Der Traum vom Raum. Suitberga

Den Traum von eigenen Raum trug Christine Breitschopf schon ziemlich lange mit sich herum. „Bestimmt 15 oder 20 Jahre“, sagt sie. Eine Wohnzimmer-Galerie, das wäre es doch. Oder ein Lesecafé. Ein Ort, an dem man die Art von Kultur präsentiert, die man selbst gerne mag. Dass es ziemlich lange dauerte, bis Breitschopf ihren Plan in die Tat umsetzte, könnte mit ihrem unruhigen Leben zu tun haben. Die 49-Jährige und ihr Partner Timm Lochmann zogen häufig um. Anfang der 2000er lebten sie in Leipzig. „Lange, bevor die Stadt boomte“, lacht Lochmann und erzählt, dass die Makler potenzielle Mieter damals zu Wohnungsbesichtigungen noch mit dem eigenen Auto chauffiert hätten. Später ging das Paar nach Paris und Washington. 2015 kamen sie nach Düsseldorf.

Manche Freunde hätten sich damals über diesen Umzug gewundert, erinnert sich Breitschopf. Vom super aufregenden Berlin in das vergleichsweise langweilige Düsseldorf. Breitschopf kann sich den Freunden nicht anschließen: „Ich sehe Düsseldorf weniger als Stadt, mehr als ganze Region.“ Die Bibliothekarin und Kunsthistorikerin, die die Bibliothek der Kunstsammlung NRW leitet, schätzt das kulturelle Angebot in der Landeshauptstadt, gerade in Sachen Bildende Kunst habe Düsseldorf außergewöhnlich viel zu bieten. „Nur schade, dass hier so wenig Alternativkultur stattfindet.“ Diesem Mangel wirkt Breitschopf seit nunmehr drei Jahren aktiv entgegen. Auf der Suitbertusstraße 74 betreibt sie die „Suitberga. Büro für Kulturvöllerei“. „Hier wird gelesen, diskutiert, gegessen, getrunken, Musik gehört, gearbeitet, entspannt, Kultur gezeigt und konsumiert“, heißt es auf der Webseite.
Die Suitberga sei ein Rückzugsort für ruhige und langsame Einfälle und ein Spielplatz für laute und schnelle Ideen. Der nur 23 Quadratmeter messende Raum mit dem großen Schaufenster beherbergte einst eine Physiotherapeutin, noch davor einen griechischen Kiosk. „Der scheint legendär gewesen zu sein“, so Breitschopf. „Den kennen hier in der Gegend wirklich alle.“ Als die Bibliothekarin 2019 das Schild „Zu vermieten“ im Schaufenster entdeckte, war ihr klar, dass ihre Chance gekommen war. Wenig später unterschrieb sie den Mietvertrag, ohne einen konkreten Masterplan zu haben. „Mir ging es eher darum, zu schauen, was sich ergibt.“ Anfangs nutzte sie den Raum mit der angeschlossenen winzigen Toilette als Büro, um sich zum Lesen zurückzuziehen. Oder auch mal, um sich mit Freunden auf eine Pizza zu treffen. „In unserer Wohnung ist nicht so viel Platz.“ Auf den realisierten Traum von Christine Breitschopf reagierte ihr Umfeld zunächst irritiert. Die Familie hatte Sorge, sie könne ihren Job kündigen. Und eine Freundin sagte: „Was willst du denn mit einem Raum? Du hast doch gar keine Zeit.“ Da war natürlich was dran. Schließlich hatte und hat sie als Bibliothekarin eine Vollzeitstelle.

Christine Breitschopf & Timm Lochmann, Foto: Lesley Crowe

Trotzdem hat Breitschopf in den vergangenen drei Jahren immer genug Zeit gefunden, die 23 Quadratmeter auf der Suitbertusstraße regelmäßig mit Kultur zu befüllen. „Das ist wie bei einem Hobby. Wie viel Zeit ich dafür investiere, darüber denke ich gar nicht nach“, sagt sie. Und Lochmann ergänzt: „Andere Leute gehen abends mit dem Hund raus. Wir kommen in die Suitberga.“ Dort ist vieles möglich, manches schon passiert. Silent Reading-Abende, zu denen jeder Besucher ein Buch mitbringt und bei denen die Mobiltelefone abgeschaltet werden. Ein Lesekreis, bei dem man über ein Buch, das alle gelesen haben, diskutiert. Wohnzimmerkonzerte, in deren Rahmen man Musiker:innen im kleinen Kreis und aus nächster Nähe erleben kann. Und dann ist da noch die Reihe „Kunststück“. In deren Rahmen präsentiert Breitschopf regelmäßig Künstler:innen von Nah und Fern in Bilk. Keine Absolventen der Akademie, die werden ja in Düsseldorf schon an zahllosen anderen Orten ausgestellt. Eher Kunstschaffende, die es sonst vermutlich einigermaßen schwer hätten, einen Ausstellungsraum zu finden. Breitschopf spricht von einem „Stück Stadtkultur, das sonst unsichtbar bleiben würde“. Kunststück #1 waren 2019 die sogenannten Ugly Schals, Schals, die aus geschenkten Wollresten gefertigt werden. Die Aktion, die mittlerweile weite Kreise gezogen hat, hat eine Freundin von Breitschopf aus Karlsruhe mitinitiiert. „Ich suche nicht aktiv nach Künstler:innen und Kunst“, erklärt Breitschopf, die Ausstellungen kämen vielmehr zu ihr, häufig laufe das über den erweiterten Freundes- und Bekanntenkreis. Trotzdem zeige sie „natürlich nur, was mir gefällt, was mir Spaß bereitet“. Unikate aus Vintage-Porzellan können das ebenso sein wie Pullover, T-Shirts, Jacken und Röcke des Leipziger Labels „Supercool Universe“ oder Hundefotografien der Künstlerin Nicole Blaffert. Jede Ausstellung läuft vier bis acht Wochen. Der Raum wird den Kreativen kostenlos zur Verfügung gestellt. Breitschopf ist also auf ihrem bescheidenen Level eine Unterstützerin, eine Art Mäzenin: „Wir haben keine Kinder. Wir haben kein Auto. Wir haben kein Fitnessstudio-Abo. Und wir haben genug Geld“, lacht ihr Freund Timm Lochmann. Es mache einfach Spaß, Kultur möglich zu machen, zum Angebot in der eigenen Stadt beizutragen.

Peter Piek in der Suitberga, Foto: Suitberga

Manchmal bekommen Ausstellende den Schlüssel für den kleinen Raum, um ihre Werke aufhängen zu können. Wenn die Künstler:innen von außerhalb kommen, werde die Exponate schon mal per Post an die Suitberga geschickt, beim Ausstellungsaufbau sind manche Urheber per Zoom zugeschaltet. „Es ist immer interessant, zu sehen, wie sich der Raum durch die jeweilige Kunst verändert“, sagt Breitschopf. Dabei ist es ungeschriebenes Gesetzt in der Suitberga, dass keine Möbel entfernt werden, um Platz zu schaffen. Alles bleibt, wie es ist. Das knallgelbe Bücherregal, in dem „Rave“ von Rainald Goetz neben Norbert Scheuers „Die Sprache der Vögel“ oder „Anständig essen“ von Karen Duve steht. Die Lampen aus alten Kaffeetassen im Fenster. Oder die braunen 60er-Jahre-Sessel, die aus dem heimischen Wohnzimmer in die Suitberga umgezogen sind. Der Bilker Kulturraum mutet weniger an wie eine kühle Galerie, mehr wie ein Wohnzimmer, dessen Besitzer sich mit Dingen umgeben, die sie mögen. Meist bleibt es dabei eher leise, aber manchmal, bisher selten, wird es auch lauter. Dann wird musiziert. Bei Marie Rauschen, die eine Vernissage musikalisch untermalte, war es ziemlich voll. Bei Peter Piek aus Leipzig zählte man „vielleicht 15 Gäste“. Besuchermischung an solchen Abenden ist ähnlich wie bei der Reihe „Kunststück“: Freunde, Freunde von Freunden, aber auch zufällig vorbeikommende Passanten. Zu Pandemie-Zeiten bot das große Schaufenster einen entscheidenden Vorteil: Die Besucher konnten die Kunst auch von außen betrachten, ohne den Raum betreten zu müssen. Für die Zukunft wünscht sich Breitschopf aber doch wieder Vernissagen im klassischen Sinne. „Ich hoffe, dass das im Sommer wieder möglich ist.“

Suitberga, Suitbertusstraße 74, Düsseldorf

1 Kommentar

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Liebe Alexandra,

gerade bei mir um die Ecke. Gefühlt tausend mal vorbei gegangen und irgendwie „übersehen“. Aber nun nicht mehr.
Beim nächsten Mal schau ich rein
Den 18. Mai habe ich mir fett im Kalender eingetragen.

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