter Beachtung der geltenden Hygiene- und Abstandsregeln. Gerade die Verwendung eines Kopfhörersystems, das vor jeder Nutzung frisch desinfiziert wird, erlaubt es den Zuschauern mit einem ihrer Sinne, nämlich dem Hörsinn, das Social Distancing zu überwinden und den Künstlern auf der Bühne sehr nah zu sein. Wir glauben, dass dieses Spannungsverhältnis sehr reizvoll werden wird: ein kleines, intimes Festival, unter freiem Himmel und im öffentlichen Raum, zwischen Natur und Urbanität, das Distanz erlaubt und zugleich emotionale Nähe.

Was glaubt ihr, wie wird die landeshauptstädtische Kulturszene im Sommer 2021 aussehen?
Christof: Diese Frage lässt sich wohl seriös zur Zeit nicht beantworten. Aber es zeichnet sich ab, dass gerade die Situation von freien Künstlern und Institutionen schwieriger werden wird. Aber auch die Auswirkungen auf große Häuser sind unklar. Wird es einen Impfstoff geben und wenn ja, wann? Wird man die Theater wieder bis zum letzten Platz füllen dürfen? All das hat auch gesellschaftliche Auswirkungen. Es ist uns wichtig, dass wir gemeinsam neue Visionen für ein kulturelles Miteinander erarbeiten, dass wir neue Kunst produzieren und zeigen können und dass wir als Kulturschaffende gehört werden.

9.-19.7. asphalt auf See, Schwanenspiegel, Düsseldorf, das komplette Programm gibt es hier.

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