Die großen Themen des Lebens #3: Geld (1/2)

Mario Comune hat bereits den Feierabend eingeläutet. „Ich war heute Morgen schon um zwanzig nach sieben hier“, sagt er, als ich gegen 19 Uhr im Caffè Enuma eintreffe. Bevor es losgeht, muss er gerade noch die passende Musik auswählen. „Kennst du Anne Clark?“ Er spielt kurz „Our Darkness“ an, um sich kurz darauf dann doch für 2Raumwohnung zu entscheiden. Aus dem Laptop dringen die ersten Takte von „36 Grad“. Draußen färbt sich der Gewitterhimmel passend tintenblau. Schwüle liegt über Bilk, über der ganzen Stadt. Die ersten Tropfen fallen. „Was trinkst du?“, fragt Mario und übernimmt das Antworten gleich mit: „Rhabarberschorle.“ Richtig. Er selber entscheidet sich ausnahmsweise für eine Cola. Normalerweise bevorzugt er stilles Wasser. Er müsse Tabletten nehmen, erzählt er. Schilddrüsenunterfunktion, habe der Arzt gerade festgestellt. Wie genau sich das äußert, frage ich. „Müdigkeit. Und schlechte Laune.“ Die Medikamente zeigen offenbar Wirkung. Verglichen mit unserem letzten Gespräch ist Mario ausnehmend gut gelaunt. „Ich weiß aber noch nicht, ob ich auf alles antworte“, sagt er noch wie aus dem Nichts, obwohl unsere Abmachung eine andere ist. Dann geht es los.

Mario, wir wollen heute über Geld sprechen. Die meisten Menschen hierzulande sprechen nicht über Geld. Was glaubst du, warum ist das so?

(Er überlegt. Länger.) Neid. Oder mehr sein wollen als man ist. Aparire. (Er benennt es auf Italienisch. Aparire heißt so viel wie „Erscheinen“.) Man sagt nicht, was man wählt. Und man sagt nicht, was man verdient.

Ich denke allerdings, dass man die Partei noch eher nennen würde als das Gehalt. Auch deshalb, weil man eine politische Verortung, wenn man jemanden kennt, ja ohnehin besser einschätzen kann.

Wenn ich wählen könnte, würd‘ ich links wählen. Was willste denn wählen? Die Merkel? (Verächtliches Schnauben. Nicht zum letzten Mal, wenn der Name der Kanzlerin fällt. Die sollte Mario mal über den Weg laufen. Dann könnte sie was erleben!)

Ich hätte eigentlich gedacht, dass du Die Grünen wählen würdest. (Mario hatte lange eine Anti-Atomkraft-Fahne im Enuma hängen, daher die Vermutung.)

Die kannste doch auch nicht mehr wählen! Da setzt die Merkel sich einmal drauf, dann sind die CDU. (Das Gespräch entwickelt sich vom ursprünglich geplanten Thema weg. Ruder muss rumgerissen werden. Jetzt.)

Lass uns zum Geld zurückkommen. Du hast dich ja bereiterklärt, darüber zu sprechen…

Ja, weil ich nichts hab‘. Ich kann über alles reden. (Gut so! Das machen wir ja auch in dieser Reihe.) Geld ist für mich als Thema kein Problem, ich hab‘ nichts zu verstecken.

Ist man denn in Italien in dem Punkt generell offener?

Ich leb‘ ja nicht da, deshalb kann ich das nicht sagen. Und wenn ich da bin, dann bin ich in Mailand, wo Geld sowieso fließt. Oder in Sizilien, wo kein Geld fließt. Da leben die Leute ja von 500, 600 Euro im Monat. Da wollen sie nur über die Runden kommen.

Aber du kennst ja wahrscheinlich auch Leute, die sehr viel Geld zur Verfügung haben. Wie fühlst du dich denn neben denen?

Das ist gar kein Problem, ich kenn‘ ja keinen Neid. Die Verbindung läuft meist über andere Sachen. Fußball zum Beispiel. Beim AC Mailand ist es egal, ob jemand Proll ist, Rechtsanwalt oder Berlusconi selber. Wir sind alle für die selbe Sache. AC Mailand ist übrigens der Verein der Arbeiterklasse. Vergleichbar mit Schalke, Oberhausen oder Rot-Weiss Essen.

Wie viel Geld hast du im Moment im Portemonnaie?

Welches Portemonnaie? (Er lacht. Klassisches Mario-Lachen. Laut. Mitreißend.) Meine Taschen sind leer. Das ist immer so.

Aber du hast doch heute hier im Café was verdient. Wie viel Geld hattest du in der Kasse?

Ungefähr 230 Euro. Ausgegeben habe ich aber 800. Ich stopfe ja momentan nur Löcher.

Und wo ging das Geld hin? Ans Finanzamt?

Nee, Finanzamt kommt noch. (Mario hat Außenstände. Weil er seinem Bruder in Italien Geld geliehen hat. Daraufhin hätte man ihm fast sein Café dicht gemacht. Aber jetzt geht es aufwärts, sagt er.) Die kriegen nächsten Monat drei Mille. Die 800 waren für Miete, laufende Kosten. Ist schon krass, wie viel Geld man hier braucht zum Leben. Dabei habe ich außerhalb des Ladens ja keine Kosten. Weil ich hier lebe.

Und ein richtig guter Umsatz, wie viel ist das?

400, 500 Euro. Das kommt aber nicht oft vor. Gestern zum Beispiel hatte ich nur 120 Euro.

Und wie viel Geld brauchst du monatlich, um über die Runden zu kommen?

Was habe ich im Monat? 1200, 1300, vielleicht 1400. Ich kaufe täglich die Gazetta (eine italienische Sportzeitung). Vielleicht sind es auch 1500. (Er erhöht noch mal. Ganz genau scheint er es nicht nachzuhalten. Italienisch geschätzt also, die Summe.)

Und wie viel arbeitest du im Monat? Du hast ja keine Angestellten, machst das Enuma im Alleingang.

Ich arbeite 300 Stunden im Monat. Minimum.

Du hast ja nicht immer so bescheiden gelebt. Es gab durchaus auch fettere Jahre. Was schätzt du, wie viel hast du in deinen besten Zeiten monatlich rausgehauen?

Fünf Mille. Locker.

Und wofür?

Wofür? Ein schönes Leben.

Was genau hat das schöne Leben ausgemacht?

AC Mailand. Ich bin mit dem Verein rumgereist. Immer in den besten Hotels. Die Euro-Zeiten haben die Leute kaputt gemacht. Die haben das Geld halbiert. Und die Arbeit verdoppelt. (Seltsame Rechnung, die er da aufmacht. Lasse ich trotzdem mal so stehen.)

Aber deine fetten Jahre waren ja wahrscheinlich auch vor den Euro-Zeiten, oder?

Am Anfang der Euro-Zeiten auch noch. Über einen Zeitraum von 15, 20 Jahren habe ich immer viel Geld ausgegeben. Da lief das Geld aber auch anders. Jetzt wird es von Jahr zu Jahr schwieriger.

Warum gibst du heute weniger aus? War das eine bewusste Entscheidung deinerseits? Oder warst du finanziell dazu gezwungen?

Es geht heute einfach nicht mehr, das muss man ganz klar so sagen. Aber mir ist das egal, ich hab alles gehabt. (Das sagte er beim letzten Gespräch schon, damals im Zusammenhang mit dem Tod.) Ich war mit 21 in Rio. Mit der deutschen Nationalmannschaft. Ipanema. Intercontinental. Damals das beste Hotel der Welt. Fünf Sterne. Das kannst du eigentlich gar nicht verarbeiten.

Verarbeiten ist das eine. Wie konntest du dir das denn leisten?

Ich hatte immer Geld. (Ja, aber woher? Woher?) Und ich kannte halt viele Leute. Damals liefen die Dinge noch anders. Du kanntest jemanden vom DFB, dann haste den angerufen und gefragt, ob du mit den Presseleuten mitfliegen kannst. Das war früher alles gar kein Problem. Normalerweise ist es ja so: Wenn man jung ist, ist man pleite. Und wenn man alt ist, hat man vielleicht Kohle, ist aber krank und kann durch die Krankheit nicht mehr reisen. Ich habe genau das Gegenteil gehabt. Und das ist ja Luxus. Da kann ich heute ruhig 15 Stunden am Tag arbeiten.

Arbeit ist ein gutes Stichwort. Hast du denn damals eigentlich gearbeitet?

Ich habe ein bisschen gearbeitet, aber nicht so viel. (Grenze erreicht. Hier will er nicht mehr erzählen. Vielleicht will man‘s auch nicht so genau wissen.)

Das war ja dann schon ein ziemlich luxuriöses Leben. Würdest du heute für dich Luxus anders definieren als damals?

Auf jeden Fall. Luxus ist Gesundheit. Früher habe ich das natürlich anders gesehen. Ich erzähl dir mal eine Geschichte (Achtung, jetzt aufmerksam sein!). Ich war neulich in Mailand. Mit meinem Neffen. Da habe ich in einer Galerie zwei Tischlampen gesehen. Aus Murano-Glas. Ich bin in den Laden rein und habe zu der Verkäuferin, das war eine ältere Dame, gesagt: ‚Ich kann mir hier nichts leisten. Ich möchte nur eine Frage stellen.‘ Die hat uns dann erst mal zehn Minuten warten lassen. Wir sahen in deren Augen ja aus wie Penner. Als sie dann zu uns kam, habe ich sie nach dem Preis für die Lampe gefragt. ‚2500 Euro‘, sagte sie. Ich darauf: ‚Für eine Lampe? Oder für beide?‘ ‚2500 für eine‘, hat sie geantwortet. Und um das zu unterstreichen zusätzlich auf Englisch: ‚two thousand five hundred Euro each.‘ Ich habe ihr dann erklärt, wie die Lampe heißt, in welchen Luxus-Läden man sie früher mal kaufen konnte. Da hat sie nichts mehr gesagt. Ich habe in meiner Wohnung vier von den Lampen stehen. Die haben mich mein Leben lang begleitet. Die würde ich nie verkaufen. Das habe ich auch meinem Sohn gesagt. Und daran würde er sich auch halten.

Teil 2 des Gesprächs folgt in Kürze.

1 Kommentar

Kommentieren

Schreibe einen Kommentar

*