Musikalische Monologe. Über den Pianisten Tom Blankenberg

Es sind die Momente, in denen er eigentlich keine Zeit hat und keine Ruhe. Weil er einen Termin hat und eh schon zu spät dran ist. Weil es jede Sekunde klingeln kann und ihn jemand abholt. In diesen Momenten setzt sich Tom Blankenberg besonders gerne ans Klavier. „Vielleicht ist es der Wunsch nach Ruhe, die ich in dem Moment nicht habe.“ Er spiele dann immer etwas Neues. Wenn er merkt, dass es gut werden könnte, nimmt er die Skizzen zunächst mal mit seinem iPhone auf. Passiert das an einem 5. April, ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass er das Rohmaterial unter dem Dateinamen „April“ abspeichert. Am Ende des Kompositionsprozesses, der oft viele Wochen in Anspruch nimmt, heißt es dann meist immer noch so. Grundsätzlich mache es ja Sinn, dass ein Stück einen Titel habe, findet Blankenberg. Allein: Er wolle durch den Titel die Bilder nicht vorwegnehmen. Die Bilder, so sein Wunsch, sollen im Kopf des Zuhörers entstehen. Viele unterschiedliche Bilder. Bei vielen unterschiedlichen Zuhörern.

Tom Blankenberg kennt man in Düsseldorf seit zwanzig Jahren als Keyboarder der Band Subterfuge. Bei zahllosen Konzerten der Gitarren-Pop-Formation hat er im Halbdunkel gesessen, ganz entspannt, ab und zu einen Schluck Bier genommen. „Natürlich hat das Spaß gemacht“, sagt er und schiebt ein bisschen zaghaft nach: „Aber es waren die Songs von Thommy und Lars.“ Parallel zu seinem Tun als Band-Mitglied bei Subterfuge habe es aber immer auch eine Sehnsucht gegeben, eigene Songs zu schreiben. Und irgendwann hat er ihr nachgegeben. Die meisten Kompositionen seines ersten Soloalbums „atermus“ sind vor fünf, sechs Jahren entstanden. Zwei sind neueren Datums. Eins hat er schon Ende der 1980er-Jahre geschrieben. Allein die Zeitspanne lässt erahnen, welche Bedeutung das Album für den 48-Jährigen haben muss. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs ist es noch genau eine Woche bis zum Erscheinungstermin von „atermus“. Blankenberg gehen tausend Gedanken durch den Kopf. Er macht Promo-Arbeit, gibt Interviews, verschickt Fotos und Bios, versucht, eine kleine Live-Tour zu organisieren. „Ich bin schon sehr unterwegs im Kopf“, sagt er. Und: „Ich fühle mich verletzlich.“

Weil das von Journalisten häufig gewünscht wird, hat Blankenberg ein paar Zeilen zu dem, was er macht, formuliert. Seine minimalistischen Klavierstücke, die manche unter Klassik einsortieren würden und andere näher am Jazz verorten, vergleicht er mit Krümeln, Tropfen, Sekunden. „Ich mag das Kleine, Nahe, Leise“ schreibt er. Tom Blankenberg sieht sich weniger als Live-Performer, denn als Komponist. Das Komponieren sei für ihn „die präzisere Arbeit“, erklärt er. Das, was da entsteht, darf sein Tempo haben. Seine Lautstärke. „Das ist zunächst mal ein Monolog“, sagt der Musiker. Piano-Monologe – auch eine schöne Bezeichnung für das, was er macht. 13 dieser musikalischen Selbstgespräche sind auf „atermus“ zu finden. Das kürzeste ist keine zwei Minuten lang, das längste genau sechs. Fünf tragen Monatsnamen als Titel. April. Oktober. November. Juni, August. Das Adjektiv „romantisch“ möchte Blankenberg für deren Beschreibung gerne vermeiden. „Eine gewisse Sprödheit, das würde ich hingegen für das, was ich mache, schon eher in Anspruch nehmen wollen.“

Live hat Tom Blankenberg als Solomusiker bisher keine Routine. In fünf Jahren hat er gerade mal neun Konzerte absolviert. Ein paar sollen in diesem Jahr dazukommen. Ein Release-Konzert im Glashaus auf dem Worringer Platz ist im Gespräch. Und im April möchte er im Rahmen der Micro Pop Week zu sich ins Studio einladen. Zuletzt hat er viel darüber nachgedacht, welcher Art von Musik er in seinem Leben „ausgesetzt war“, ein Begriff, der ihm gefällt. Sein Vater hörte konventionellen Jazz. Die Schwester mochte Musicals der 1960er-Jahre. Er selber sang im Chor und atmete dort Bach ein. Und ein japanischer Freund seines Bruders Kai brachte ihm die japanische Elektronikband Yellow Magic Orchestra, kurz Y.M.O., nahe. Japan ist überhaupt ein starker Einfluss. Mehrere Songs auf „atermus“ tragen japanisch anmutende Titel. Und das Kunstwerk auf dem Cover ist von Hiroshi Kawano, dem verstorbenen Pionier der Computerkunst. „Die Arbeit wurde von Algorithmen geschaffen“, erklärt Blankenberg. „Aber das Ausmalen der Farbflächen musste ein Mensch übernehmen.“ Das habe ihm gefallen.

Als er begann, eigene Musik zu schreiben, war Tom Blankenberg sofort klar, dass die Songs instrumental werden würden. Er habe ja ohnehin einen Hang zur Filmmusik. „Bei einem Song ist für mich der Harmonieverlauf das Wichtigste“, so der 48-Jährige. Wichtiger als der Beat. Wichtiger als der Text. Es gebe gerade in der Popmusik unzählige Songs, die auf diesen beiden Elementen basieren. Beat. Und Text. Genau die lässt Blankenberg weg. „Macht nichts“, sagt er. „Ist genau richtig.“

1 Kommentar

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Der Tom, den wir bei dem letzten Rundgang „vermisst“ haben.

Danke für diesen Einblick in seine Gedankenwelt und Kreativität.
Jetzt bin ich aber neugierig geworden.

Michael

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