Marlies Dinnissen im Interview – „Ich habe die Kette meiner Großmutter auf den Arm tätowiert“

Es kommt durchaus vor, dass theycallitkleinparis jenseits der Düsseldorfer Stadtgrenzen unterwegs ist. Vor einigen Wochen war das der Fall. Im RE19 ging es ins niederländische Arnheim. Im dortigen Modekwartier im Stadtteil Klarendal machte das Lieblingsblog der Landeshauptstadt eine Entdeckung: die Schmuckmanufaktur von Marlies Dinnissen. Aus alten Fliesen und Silber fertigt Marlies wunderschöne Kettenanhänger, Ringe und Ohrringe, die allein schon die Reise nach Arnheim wert sind. Die ist übrigens – das als Tipp am Rande – mit dem 49-Euro-Ticket kostenlos anzutreten.

English version below

Marlies, welches war dein Lieblingsschmuckstück, als du ein kleines Mädchen warst?
Meine Großmutter war eine tolle Frau mit einem ausgefallenen Sinn für Stil und einer ausgeprägten Abneigung gegen alles Konventionelle. Sie trug Muscheln in den Ohren und Gummibänder mit Perlen an den Handgelenken. Sie hatte auch ein paar schöne Stücke, die sie, so erinnere ich es, von ihren Reisen mitgebracht hat. Vor allem eine Halskette hat mich immer fasziniert, ein Stück dunkelblaues Glas mit einem münzähnlichen Anhänger darunter. Ich habe mich erst mit Schmuck beschäftigt, als ich etwa 12 Jahre alt war und mir Ohrlöcher stechen ließ, aber wenn ich an meine Jugend denke und Schmuck sehe, denke ich an diese Kette. Ich habe sie nach dem Tod meiner Großmutter geerbt und trage sie mittlerweile als Tätowierung auf meinem Arm.

Foto: Marlies Dinnissen

Heute entwirfst du selbst Schmuck. Aus alten Kacheln und Silber fertigst du Ringe, Anhänger, Armbänder und Ohrringe. Wie bist du auf die Fliesen als Material gekommen? Und wie lange arbeitest du schon mit ihnen?
Ich habe vor zehn Jahren einen Silberschmiedekurs gemacht. Ich wollte lernen, wie man Steine fasst und eventuell auch selbst schleift. Es stellte sich heraus, dass ich nicht die Geduld dazu habe. Dann fiel die Vase meiner Großmutter in meinem Haus um und zerbrach in viele Stücke. Als Sammlerin von allem, was etwas taugt, habe ich die Scherben aufbewahrt, weil ich dachte, ich könnte sie vielleicht für ein Mosaik verwenden. Eines Tages ging mir ein Licht auf, und ich versuchte, die Keramikscherben wie Edelsteine zu sehen, die man schneiden und in Form schleifen kann. Wie sich herausstellte, geht das viel schneller als mit Steinen. Mir gefällt es, dass ich die Vase meiner Großmutter um den Hals tragen kann. Vasen oder Teller können tolle Designs haben, die sich von der Größe her gut als Schmuck eignen. Außerdem ist das Schmuck machen für mich eine gute Ausrede, um noch mehr kaputte Dinge zu horten, die ich jetzt für meine Arbeit brauche.

Hast du Schmuckdesign klassisch gelernt, also eine entsprechende Ausbildung oder ein Studium absolviert?
Ich habe einmal in der Woche drei Stunden einen Kurs in einer örtlichen Werkstatt besucht. Dort konnte man nach eigenen Ideen arbeiten, aber man wurde angeleitet. Ich blieb dort etwa zwei Jahre lang und sammelte in der Zwischenzeit Werkzeuge und Material, um zu Hause an Projekten zu arbeiten. Abgesehen davon, dass ich dort die Grundlagen erlernte, betrachte ich mich als Autodidaktin. Ich habe Innenarchitektur studiert, sodass das Bewusstsein für Proportionen, die Farbtheorie und das Gespür für die Präsentation vorhanden sind. Das Entwerfen passiert aber instinktiv – und das fühlt sich für mich richtig an.

Woher beziehst du dein Material? Bist du nur an bestimmten Fliesen interessiert?
Ich habe viele Kisten mit zerbrochenen Dingen, und normalerweise kommt mehr rein als rausgeht. Wenn ich einen Kundenauftrag habe, verwende ich vielleicht zwei Zentimeter von der Vase, und wenn der Kunde den Rest nicht zurückhaben will, behalte ich das Material. Es gibt besondere Anlässe, bei denen ich die Keramikabfallbehälter vor Second-Hand-Läden finde. Dann nehme ich mit, was ich tragen kann. Ich kaufe etwas nur, wenn es ein Design hat, das ich noch nie gesehen habe und der mich inspiriert, aber mir macht es mehr Spaß, mit Objekten zu arbeiten, die bereits kaputt sind und weggeworfen wurden.
Ich habe mich an örtliche Keramikkünstler gewandt und gefragt, ob ich einige ihrer defekten Backstücke, Übungsstücke und Farbmuster kaufen kann. Wo findet man mehr zerbrochene Keramik als in einer Keramikwerkstatt? Und weil ihre Arbeiten einzigartiger sind als die der Massenproduzenten, kann ich mit etwas Neuem, meist Modernerem, arbeiten.
Bei der Arbeit mit Keramik bevorzuge ich konvexe gegenüber konkaven und flache gegenüber konvexen Formen. Konkav ist zerbrechlicher, weil die Glasur an den Rändern hochkommt und leichter abplatzt. Eine zu konvexe Form ist ebenfalls zerbrechlich, da die Glasur am höchsten Punkt in der Mitte abplatzt und es schwieriger ist, eine ebene Rückseite zu gestalten. Ich sehe es als Herausforderung, es trotzdem zu schaffen.

Können Kunden ihre eigenen Fliesen mitbringen und du fertigst ein Stück genau nach ihren Wünschen an?
Ja, das sind die besten Sonderanfertigungen! Ich weiß, wie schön es ist, etwas Besonderem, das im Schrank oder in einer Kiste auf dem Dachboden lag, neues Leben einzuhauchen. Es macht so viel Spaß, etwas Altes oder etwas, das nicht dem eigenen Geschmack entspricht, mit neuen Augen zu sehen. Du kannst einem verschnörkelten Blumenmuster etwas Cooles geben, indem du ein Rechteck ausschneidest. Man kann ein Muster aus der Keramik in das Silber der Umgebung übertragen oder mit einer ergänzenden Form dagegenhalten. Ich liebe es, den Leuten diese Möglichkeiten zu zeigen und sie strahlen zu sehen.

Wie bearbeitest du die Fliesen, welche Werkzeuge verwendest du?
Ich habe eine Säge und zwei Schleifscheiben, die eigentlich für das Schneiden von Edelsteinen gedacht sind. Da ich die Keramikstücke nicht polieren muss, brauche ich nur Werkzeuge zum Formen. Ich habe einen Handmotor, den ich mit Diamantfräsern für konkave Formen verwenden kann, aber ich bevorzuge einfache Formen, die den Druck glänzen lassen, deshalb verwende ich meistens die größeren Werkzeuge.

Foto: Marlies Dinnissen

Du hast eine Kombination aus Werkstatt und Laden im Arnheimer Modekwartier im Stadtteil Klarendal. Wie lange bist du schon dort?
Im September sind es sechs Jahre. Bevor ich hierher kam, wohnte ich vorübergehend in einem abzureißenden medizinischen Zentrum im Anti-Squat-Stil. Großer Raum, aber nicht sehr kundenfreundlich. Als ich mich nach einem professionelleren Ort umsah, hatte ich das Glück, diesen Laden mit unserem Haus darüber zu bekommen.

Wie hat sich das Viertel im Laufe der Jahre entwickelt? Es wird ja vom örtlichen Tourismus-Verband stark beworben.
Die Pandemie war für uns in Klarendal natürlich eine schwierige Zeit. Um ehrlich zu sein: Ich bin beeindruckt, dass die meisten von uns nach all den Schließungen immer noch hier sind. Ich habe das Gefühl, dass es im Kern immer noch dasselbe ist: Die Macher:innen haben ihr eigenes Geschäft, aber sie tun sich zusammen, um Veranstaltungen zu organisieren und unser Viertel zu präsentieren. Wir brauchen uns gegenseitig. Manchmal ziehen Leute weg oder schließen ihr Geschäft, aber es gibt immer wieder neue Interessent:innen, die Räume bleiben nie lange leer. In dieser Zeit steigender Kosten spricht das meiner Meinung nach für das, was wir hier geschaffen haben. Ich war noch nicht hier, als das Projekt ins Leben gerufen wurde, aber ich bin stolz darauf, jetzt ein Teil davon zu sein. Da die Läden über die ganze lange Straße verteilt sind und wir nicht alle Läden pink anmalen können – das hatte ich mal angefragt -, nutzen wir jedes uns zur Verfügung stehende Mittel, um die Besucher auf unser Viertel aufmerksam zu machen. Es gibt einige Teile, die nur aus Wohnhäusern bestehen, und man muss wissen, dass es um die Ecke noch mehr gibt, um weiterzugehen. Dinge wie gedruckte Karten und unsere Modekwartier-Website helfen dabei. Wenn ich in einer anderen Stadt bin, halte ich immer Ausschau nach dem dortigen „Modekwartier“, den kleineren Straßen mit lokalen Geschäften, handgefertigtem Handwerk und Design. Deshalb finde ich es großartig, dass solche Informationen verfügbar sind und vom Tourismus-Verband gefördert werden.

Inhaber:innen des 49-Euro-Tickets können von Deutschland aus kostenlos nach Arnheim fahren. Düsseldorf und das Ruhrgebiet sind ziemlich nah. Hast du viele Kunden aus Deutschland?
Interessant, das erklärt einiges! Ich merke normalerweise, wenn in Deutschland ein Feiertagswochenende ist, weil ich dann im Laden viel Deutsch höre. Ich verstehe es ziemlich gut, traue mich aber nur, ein „Ja, alles ist handgefertigt“ herauszuquetschen und schalte dann auf Englisch um.

Was würdest du Arnheim-Besucher:innen in der Stadt empfehlen, abgesehen vom Modekwartier?
Ich würde sagen, Arnheim hat für jeden etwas zu bieten. Die Stadt ist grün, es gibt einen schönen Park mitten in der Stadt, Sonsbeek. Wir haben eine reiche Geschichte. Es gibt viele kleine Geschäfte in den 7 Straßen der Innenstadt, das ist unsere Version der 9 Straßen von Amsterdam. Arnheim hat ein großartiges Konservatorium und eine Modeschule, sodass es eine Szene gibt, die das widerspiegelt. Zwischen dem Modekwartier und dem Stadtzentrum gibt es viele Möglichkeiten, Kaffee zu trinken oder zu Mittag zu essen. Das Modekwartier sollte man übrigens am besten samstags besuchen, weil dann die meisten Geschäfte geöffnet sind.

Foto: Marlies Dinnissen

Welches ist heute dein Lieblingsschmuckstück?
Ich trage meinen eigenen Schmuck im Geschäft, aber die meisten Stücke sind Prototypen, die noch nicht verkauft werden können, oder neue Designs, die ich gerade ausprobiere. Dieses Jahr habe ich mir zu meinem Geburtstag einen Ring gemacht, ich war zum ersten Mal meine eigene Kundin. Es hat so viel Spaß gemacht, dieses Gespräch mit mir selbst zu führen. Ich weiß, was ich gerne mache, aber welche Merkmale würde ich am liebsten tragen und anschauen? Das Ergebnis ist ein großer, runder Statement-Ring mit einem dreifachen Ringband, er ist schwarz, weiß und grün bedruckt. Ich liebe ihn sehr!

Marlies Dinnissen Sieraden, Klarendalseweg 394, Arnheim, Donnerstag und Freitag 12-18, Samstag 12-17 Uhr


Interview with Marlies Dinnissen – „I have my grandmother’s necklace tattooed on my arm“

It does happen that theycallitkleinparis is sometimes on the road beyond the Düsseldorf city limits. A few weeks ago that was the case. In the RE19 it went to the Dutch Arnheim. Marlies Dinnissen’s jewelry factory is located in the fashion district of Klarendal. Marlies makes beautiful pendants, rings and earrings from old tiles and silver, which alone are worth the trip to Arnhem. By the way – and this is just a tip – for owners of the 49-euro ticket the trip is free of charge.

Marlies, what was your favorite piece of jewelry when you were a little girl?
My grandmother was a great lady with a cooky sense of style and total disregard for anything conventional. She wore shells in her ears and elastic bands with random beads on her wrists. She had some nice pieces too, from her travels I think. There’s one necklace in particular that always fascinated me, it had a chunk of dark blue glass and a coin-like pendant hanging underneath. I didn’t get into jewelry until I was probably around 12 years old when I got my ears pierced but when I think of being young and seeing jewelry I think of that necklace. I got the necklace after she passed away and even have it tattooed on my arm.

Today you design jewelry yourself. You make your rings, pendants, bracelets and earrings from old tiles and silver. How did you come up with tiles as a material? And how long have you been working with them?
I did a silversmithing course 10 years ago and was learning how to set stones and possibly how to cut the stones myself. Turns out I do not have the patience for it. Then my grandmother‘s vase fell to pieces in my house. As a hoarder of anything potentially crafty I kept the shards, I thought of maybe using them for a mosaic. One day I had a lightbulb moment and I tried to saw the shards of ceramic as if they were gemstones to be cut and grinded into shape. Turns out, it’s a lot quicker than actual stone and I love the fact that I can wear my grandmother’s vase around my neck. Vases or plates can have great designs that work well for jewelry, size wise. Also, great excuse to hoard more broken things that I now actually use in my job.

Did you learn jewelry design classically, i.e. in the form of an apprenticeship or studies?
I did a course once a week, every Tuesday from 1 to 4pm at a local workshop. You could work on your own ideas but with guidance available. I stayed there for about two years, meanwhile gathering tools and supplies to work on projects at home. Beyond learning the basics there, I consider myself self-taught. I studied interior design in school so the awareness of proportions, color theory and sense for presentation is there to back me up when I say I design instinctively, whatever feels right.

Can customers bring their own tiles and you make a piece exactly according to their wishes?
Yes, those are the best custom projects! I know how good it feels to give new life to something special that’s been in the back of your closet or in a box in the attic. Looking at something old or not to their taste with fresh eyes is so fun. You can give a frilly flower design some coolness by cutting out a rectangle. You can repeat a pattern from the ceramic into the silver surrounding it or go against it with a complementing shape. I love showing people those options and see them light up.

Where do you get your material? Are you only interested in certain tiles?
I have crates and crates of broken things now, and usually more comes in than goes out. If I have a custom order I use maybe 2 cm of that vase and if the customer doesn’t want the rest back I have more ceramics than I did before. There are special occasions where I find the ceramic waste containers outside second hand stores and I take what I can carry. I’ll only buy something if it has a print I’ve never seen before that gets me inspired but it’s more fun to work with objects that are already broken and discarded.
I have contacted local ceramic artists and asked if I could buy some of their faulty bakes/practice pieces/color swatches. Where can you find more broken ceramics than in a ceramic workshop, right? And also, because their work is more unique than mass printed designs it gives me something new, usually more modern, to work with.
When it comes to working with it, I prefer convex over concave and flat over convex. Concave is more fragile because the glaze comes up at the edges, it chips more easily. Too convex is fragile too, you bump the glaze at the high point in the middle and it’s harder to create a flat back. It can be a fun challenge too, to still make it work with those parameters.

How do you process the tiles, what tools do you use?
I have a saw and two grinding wheels meant for lapidary work (cutting/shaping gemstones). Since I don’t have to polish the ceramic pieces I only need tools to shape. I have a handheld motor that I can use with diamond burs for concave shapes but I prefer simple shapes that let the print shine so I mostly use the bigger tools.

You have a combination of workshop and store in the Arnhem Modekwartier in the Klarendal neighborhood. How long have you been there?
6 years this september. Before I got here, I lived temporarily in a to-be-torn-down medical centre anti-squat style. Huge space but not very customer friendly. When I went looking to a more professional place I lucked into getting this shop with our house above it.

How has the neighborhood developed over the years? It is, after all, promoted by the local tourist board.
It’s difficult to think of a clear development in any direction with two years of Covid in the middle of me being here. I’m impressed that most of us are still here after all the lockdowns, to be honest. I feel it’s been the same at its core though: creators having their own business but banding together to organise events and present our district. You need each other to take it up to that level. Sometimes people move away or close shop but there are always new people interested in moving here and spaces don’t stay vacant long. In this time of rising costs I think that speaks to what we have created here. I wasn’t here yet when it was initiated, but I’m proud to be part of it now.
Because the shops are spread throughout the long street and we can’t exactly paint all the shops hot pink – I asked – we use every tool we have at our disposal to make visitors aware of our area, how far up it goes. There’s some parts that only have residential buildings, you need to know there’s more around the corner to keep going. Things like printed maps and our Modekwartier website help with that. When I’m in a new city I always look for their „Modekwartier“, the smaller streets with local businesses, handmade crafts and design. So to have this information available and promoted by the tourist board is great.

Holders of the 49-euro ticket can travel to Arnhem for free with the ticket. Do you have many customers from Germany?
Interesting, that explains a lot! I can usually tell when it’s a holiday weekend in Germany because I hear German in the shop. I understand it pretty well but only dare to squeek out a „Ja, alles ist handgefertigt“ and then switch to English.

What would you recommend to visitors to Arnhem in the city, besides the Modekwartier?
I’d say Arnhem has something for everyone. It’s green, there’s a beautiful park right in the city called Sonsbeek. We have a rich history. There’s plenty of small shops in the 7 streets downtown, our version of Amsterdam’s 9 streets. Arnhem has a great conservatory and school for fashion so there’s a scene reflecting that. Great places to have coffee or lunch in between the Modekwartier and the city center. Make sure to reserve Saturday for the Modekwartier, as most shops will be open then.

What is your favorite piece of jewelry today?
I wear my own jewelry in the shop, but most of the pieces are prototypes not suitable to be sold or new designs I’m giving a test drive. This year for my birthday I made myself a ring, for the first time being my own client. It was so fun to have that conversation with myself. I know what I like to make, but what features would be my favorite to wear and look at? The result is a big round statement ring with a triple ringband, black/white/green print. I absolutely love it.

Marlies Dinnissen Sieraden, Klarendalseweg 394, Arnheim, Thursday & Friday 12-18, Saturday 12-17 h

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