Hans Hoff im Interview – „Hassrede ist keine neue Erfindung“

Er hat es allen gegeben. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat Hans Hoff so ziemlich jeden verrissen hat, der eine Bühne erklomm. Ende Februar wechselt der gefürchtete Kritiker nun die Seiten. Mit seiner Band Blue Again tritt er in der Jazz Schmiede auf. Im Vorfeld des Gigs hatte theycallitkleinparis das große Vergnügen, mit Herrn Hoff zu sprechen.

Herr Hoff, Ihr Leben war bis kurz vor der Jahrtausendwende ein großer Irrtum. Warum?
Da dachte ich noch, ich sei ein bedeutender Journalist, weil ich bei der „Rheinischen Post“ die Fernsehseite betreuen durfte. Ich hatte dort zehn tolle Jahre und durfte machen, was ich wollte. Ich habe aber nicht gemerkt, dass das, was ich da tat, gar nicht das war, was mein Herz wollte. Heute weiß ich: Im Herzen bin ich Sänger. Kein guter. Aber der beste, den man ohne Geld haben kann. Ich sage immer: Wer besser singt als ich, kann davon leben. Ich muss ja immer noch nebenbei schreiben, um leben zu können.

Wie genau kamen Sie darauf, dass Sie noch lieber singen als schreiben?
Das habe ich einem Kumpel zu verdanken. Der wollte irgendwann mal einen runden Geburtstag feiern und eine Band dabei haben. Die durfte aber nichts kosten. Deshalb lief es darauf hinaus, dass wir selbst in die Saiten greifen mussten. Bei der ersten Probe hat sich dann herausgestellt, dass ich stimmlich gesehen der Einäugige unter den Blinden war, dass ich am wenigstens schlecht gesungen habe. Ich habe dann das, was mir an Gesangstechnik fehlte, durch vermehrten Einsatz wett gemacht. Ich habe gebrüllt wie ein Löwe, und das hat wohl irgendwie Eindruck gemacht. Kurz danach habe ich in drei Bands die Lieblingssongs meiner Jugend singen dürfen.

Viele Menschen fangen im Kindergarten an zu singen. Im Kirchenchor. Oder in einer Schülerband. Warum waren Sie so verhältnismäßig spät dran?
Ich habe mich vorher nur für einen mäßig begabten Vokalisten gehalten, der ganz passabel am Lagerfeuer zur Schrammelgitarre „House Of The Rising Sun“ und „Wonderful Tonight“ singen und die Mädchen betören konnte. Ich kam aber immer ins Wackeln, wenn es drauf ankam. Dann aber lernte ich, durch ein Mikrofon zu singen. Ich hörte mich über die Boxen, und dachte: Wow, Hammer! Das ist ein unglaubliches Gefühl, wenn man mitten in seinem Lieblingssong in seiner eigenen Stimme baden kann. Das sollte jeder mal versuchen.

Im „biograph“ und anderswo schreiben Sie schon seit vielen Jahren regelmäßig über Musik. Gehören Sie zu jenen häufig männlichen Schreibenden, die ursprünglich Musiker werden wollten?
Ich wollte nie Musiker werden. Dafür bin ich heute noch zu schlecht. Ich wollte aber immer Popstar sein. Ich war schon früh das fünfte Mitglied bei den Beatles, und wie oft habe ich im Geiste auf der Bühne der Philipshalle gestanden und die ersten Riffs von „Jumpin‘ Jack Flash“ in die begeisterte Menge geschleudert. Unten standen dann immer all die Freunde, die ich nie hatte, und sagten Wow! Ich kannte in den 60ern und 70ern alle Bands, alle Mitglieder der Bands und alle Songs auswendig. Ich wusste alles über Pop. Leider aber nichts über Latein und Deutsch. Deshalb bin ich auch auf dem Gymnasium krachend gescheitert. Ich hatte in Deutsch fast durchgehend eine Fünf auf dem Zeugnis. Mich interessierte einfach nicht, was da gelehrt wurde. Leider war aber das Wissen in Popsachen und meine Leidenschaft nichts wert. Das hat sich dann geändert, als mich ein Freund zum Schreiben gezwungen hat. Er war gerade Redakteur bei „Sounds“ geworden. Das war meine Musikbibel, und er hat mich mit einer Langspielplatte bestochen. Das war im August 1979. Meine erste Plattenkritik ist damals entstanden. Vier Tage habe ich dafür gebraucht. Die Platte war von America und hieß „Silent Letter“. Das hat dann alles in meinem Leben geändert. Auf einmal war das, was ich wusste, was wert. 40 Mark gab es für die erste Kritik.

Heute gelten Sie als gefürchteter Kritiker. Welchem Musiker oder welcher Band haben Sie es mal so richtig gegeben?
Die Frage ist falsch. Sie müssten eigentlich fragen, wem ich es noch nicht gegeben habe. Ich habe sie alle verrissen. Ich war unterwegs als Missionar in Sachen bessere Musik. Ich habe es allen gegeben. Irgendwann habe ich auch gemerkt, dass die Menschen Verrisse lieber lesen als Lobhudeleien. Das führte dann natürlich oft zu bösen Briefen. In denen wurde regelmäßig behauptet, ich hätte meine Kritik auf dem Klo geschrieben. Einmal schrieb jemand, man solle mich durch die Sümpfe von Georgia jagen, bis die Alligatoren ihr Futter gefunden haben. Das war in den frühen 80ern. Hassrede ist also keine neue Erfindung. Und einmal hat ein besoffener Düsseldorfer Punk mich nachts um drei Uhr angerufen und mich zu einem Duell auf den Rheinwiesen bestellt. Ich bin natürlich nicht hingegangen und habe mir stattdessen einen Anrufbeantworter zugelegt. Aber es gab natürlich auch angenehmere Momente. Zum Beispiel den, als in meiner Wohnung an der Karolingerstraße das Telefon klingelte. Ich hob ab, und eine Stimme sagte: „Hi, this is George Harrison.“ Ich durfte eine halbe Stunde mit einem Beatle telefonieren. Ich, der kleine Hans aus Bilk.

Über wen haben Sie zuletzt eine Lobhudelei verfasst?
Über die wunderbare Senta Berger in der letzten Ausgabe von „Unter Verdacht“. Die war so hinreißend. Vielleicht hat da auch eine Rolle gespielt, dass ich als junger Mann natürlich in Senta Berger verliebt war. Aber nein, der Film ist wirklich gut. Und das Schöne ist: Ich habe jetzt daheim einen handgeschriebenen Brief, in dem Senta Berger sich für meinen Text bedankt hat. Bei mir, dem kleinen Hans aus Bilk. Ich würde sagen: Viel mehr kann man im Leben nicht erreichen.

Sind Sie beim Schreiben schon mal über das Ziel hinaus geschossen, vielleicht sogar so weit, dass Sie sich entschuldigen mussten?
Eigentlich bin ich immer übers Ziel hinausgeschossen. Ein Kritiker muss halt gnadenlos sein und ist dadurch oft in anderer Stimmung als ein normaler Zuschauer. Natürlich habe ich mich auch geirrt. Manchmal sogar spektakulär. Ich war zum Beispiel 1980 mit einer damals noch sehr jungen Band essen. Und trinken. Wir mochten uns und waren am Ende des Abends ziemlich betrunken. Daraufhin habe ich den Musikern ein Geständnis gemacht. Ich habe gesagt: „Jungs, ich find‘ euch toll. Aber ich glaube nicht, dass aus euch was wird.“ Da haben sie sehr traurig geguckt und mich alle in den Arm genommen, so als müssten sie mich trösten und nicht ich sie. Das war in Dublin. Die Band hieß übrigens U2.

Lassen Sie uns über Ihre Band sprechen. Die heißt Blue Again und gilt am Niederrhein bereits als feste Größe. Wie ist es hier in Düsseldorf um Ihren Ruhm bestellt?
Tja, irgendwie ist Düsseldorf mir gegenüber ein bisschen reserviert. So richtige Begeisterung habe ich hier nie gespürt. Am Niederrhein ist das anders. Da sind die Menschen ein bisschen enthusiastischer. Ich bin mit meiner alten Bluesband in der Jazz Schmiede aufgetreten, im Café-a-Gogo, im Pöötzke, im Woyaya und mit meinem Storyteller-Duo im Zakk. Alles schöne Gigs, aber nie die ganz große Sause.

Am 29. Februar gastieren Sie mit Blue Again in der Jazz Schmiede. Was erwartet die Besucher an dem Abend?
Meine Band hieß früher Old Love und hat sich nur mit Blues befasst. Dann haben aber bis auf mich alle Musiker gewechselt, und die, die dazu kamen, wollten lieber mehr Soul spielen, so Sachen von James Brown, Sam & Dave oder Wilson Pickett. Da habe ich gemerkt, dass ich ein ganz passabler Soul-Shouter bin. Ich verbinde das dann gerne mit meinem leicht meckrigen Timbre, das manchmal ein bisschen nach Ziege klingt und mir immer einen respektablen Vergleich einbringt. Nach jedem Auftritt kommt jemand und sagt: Du klingst manchmal wie Roger Chapman. Natürlich bleibe ich da höflich und widerspreche nie.

Als Sänger stehen Sie ja nun auf der anderen Seite. Das heißt, es könnten gefürchtete Kritiker kommen und über Sie schreiben. Wie dick ist Ihr Fell, was das angeht?
Ich habe in den Jahren meiner Bühnenexistenz so viele halbgare Zustandsbeschreibungen von urteilsunfähigen und schreiblahmen Volontären und freien Mitarbeitern bekommen, dass ich mich beinahe danach sehne, mal von kompetenter Seite einen saftigen Verriss einzukassieren. Ich würde das verkraften. Was soll schon passieren? Im schlimmsten Fall schreibt ein Kritikertyp wie ich früher mal einer war: Hans Hoff kann nicht singen. Was sage ich dann? Ich sage: Ja, das stimmt. Aber Hans Hoff hat beim Singen tausendmal mehr Spaß als du beim Schreiben.

Welchen Satz wollten Sie immer schon mal über sich als Sänger lesen?
Dass Hans Hoff während des Auftritts tot umgefallen ist, war nicht schön für alle Beteiligten. Aber es wirkte wie der würdige Abschluss eines leidenschaftlich erfüllten Sängerlebens.

29.2., 20:30 Uhr, Blue Again feat. Hans Hoff, Jazz Schmiede, Düsseldorf

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