Ulrike Kessl und Johannes Sandberger im Interview – „Die Warnsignale werden immer lauter“

Viele Prozesse, die früher in aller Stille abliefen, werden heute von unschönem Geräusch begleitet. Das Scannen von Waren an der Supermarktkasse zum Beispiel. Oder ein rückwärts fahrender LKW. Von den zahllosen Handyklingeltönen ganz zu schweigen! Der Bildhauer, Komponist und Musiker Johannes Sandberger hatte die Idee, der akustischen Kontaminierung mit Kunst zu begegnen. Das Ergebnis ist am 10.9. im Projektraum Neues aus dem Wald zu erleben und trägt den programmatischen Titel „Piiip-Piiip“. Was es damit genau auf sich hat, erzählen Sandberger und die ebenfalls am interdisziplinären Projekt beteiligte Bildhauerin Ulrike Kessl im Interview mit theycallitkleinparis.
Von wem stammt die Idee zu „PiiiP-PiiiP“?
Kessl: Die Grund-Idee stammt von Johannes Sandberger. Das Projekt haben wir dann als Künstlerkollektiv gemeinsam entwickelt.

Wie kamen Sie auf die Idee, Herr Sandberger?
Sandberger: Ein erster Impuls war die Einführung von piepsenden Supermarktkassen, sogenannten Warenscannern, vor ungefähr 20 Jahren. 2016 waren bei uns neue Haushaltsgeräte fällig. Uns fiel auf, dass das Piepsen bei Herd, Backofen und Waschmaschine nur bedingt abschaltbar war, auch die Lautstärke konnte nicht angepasst werden. Einerseits werden die Geräte selber immer leiser, andererseits werden die Warnsignale immer lauter. Auch im öffentlichen Raum nehmen die Pieps-Geräusche zu: Warnsignale bei rückwärtsfahrenden LKW sind mittlerweile Pflicht. Tür-auf-Tür- zu-Signale hört man in Straßenbahn, U-Bahn und in Fahrstühlen. Hinzu kommen die zahlreichen Handy-Klingeltöne…

Kessl: Für meine letzten großen Raumarbeiten habe ich neongelbe Sicherheitswesten als Material gewählt, denen man immer häufiger und in unterschiedlichsten Zusammenhängen begegnet. Mir fiel auf, dass in der Öffentlichkeit ein verstärktes Bedürfnis nach Sicherheit und Selbstschutz besteht, das sich unter anderem in schockfarbener Kleidung und dem Tragen von Warnwesten äußert.

Sie haben es schon beschrieben: Die Piep-Geräusche im öffentlichen Raum haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Sie sprechen gar von einer „akustischen Kontaminierung“. Welches konkrete Geräusch ist Ihnen selber ein besonderer Dorn im Ohr?
Sandberger: Es geht hier nicht um ein einzelnes spezifisches Geräusch, sondern vor allem um die Zunahme der Quantität einer großen Gruppe von technischen, unmusikalischen Geräuschen. In anderen Ländern ist man da offenbar schon weiter. Wir haben gehört, dass beispielsweise in Tokio an Fußgängerampeln für Blinde Vogelgezwitscher zu hören ist und nicht dieses Klackern wie bei uns in Düsseldorf.

Sie begegnen dem Ganzen mit „PiiiP-PiiiP“, einem interdisziplinären künstlerischen Projekt. Wer genau ist beteiligt? Und welchen Hintergrund haben die einzelnen Mitwirkenden?
Kessl: Ich bin Bildhauerin…
Sandberger: …und ich Bildhauer, Komponist und Musiker. Dazu kommen Kornelius Heidebrecht, Musiker, Theater- und Performancekünstler, und die Choreografin und Tänzerin Stefanie Elbers.

Sie haben zu dem Thema ja bereits mehrere Projekte im öffentlichen Raum durchgeführt. Wo genau fanden die denn statt?
Sandberger: Bei der ersten Aktion haben wir Pieps-Geräusche in einem großen Baumarkt mit Mikrofon aufgenommen. Bei der zweiten Aktion kamen dann genähte Stoff-Objekte von Ulrike Kessl und am Körper getragene Audio-Boxen mit Pieps-Geräuschen zum Einsatz. Wir sind damit in Straßenbahnen und U-Bahnen gefahren und durch die Düsseldorfer Altstadt gegangen. Zur dritten Aktion in der U-Bahnstation Nordstraße hatten wir ungefähr 15 Freunde und Bekannte eingeladen. Jeder bekam im Vorfeld eine extra individuell komponierte mp3-Datei auf sein Smartphone geschickt. Um 11:07 Uhr wurden alle Smartphones im U-Bahnhof gestartet. In Verlauf dieser Musik-Performance kamen weitere Audio-Boxen und eine Alt-Kontrabass-Klarinette, gespielt von Kornelius Heidebrecht, hinzu.

Und wie war die Resonanz?
Kessl: Je nach Aktion sehr unterschiedlich: Bei der zweiten Aktion waren wir eher überrascht, dass viele Passanten unser heftiges Piepen offenbar gar nicht wahrnahmen. Aber es gab auch einige irritierte oder amüsierte Blicke von Passanten, mit manchen kamen wir ins Gespräch. Bei der dritten Aktion, der im U-Bahnhof, reichten die Reaktionen von Freude bis zu einem „Hört auf“-Ruf.

Am 10. September wird das Thema nun im Innenraum verhandelt. In Nele Walderts Projektraum „Neues aus dem Wald“. Was erwartet die Besucher?
Sandberger: Gerade sind wir noch im Arbeitsprozess. Es geht weder um ein pädagogisch noch um ein rein politisch geprägtes Projekt. Die Abschlussveranstaltung wird zu einer Performance, bei der kontrastreich mit verschiedenen medialen Mitteln, bildender Kunst, Musik, Video, Audio und Bewegung, gearbeitet werden wird. Die Ergebnisse der bereits stattgefundenen Aktionen werden sicher auch mit einfließen.

Und ist das Projekt damit abgeschlossen oder werden Sie weiter zu dem Thema arbeiten?
Kessl: Jetzt sind wir ja noch mittendrin, aber man muss auch wissen, wann eine Sache zu Ende geht, um Raum für Neues zu haben.

Verstehen Sie „PiiiP-PiiiP“ für sich selber auch als eine Art Therapie?
Kessl und Sandberger: Mit Sicherheit nicht.

10.9., 11:30 Uhr, Neues aus dem Wald, Viersener Str. 38, Düsseldorf

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