Michael Wenzel und Sven-André Dreyer im Interview – „Ein objektives Bild kann es nicht geben“

Rund anderthalb Jahre haben sie an dem Buch gearbeitet. Macher und Musiker getroffen. Interviews geführt. Fotos durchstöbert und selber gemacht. Nun ist „Keine Atempause. Musik aus Düsseldorf“ fertig. Geschrieben haben es Sven-André Dreyer und Michael Wenzel, zwei gebürtige Düsseldorfer, die wissen, was sie tun. Beide sind seit vielen Jahren als Journalisten in der Stadt tätig. Diesmal standen sie allerdings auf der anderen Seite und waren für die Antworten zuständig. Die Fragen stellte theycallitkleinparis.

 

Mit der Düsseldorfer Musikszene haben sich ja schon mehrere Bücher beschäftigt. 2001 erschien Jürgen Teipels großartiges „Verschwende deine Jugend“, in dem die Düsseldorfer Szene eine wichtige Rolle spielt. 2014 Rüdiger Eschs „Electri_City – Elektronische Musik aus Düsseldorf“. Was unterscheidet euer Buch von diesen beiden?
Michael: Für uns stand von vorneherein fest, dass „Keine Atempause“ den literarischen Brückenschlag über die Mitte der 1980er Jahre in die Gegenwart vollziehen sollte. Düsseldorf gab die Steilvorlage, denn hier lässt sich seit jeher Musik verorten. Deshalb porträtierten wir Orte, die auf den Ratinger Hof als Keimzelle folgten, wie zum Beispiel den Unique Club und den Salon Des Amateurs und trafen populäre Protagonisten der aktuellen Szene wie Broilers und Stabil Elite.
Sven: Zudem nähern wir uns dem Thema, den Menschen und Orten innerhalb des Buches nicht nur textlich, sondern auch visuell. Nicht nur mit historischen Fotografien und Dokumenten stellen wir das Gestern dar: Der Fotograf Thomas Stelzmann traf unsere Gesprächspartner im Hier und Jetzt und macht damit eben auch die ganz persönlichen Entwicklungen der Menschen deutlich. Und das ist mitunter sehr berührend.

Wenn man von der Düsseldorfer Musikszene spricht, fallen meist zwei Namen: Kraftwerk und Die Toten Hosen. Welche Rolle nehmen diese beiden Bands in eurem Buch ein?
Sven: Die Erstgenannten eine verschwindend geringe, denn eine interne Quelle der aktuellen Geschehnisse rund um die Band wäre natürlich auch für uns nicht zu sprechen gewesen, hätten wir sie denn überhaupt angefragt. Wollte man dennoch von der Band berichten, so begibt man sich journalistisch auf dünnes Eis und würde doch nur das erzählen, was zuvor bereits mehrfach erzählt wurde.
Andreas „Campino“ Frege mit seinen Bands ZK und Die Toten Hosen hingegen spielt tatsächlich eine zentrale Rolle. Nicht nur, weil er mit seinen Bands recht früh das musikalische Geschehen der Stadt maßgeblich mitgestaltete und bis heute prägt, sondern auch, weil sich Andreas sehr viel Zeit für uns genommen hat.

Und wer sind eure persönlichen musikalischen Helden aus Düsseldorf?
Michael: Wolfgang Riechmann. Mein tragischer Held. Sein Album „Wunderbar“ erschien posthum und klingt durch alle Zeiten hinweg schön. Das spricht für ihn als Künstler.
Sven: Tatsächlich war es für mich sehr erhebend, mit all diesen Menschen, die in unserem Buch zu Wort kommen, sprechen zu dürfen. Einige kannte ich bereits Jahre vor Entstehung des Buches, andere habe ich durch die Arbeit am Buch erst persönlich kennengelernt. Und doch haben all diese Menschen eines gemeinsam: Sie haben nicht nur in dieser Stadt, sondern durchaus international viel beachtete Musikgeschichte geschrieben und tun das auch heute noch.

Der Titel „Keine Atempause“ ist von einer wegweisenden Düsseldorf Band geliehen. Den Fehlfarben. Wie schwierig gestaltete sich die Suche nach einem Buchtitel?
Michael: Es gab verschiedene Ideen, wobei viele an Orten aufgehangen waren. „Keine Atempause“ transportiert den kreativen Geist, die Unruhe und Geschäftigkeit der Stadt am besten und wurde daher zum Favoriten.

Wie habt ihr euch die Schreibarbeit aufgeteilt?
Michael: Das haben wir recht organisch nach unseren musikalischen Vorlieben gestaltet. Sven hat sich mehr mit der Szene um den Ratinger Hof herum beschäftigt, ich mehr mit der Zeit danach. Es gab natürlich auch Schnittmengen aufgrund unserer persönlichen Kontakte zu den Interviewpartnern.

Thomas Stelzmann, Michael Wenzel, Sven-André Dreyer (v. l. n. r.), Foto: Thomas Stelzmann

Ich habe den Eindruck, dass Bücher wie „Keine Atempause“, viel mit der Verklärung von Vergangenheit zu tun haben. Ist das eine Gefahr, derer ihr euch bewusst wart? Habt ihr versucht, ihr entgegen zu arbeiten?
Michael: Wann immer Menschen über Vergangenes sprechen, verklären sie die Vergangenheit. Es wird beschönigt, es wird verherrlicht – ob bewusst oder unbewusst. Eine neutrale Sicht, ein objektives Bild kann es nicht geben und das können und wollten wir mit „Keine Atempause“ auch nicht ändern. Wichtig ist das Bild von Orten, das sich im Kopf des Lesers aus den einzelnen Erzählperspektiven zusammensetzt.
Sven: Dennoch ist gleichzeitig für uns aus der Perspektive der Journalisten auch festzustellen, dass viele unserer Gesprächspartner sehr klar, durchaus unprätentiös und doch respektvoll zurückblicken. Und tatsächlich sind ja viele der Protagonisten bis heute musikalisch und künstlerisch aktiv und sehr erfolgreich, so dass ein Rückblick in die alte Zeit für sie heute nur ein – wenn auch extrem spannender – Abschnitt einer insgesamt erfolgreichen Karriere bedeutet.

In Düsseldorf gab es seit den 1960er Jahren eine enge Verbindung zwischen Musik, Clubszene und Bildender Kunst. Das Interieur des Altstadt-Clubs „Creamcheese“ wurde etwa u. a. von den ZERO-Künstlern Heinz Mack und Günther Uecker gestaltet. An der Bar stand Katharina Sieverding. Heute verkörpert der Salon des Amateurs diese Liaison. Inwiefern greift ihr das Thema im Buch auf?
Michael: Die Kunst schwingt ja immer mit, alleine durch die Strahlkraft der Kunstakademie. Entsprechend hat die Kunstszene im „Hof“ ein eigenes Kapitel enthalten. Es hätte auch ein eigenes Buch werden können. Was wir zeigen, ist, dass Musikorte Kreative unterschiedlichster Disziplinen anziehen, die dann gemeinsam Neues schaffen und ihre Zeit prägen wie es zum Beispiel im Unique Club der Fall war.
Sven: Und interessant ist überdies, wie sehr die heimischen Künstler auch das internationale Umfeld beeinflusst haben und mitunter bis heute beeinflussen. Es existieren enge Verbindungen bildender Künstler und ihren musikschaffenden Kollegen aus Düsseldorf in die internationale Kunst- und Musikszene. Und das kann man immer wieder als Zitat der Düsseldorfer Szene auch in der aktuellen Kunst- und Musikwelt erleben.

Ihr habt für „Keine Atempause“ Interviews mit Campino, Jürgen Engler (Die Krupps) oder Kurt Dahlke (Ata Tak, Der Plan, Pyrolator) geführt. Weibliche Gesprächspartner sind hingegen ziemlich unterrepräsentiert. Ausnahmen: Carmen Knoebel und Martina Weith/Bettina Flörchinger (Östro 430), die die Siebziger und Achtziger Jahren prägten. Wie weiblich ist die aktuelle hiesige Szene? Wer sind die Protagonistinnen, die Macherinnen?
Michael: Die Damen in der Musikszene sind hierzulande nicht weniger prägend als die Herren – damals wie heute. Was wäre die Musik von Propaganda ohne Claudia Brückens Stimme, bitteschön? Heavy Metal ohne Doro Pesch oder The Beatlesøns ohne Monique Maasen? Musikerinnen sind extrem beschäftigt und arbeiten hart, um mit ihrer Kunst wirtschaftlich zu überleben. Daher sind sie als Interviewpartnerinnen aus zeitlichen Gründen oft schwer zu gewinnen. Aktuell sind es in meinen Augen Carmen Brown und Daniela Georgieva, die viel bewegen. Carmen Brown mit Gato Preto und Daniela Georgieva als Musikerin PONY und Performance-Künstlerin. Als ob das nicht genug wäre, sind beide auch noch mehrfache Mütter. Was für eine Leistung! Von der Stadt wurden beide bereits mit Förderpreisen ausgezeichnet. Und Daniela haben wir übrigens auch für „Keine Atempause“ interviewt.

Euer Buch in Henry Storch gewidmet, einem Macher, der in dieser Stadt viel bewegt hat und der Anfang 2018 völlig unerwartet verstorben ist. Wie schwer wiegt dieser Verlust?
Michael: Henry war eine Konstante – im Düsseldorfer Kulturleben wie auch als Freund. Ein bodenständiger und authentischer Charakterkopf, dem der eigene Ruhm und der finanzielle Gewinn irgendwie abgingen. Soulful music und die Liebe zur Musik waren sein Maßstab. Im Kulturbetrieb ist diese Haltung leider eher selten. Entsprechend schwer ist es, ohne ihn in dieser Stadt weitermachen zu müssen.
Sven: Auch, weil er einfach ein unfassbar herzlicher Mensch war. Henry hat damit bewiesen, dass man auch als herausragender Künstler und Veranstalter nahbar, offenherzig und überdies sehr bescheiden sein kann. Tatsächlich allein deshalb ein Vorbild.

Der Ratinger Hof, so schreibt ihr in eurem Vorwort, leistet einen wesentlichen Beitrag zur musikalischen DNA der Stadt. Der Laden bot seinerzeit genau die Freiräume zum Experimentieren, die heute mehr und mehr verloren zu gehen scheinen. Man denke an die Schließung des Damenundherren, das bevorstehende Ende der Brause. Und auch der Salon scheint nicht nur Freunde zu haben. Wie kann man in einer Stadt wie Düsseldorf kulturelle Freiräume erhalten?
Michael: Zwischennutzungsprojekte wie postPost Grand Central zeigen einen Weg auf, was möglich sein kann. Düsseldorf ist so übersichtlich, dass die richtigen Leute mit den richtigen Ideen zur richtigen Zeit zusammenkommen. Hier findet Kultur immer einen Weg.
Sven: Wie immer gilt aber auch hier: selber machen. Ich habe in den Gesprächen mit den Vertretern der Zeit des Ratinger Hofs einmal mehr erlebt, wie wichtig es den Protagonisten war und ist, ihren eigenen Ausdruck ohne Schablone und Matrize transportieren zu können. Carmen Knoebel hat dafür einst eine Plattform geboten. Dafür braucht es allerdings immer auch Menschen, die nicht darauf warten, eine Einladung zu erhalten, sondern proaktiv loslegen.

Zwei Wochen nach Erscheinen des Buchs startet im KIT die Ausstellung „#Tonträger“, die Bilder des Düsseldorfer Fotografen Thomas Stelzmann und Texte von dir, Michael, zeigt. Was genau ist das Thema der Schau?
Michael: Thomas und ich haben uns auf Spurensuche begeben und Düsseldorfer Musiker getroffen, die bereits 1995 aktiv waren. Thomas hat sie an Orten mit besonderer Bedeutung für ihre musikalische Vita im Bild festgehalten, ich habe sie interviewt. Herausgekommen sind 30 Porträts als Teil einer Dokumentation des Lebens Düsseldorfer Künstler, die den Klang der Landeshauptstadt seit über 30 Jahren prägen. Sie sind die #Tonträger.

Ein Teil der Ausstellung ist auch Henry Storchs Label Unique Records gewidmet, das in diesem Jahr 30 Jahre alt wird. Was für Exponate werden zu sehen sein?
Michael: Eines der letzten Porträts von Henry, eine Auswahl der 25 schönsten Langspielplatten und Singles und vor allem: jede Menge soulful music aus dem Hause Unique. Ich freue mich besonders auf den Live-Auftritt der Band Trovaci um den „Balkanizer“ Danko Rabrenovic, deren Studio Album „Malo Morgen“ seinerzeit bei Unique Records beziehungsweise dem Sublabel Electrique Mud erschien.

Auch vor „#Tonträger“ hat es die Musik in Düsseldorf schon ins Museum geschafft. Die Ausstellung „Zurück zum Beton“, die 2002 in der Kunsthalle stattfand, war ein großer Erfolg. Der Vorschlag eines Museums für Düsseldorfer Musik steht seit Jahren im Raum. Was haltet ihr davon?
Michael: Überfällig.
Sven: Tatsächlich wäre es schön, einen Ort zu haben, an dem man museal der musikalischen DNA der Stadt nachspüren kann. Allerdings hätte ich eine Bitte an die Kuratoren: Die sollten nämlich, statt immer nur zurück zu schauen, auch die aktuellsten Strömungen in Düsseldorf, die es unbestritten gibt, in ihrer Schau berücksichtigen. Und denen sowie den kreativen Menschen und Orten kann man ja heute auch ganz ohne Museumsbesuch in der Stadt begegnen.

„Keine Atempause: Musik aus Düsseldorf“ ist im Droste Verlag erschienen.
28.9.-3.10. „#Tonträger – Düsseldorfer Musiker erzählen ihre Geschichte“, KIT, Düsseldorf

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