Merle Forchmann und Eva-Maria Burchard im Interview – „Nicht unser Ansatz, den Finger in die Wunde zu legen“

Die Düsseldorfer Fotografinnen Merle Forchmann und Eva-Maria Burchard haben ein Fotokunst-Magazin über Garath herausgebracht. Das Bild, das sie darin von dem Stadtteil im tiefen Düsseldorfer Süden zeichnen, ist völlig anders, als das, das gemeinhin von Garath kursiert. theycallitkleinparis hat mit Forchmann und Burchard gesprochen.

Wir führen dieses Interview in dem Stadtteil Garath, der euch als Fotografinnen bereits seit einigen Jahren beschäftigt. Während wir sprechen, sitzen wir im Imbiss Mykonos. Seit 26 Jahren gibt es den schon. Seid ihr während eurer fotografischen Arbeit hier oft eingekehrt?
Merle: Ja, tatsächlich waren wir fast jedes Mal hier, wenn wir in Garath fotografiert haben.
Eva-Maria: Die Pommes sind ja auch sehr gut.

Anfang 2020 ist euer erstes Fotokunst-Magazin zu Garath erschienen. Wie waren die Reaktionen, aus dem Stadtteil und von anderswo?
Merle: Das Feedback war eigentlich durchweg positiv, sowohl von den Garather:innen als auch von Leuten von anderswo.
Eva-Maria: Die Garather:innen, allen voran die Erstbewohner:innen, die wir für das erste Magazin porträtiert hatten, waren richtig happy. Wir sind aber auch von vielen Leuten angesprochen worden, die den Stadtteil vorher gar nicht kannten – oder nur Negatives damit verbanden. Letztendlich hatte das Magazin genau den Effekt, den wir uns gewünscht hatten: Beim Lesen hat sich die Wahrnehmung von Garath verändert.

Die insgesamt 5.000 Exemplare, die ihr damals habt drucken lassen, waren sehr schnell vergriffen. Schon zu der Zeit gab es den Plan, eventuell ein zweites Heft über Garath zu machen, ihr saht aber keine Finanzierungsmöglichkeiten dafür. Nun haben die sich offenbar doch ergeben. Wie kam das?
Merle: Während wir noch überlegt haben, ob wir ein zweites Magazin zu Garath machen oder doch etwas anderes, kam Corona. Wir haben daraufhin entschieden, noch mal mit der Stadt zu sprechen. Das Stadtplanungsamt hatte ja unser erstes Magazin finanziert. Unser Vorschlag stieß dann auf Anhieb auf Gegenliebe. Und die positive Resonanz auf das erste Magazin spielte uns natürlich auch in die Karten.
Eva-Maria: Die Zusammenarbeit mit der Stadt war von großem Vertrauen geprägt. Das hat uns das Arbeiten sehr leicht gemacht.

Es war euch wichtig, dass das Magazin kostenlos ist, damit niemand ausgeschlossen wird. Wie hoch ist die Auflage diesmal?
Merle: 3.000. Die kosten im Druck 10.000 Euro. Das Magazin wird im Kettler Verlag gedruckt, der auch Kunstbücher herstellt.
Eva-Maria: Die Qualität von Papier und Druck war uns sehr wichtig. Das Heft sollte halt nicht wie ein Käseblatt aussehen.

Sind die Fotos alle während der Corona-Zeit entstanden?
Merle: Ja, sind sie. Wir haben im Sommer 2020 mit der fotografischen Arbeit begonnen, da sind die beiden Reportagen entstanden.

Gab es denn auch Ideen, die sich wegen Corona nicht realisieren ließen?
Merle: Eine Idee, die wir nicht realisieren konnten, waren die Homestorys. Wir wollten für das zweite Magazin unbedingt bei Garather:innen zuhause fotografieren. Das hat leider wegen der Pandemie nicht geklappt. Auch die Schüler:innen der Garather Gesamtschule konnten wir erst auf den allerletzten Drücker fotografieren. Weil die Schulen ja während Corona lange geschlossen waren. Als wir dann endlich fotografieren konnten, musste alles ganz schnell gehen. Deshalb blieb leider keine Zeit, sich länger mit den Schüler:innen zu unterhalten. Das fand ich schade.
Eva-Maria: Das war beim ersten Garath-Magazin ganz anders. Mit den Erstbewohner:innen haben wir total lange gesprochen und folgerichtig auch wesentlich mehr über sie erfahren.

Schon beim letzten Mal habt ihr euch für eine Person auf dem Cover entschieden. Damals war es eine Erstbewohnerin. Auch diesmal ist eine Garatherin Titelmodel. Wieso ist es gerade die 16-jährige Judo-Kämpferin Katharina Löb geworden?
Merle: Das müsstest du Carsten, unseren Grafiker, fragen. Er wählt die Cover-Fotos aus. Warum er sich für Katharina entschieden hat, haben wir ihn gar nicht gefragt.
Eva-Maria: Nachdem wir beim ersten Magazin eine ältere Dame auf dem Cover hatten, war aber klar, dass es diesmal ein jüngerer Mensch sein sollte. Die Judo-Kämpferin ist eine junge Frau, im doppelten Sinne eine starke Persönlichkeit. Carsten hat für das Cover die Farbe Gold gewählt, weil es in einem Gegensatz zum Image steht. Wenn man an Garath denkt, denkt man zunächst nicht an die Farbe Gold.

Eine Schülerin, die ihr porträtiert habt, die zehnjährige Asinat, hat im Gespräch mit euch einen erinnerungswürdigen Satz gesagt: „Garath ist so schön wie der Himmel“. Wie habt ihr darauf reagiert?
Merle: Wir waren wirklich gerührt.
Eva-Maria: Asinat ist offenbar in Garath angekommen. Sie fühlt sich hier wohl. Sie war auch sehr interessiert an unserem Projekt, hat sich das Magazin ganz genau angeschaut. Sie konnte sich auch selbst vorstellen, Fotografin zu werden. Obwohl sie erst zehn war.

Gibt es generell einen Unterschied zwischen der Innenansicht, also der der Bewohner von Garath, und der Sicht von außen?
Eva-Maria: Die Leute, die hier leben, sprechen jedenfalls fast ausschließlich positiv über Garath.

Dimitrios Tsaprantzis im Valentino, Foto: Merle Forchmann, Eva-Maria Burchard

Und wie erklärt ihr euch das?
Merle: Ich könnte mir vorstellen, dass es damit zu tun hat, dass über Garath so häufig negativ gesprochen oder berichtet wird. Vielleicht bildet man dann eine verschworene Gemeinschaft, um sich dem entgegenzustellen. Ich selbst kenne den Stadtteil ja noch aus meiner Schulzeit. Viele meiner Freunde haben hier gewohnt. Ich habe Garath nie als sozialen Brennpunkt empfunden. Ich habe mich hier genauso aufgehalten wie in Benrath oder Urdenbach.

Gab es während eurer Arbeit in Garath eine Begegnung, die euch besonders beeindruckt hat?
Merle: Im Rahmen des „Bürgersommers“ hatten wir den Auftrag, Fotos von den Bewohner:innen zu machen, die Abzüge bekamen sie als Geschenk. Während der Aufnahmen waren wir an Isis Kiosk. Isi ist so eine Art Sozialarbeiter, dem die Leute ihr Herz ausschütten, wie vielen Kioskbetreiber:innen. Vor seinem Büdchen trifft sich regelmäßig abends eine Gruppe von Männern, 55 plus, um etwas zu trinken und sich zu unterhalten. Diese Männer haben sich sehr gefreut, dass wir sie fotografierten.
Eva-Maria: Ich glaube, dass die Menschen es einfach zu schätzen wissen, wenn sich jemand für den Stadtteil, in dem sie leben, interessiert – und keine vorgefasste Meinung hat. Sondern erst mal neutral ist.
Merle: Das haben wir versucht. Offen zu sein für andere Leben, andere Lebensformen. Wenn du es schaffst, den Menschen so zu begegnen, macht das natürlich auch etwas mit deinem Gegenüber.
Eva-Maria: Was das angeht, sind Merle und ich auch wirklich ein gutes Team. Wir schaffen es, die Leute zu öffnen. Auch wenn sie uns zunächst mal eher ablehnend gegenüber treten. Oder skeptisch sind.

Ist eure Arbeit auch bis zu einem gewissen Grad Sozialarbeit?
Eva-Maria: Auf jeden Fall.
Merle: Ich studiere ja auch wieder. Sozialarbeit, im dritten Semester. Das passt sehr gut zu der Art, wie Eva-Maria und ich die Fotografie ausüben. Wir gehen dorthin, wo andere nicht gerne hingehen.

Foto: Merle Forchmann, Eva-Maria Burchard

Ihr zeichnet in eurem Magazin ein sehr lebenswertes Bild von Garath. Aber das ist natürlich nur eine Seite der Medaille. Warum spart ihr kritische Aspekte aus?
Eva-Maria: Es ist nicht unser Ansatz, den Finger in die Wunde zu legen. Aber wir verschweigen auch nichts. Wir kommunizieren bestimmte eher negative Aspekte durchaus, aber eben nicht direkt über Text, sondern subtiler, über unsere Fotos. Darauf achten wir bei der Auswahl schon. Es sind zum Beispiel mehrfach Deutschland-Fahnen auf den Bildern zu sehen. Wir wollten aber auch Aspekte jenseits der Stigmata zeigen, die die Leser:innen überraschen, weil sie sie nicht mit Garath verbinden. Eine Imkerei zum Beispiel. Oder den Garather Forst mit den Wildschweinen.
Merle: Die Aufnahmen im Wald waren lustig. Als wir die Wildschweine fotografiert haben, mussten wir in einem Häuschen sitzen, ganz klassisch wie Tierfotograf:innen, damit die Wildschweine nicht auf uns aufmerksam wurden. Ich habe gemerkt, dass Tierfotografie nicht so meins ist. Das lange Warten. Dafür bin ich nicht geduldig genug.

Ihr gebt nicht zu erkennen, welches Foto von wem stammt. Warum nicht?
Merle: Weil wir das Magazin als echtes Gemeinschaftsprojekt sehen. Wir entwickeln die Idee des Magazins gemeinsam. Wir entscheiden zusammen, welche Geschichten wir realisieren. Und wir schauen zusammen, welches Bild am besten passt. Ob es dann von mir ist oder von Eva-Maria, spielt keine Rolle.

Jetzt haben wir viel über die Fotos gesprochen. Welche Rolle spielen eigentlich die Texte?
Eva-Maria: Eine eher untergeordnete. Der Schwerpunkt liegt bei uns ganz klar auf den Fotos. Die Texte haben Carsten Johannisbauer und Alexander Flohé geschrieben. Carsten hat sich auch um die Gestaltung des Magazins gekümmert. Das hat er schon beim letzten Mal gemacht.

Auch wenn das in Zeiten von Corona schwierig ist: Stellt ihr das Magazin offiziell im Stadtteil vor?
Merle: Eigentlich wollten wir das Magazin auf dem Weihnachtsmarkt in Garath verteilen. Aber der ist wegen Corona abgesagt worden. Wir werden die Hefte daher in erster Linie an den Stellen verteilen, an denen wir auch fotografiert haben. Unser Vertrieb bedient Garath nämlich kaum. Und wir möchten natürlich, dass das Magazin im Stadtteil selbst sichtbar ist. Das ist uns sehr wichtig.
Eva-Maria: Im Stadtteilbüro werden die Hefte ausliegen, dort kann man sich jederzeit kontaktlos ein Exemplar abholen.

Wird es ein drittes Magazin zu Garath von euch geben?
Merle: Wir planen tatsächlich schon ein neues Projekt, allerdings zu einem anderen Düsseldorfer Stadtteil. Welcher das ist, möchten wir noch nicht sagen. Es geht uns dabei weniger um eine Imageaufwertung als um Milieuerhalt. Das Ziel ist also ein anderes.

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