Auszug aus Steffen Möllers „Viva Warszawa“ – Hauptstadt der Hipster

Er kennt die Polen und die Polen kennen ihn: Steffen Möller, aufgewachsen in Wuppertal, hat die polnische Version von „Wetten, dass..?“ moderiert, in einer Daily Soap einen deutschen Kartoffelbauern gespielt und unzählige Auftritte auf Kabarettbühnen absolviert. Seit vielen Jahren pendelt er zwischen Warschau und Berlin. Und trägt seinen Beitrag zur Völkerverständigung bei. Drei Bücher hat Möller, der fließend polnisch spricht, über Polen geschrieben. „Viva Warszawa“ ist das jüngste von ihnen. Bevor der Nahost-Experte am 12.1. im zakk aus seinem Werk über die Hauptstadt vorträgt, gibt es bei theycallitkleinparis schon einen Ausschnitt zu lesen. Kapitel 18, über Warschaus Partybezirk Nummer eins.


Powiśle

Egal, ob Lemming oder Hipster – abends treffen sich alle in den zwei Party-Stadtteilen Warschaus, in Powiśle und Praga. Powiśle liegt unterhalb der Weichselklippe in dem schmalen Streifen zwischen Fluss und Steilufer. Bis vor wenigen Jahren war es ein heruntergekommener Stadtteil mit ein paar Spelunken und Tante-Emma-Läden. Man sah auf Powiśle in einem ganz wörtlichen Sinn hinunter, denn der schmale Stadtteil wird von der Poniatowski-Brücke überspannt. Sie setzt weit vor dem Fluss an, noch oben auf der Weichselböschung, und schwingt sich dann als langer Viadukt über den gesamten Stadtteil Powiśle hinweg. Heute haben sich die wenigen Straßen dort unten zum hippen Modebezirk mit den üblichen Begleiterscheinungen entwickelt. Chice Cafés sind aus dem Boden und die Mieten und Kaufpreise in die Höhe geschossen. Man reibt sich die Augen – wie war das möglich?

Alles begann damit, dass die Warschauer Universität direkt an der Weichsel eine neue, schrille Bibliothek bauen ließ, und zwar von demselben Architektenbüro, das auch das postmoderne Oberste Gericht am Plac Krasińskich bauen durfte. In beiden Fällen handelt es sich um gewagte Beton- und Glaskonstruktionen, die mit grün patinierten Metallplatten verkleidet sind. Auf dem Dach der neuen Unibibliothek gibt es einen begehbaren Garten mit luftigen Brücken, Hecken, Büschen und sogar einem Wasserfall. Man kann von hier oben durch eine Glaskuppel hinunter in den Bibliothekssaal schauen, den Studenten direkt auf ihren Schreibtisch. Außerdem hat man von der Aussichtskanzel ein wunderbares Fotopanorama auf die breit dahinströmende Weichsel. Der Dachgarten ist auch für Nichtstudenten frei zugänglich. Völlig zu Recht gilt er heute als eines der Highlights für einen Warschau-Spaziergang.

Zum zweiten Meilenstein des kulturellen Aufstiegs von Powiśle wurde die Buchhandlung „Czuły Barbarzyńca“ (Sensibler Barbar) in der ul. Dobra, eine in Deutschland nur selten anzutreffende Mischung aus Buchhandlung und Café. Das Konzept war so bahnbrechend, dass in der unmittelbaren Umgebung gleich zwei weitere Buchcafés entstanden. Erklären lässt sich der Erfolg damit, dass vor allem junge Leser die völlig seelenlosen Medienkaufhäuser leid sind, die den polnischen Buchhandel beherrschen. Unbestrittener Marktführer ist die Medienkette »Empik«, deren Wurzeln bis in sozialistische Zeiten zurückreichen. In so gut wie jeder polnischen Stadt gibt es ein Empik-Megastore mit Musik, Büchern und Computerspielen, stets in den besten Lagen, mit kaltem Neonlicht und ziemlich unbegeisterten Verkäufern.

Ein dritter Grund, warum Warschaus Hipsterlemminge gerade Powiśle in ihr Herz geschlossen haben, ist die alte Poniatowski-Brücke. Mit ihren verschnörkelten Türmchen und allerliebsten Zinnen verbreitet sie ein herrliches Retro-Flair, das keine der gesichtslosen neuen Brücken besitzt. Unter den riesigen Pfeilern haben sich einige alternative Läden eingenistet, darunter das extrem coole Café „Berlin-Warszawa“.

Das bekannteste Klubcafé in Powiśle ist ein ehemaliger Bahnhofspavillon, auf dem heute noch der Stationsname »Warszawa Powiśle« steht. Vor dem gläsernen Fünfzigerjahrebau mit dem geschwungenen Dach stehen von April bis November bunte Liegestühle, man sitzt, guckt, trinkt Wodka, isst dazu den obligatorischen Hering und chillt bis in die frühen Morgenstunden. In lauen Sommernächten stehen hier tatsächlich Hunderte von Menschen herum. Kein Wunder, dass in Powiśle ein heftiger Krieg zwischen Hipstern und Anwohnern entbrannt ist. Nicht nur die Prenzlberger Schwaben fordern Nachtruhe ab 22 Uhr.

Der Auszug stammt aus Steffen Möllers „Viva Warszawa – Polen für Fortgeschrittene“ (Malik Verlag) und erscheint an dieser Stelle mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

12.1., 20 Uhr, zakk, Düsseldorf

 

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