Andrea Lehmann im Interview – „Das Gute an Bildern ist, dass sie warten können“

Die Unglaublichkeitsmalerin ist zurück. In ihrer jüngsten Ausstellung mit dem Titel „Steine im Kampf gegen Geschichte“ zeigt die Düsseldorfer Künstlerin Andrea Lehmann 30 neue Arbeiten, die im vergangenen Jahr entstanden sind. Wie sich die Pandemie auf ihre Arbeitsweise, die Materialien und den Ausstellungsbetrieb ausgewirkt hat, hat die Meisterschülerin von Markus Lüpertz theycallitkleinparis erzählt.

Andrea Lehmann, Foto: privat

Andrea, in auffällig vielen deiner aktuellen Arbeiten sind Insekten zu sehen. Allen voran Motten, aber auch Wanzen. Warum machst du sie zu Protagonisten?
In diesem Sommer gab es in der Nähe meiner Wohnung ein Hornissennest. Ich habe die Hornissen oft besucht und ihnen durch die Kamera in Zeitlupe zugesehen. Ich finde es interessant, die Ideen unserer Gesellschaft mit dem zu vergleichen, was man im Insektenreich beobachten kann. Zum Beispiel konnte ich einen Admiral beobachten, der eine Hornisse im Flug zu Boden schlägt und Fliegen, die in aller Ruhe in das Nest der Hornissen spazieren. Eine Wanze hat mir gezeigt, wie sie mit ihren Flügeln flattert, und ich habe in die lieben Gesichter von Motten gesehen. Ich frage mich, ob so kleine Tiere uns als Beobachter ihrer Welt wahrnehmen und inwieweit sie eigene Entscheidungen treffen oder ihr Verhalten einer Programmierung entspricht. Durch die Zeitlupe wechselt man zu einer anderen Wahrnehmung der Zeit und erkennt unsere Wirklichkeit als eine kleine Auswahl. Um unsere Realität herum liegen noch so viele andere.

Nach einer zweijährigen Pause werden deine Arbeiten derzeit wieder im Rahmen einer Ausstellung in Düsseldorf gezeigt. „Steine im Kampf gegen Geschichte“ in der Anna Klinkhammer Galerie ist am 11. November gestartet, mitten im Lockdown light. Eine Vernissage gab es also nicht. Wie sehr hast du das bedauert?
Natürlich ist es schade, wenn die frischen Bilder kaum gesehen werden. Aber so geht es gerade vielen und es wäre falsch, die Situation persönlich zu nehmen. Das Gute an Bildern ist, dass sie warten können.

Die Museen sind seit Anfang November geschlossen. Die einzige Möglichkeit, Kunst zu sehen – jedenfalls, wenn man das nicht online tun möchte – besteht derzeit in Galerien. Wie rege wird davon Gebrauch gemacht?
Es gibt immer Besucher, die sich auch durch die eingeschränkten Öffnungszeiten von nichts abhalten lassen. Für viele ist ein Galeriebesuch nicht zuletzt auch die Möglichkeit, Gespräche zu führen und Menschen zu begegnen. Wenn man durch gebuchte Zeitfenster und begrenzte Besucherzahlen festgelegt wird, schaut man sich sicher weniger Ausstellungen an. Immerhin ist es aber möglich.

Was fehlt, ist allerdings der direkte Austausch zwischen den Besuchern und dir als Künstlerin. Erreicht dich trotzdem Feedback?
Bisher waren tatsächlich nur wenige Besucher in meiner Ausstellung, manche haben mir Grüße hinterlassen. Feedback bekomme ich aktuell eher über Social-Media-Kanäle wie Instagram. Das bezieht sich dann allerdings auf einzelne Bilder und nicht auf eine komplette Ausstellung. Ich schätze das aber sehr und bin gerade jetzt froh über diese Möglichkeit.

Wie hat sich die Pandemie auf deine künstlerische Arbeit ausgewirkt? Es gibt ja Künstler, die von sich sagen, dass sie in der momentanen Phase sehr konzentriert arbeiten können. Aber auch solche, die die Umstände als eher lähmend empfinden.
Weil unsere Kinder noch klein sind, habe ich während der Pandemie nicht mehr Möglichkeiten zu arbeiten als sonst. Generell mag ich aber die Atmosphäre von Stillstand und Ausnahme, weil sie die Aufmerksamkeit vom äußeren Leben nimmt und mehr auf das innere Geschehen lenkt. Leider ist dieser Zustand aber mit Leid und Angst für viele Menschen verbunden, deswegen kann ich gut nachvollziehen, dass man die Situation als lähmend empfindet.

Frühere Werke von dir maßen durchaus schon mal 3 mal 3 Meter. Die Formate der aktuell gezeigten Bilder sind eher klein. Hast du dich vom großen Format entfernt?
In der aktuellen Ausstellung hängen zwei Bilder, die circa 2 mal 3 Meter messen. Eines von Ende 2019, das andere habe ich im Frühjahr begonnen und es kurz vor der Ausstellung fertig gemalt. Der Lockdown im Frühjahr hat meine Arbeit im Atelier unterbrochen und ich habe stattdessen an vielen kleinen Bildern gearbeitet. Ich beginne neue Themen mit großen Bildern, weil ich sie zunächst nicht überblicken kann und erst weiß, was sie zeigen, wenn sie fertig sind. Dann kann ich kleine Bilder malen, die thematisch dazu gehören. An dieser Vorgehensweise hat sich nichts geändert.

Geruch der Motte, 2020

Auch die verwendeten Materialien haben sich verändert. Während du früher in erster Linie mit Ölfarbe gearbeitet hast, nutzt du jetzt auch Tinte oder zeichnest mit dem Bleistift. Wie hat sich das entwickelt?
Nach wie vor arbeite ich hauptsächlich mit Ölfarbe, für mich ist das ein unersetzliches Material. Aber während der Wochen im Lockdown hatte ich keine Zeit, im Atelier zu arbeiten. Die Kinder waren zu Hause und wollten mit mir spielen. So haben wir dann zusammen in der Küche gezeichnet, weil das nicht giftig ist und schneller geht. Mir hat das viel Spaß gemacht.

Wie entstehen deine Motive?
Ausgangspunkt für ein neues Bild ist immer die Begeisterung für eine Schönheit, ob in einem inneren Bild, in einem Foto oder der Realität. Sie leuchtet aus Gestrüpp hervor und ich versuche, sie zu befreien. Ich ziehe an einem Bein und weiß nicht, wie es weitergehen könnte. Ob es schon bald als dünnes Wesen endet oder ein riesiger Körper folgt, wird sich ergeben. Ich muss nichts wissen und ziehe nur, wenn ich etwas erkennen kann. Ich glaube, dass ich dadurch etwas lerne über die Wirklichkeit. Das, was ich will, was ich sehe und ob es als Bild funktioniert, sagt viel über Realität und unser Bewusstsein aus. Ich verforme das Wesen und es verliert durch mein Zerren vielleicht wichtige Teile, aber ich arbeite so lange, bis es bestehen kann.

Wenn du einen Soundtrack zu deinen Bildern zusammenstellen würdest: Wie würde der klingen?
Er bestünde nicht aus Musik, sondern aus Geräuschen. Das Rascheln von rauen Fingern auf weichem Stoff, Käferbeinen auf Glasscheiben und das Rauschen im eigenem Ohr. Ganz kleine Geräusche, auf die man plötzlich aufmerksam wird und durch die man mit seinem Bewusstsein die Ebene wechselt und die viel über die Oberflächen und Materialien verraten. Diese Geräusche hören sich nur für unsere Menschenohren so an und andere Wesen nehmen sie anders wahr, also hören wir darin auch viel von uns selbst.

Steine im Kampf gegen Geschichte II, 2020

Was hat es mit dem Ausstellungstitel „Steine im Kampf gegen Geschichte“ auf sich?
Steine sind immer um uns herum. Sie begannen als Planet und werden immer weiter zerteilt, bis sie schließlich als Stein in einem Bauwerk darauf warten, dass dieses zerfällt und sie wieder frei gibt. Sie sind bei allem, was wir tun, im Hintergrund, aber sie greifen nie ein. Sie scheinen keinerlei Ziele zu verfolgen und hindern uns weder an dem, was wir wollen, noch unterstützen sie uns. Menschen schreiben Geschichte und Geschichten, indem sie alles miteinander verknüpfen und das Vergangene festhalten. Der Kampf der Steine ist viel weniger als ein Nein, sie sagen nur nicht ja zum freien Willen, zum Bewahren, zur Vergänglichkeit. Sie tun nichts, aber in aller Heimlichkeit verwandeln sie sich im Inneren in Kristalle.

Andrea Lehmann „Steine im Kampf gegen Geschichte“: bis 19.12. Anna Klinkhammer Galerie, Neubrückstr. 6, Düsseldorf, Besuche sind ausschließlich nach vorheriger telefonischer Anmeldung unter 0157-56608091 möglich.

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