Ein DJ namens Kohlrabi. Das Approximation Festival 2021

Alex Somers ist, um es mit einem Fußballvergleich zu sagen, kein Christiano Ronaldo der Musikwelt. Eher ein Jonas Hector, einer, der nicht in die erste Reihe drängt, sondern stattdessen zurückhaltend und mannschaftsdienlich agiert. Die Mannschaft ist in Somers’ Fall die isländische Band Sigur Rós, für die der US-Amerikaner produzierte, aber auch Cover gestaltete. Außerdem etablierte er sich in den vergangenen Jahren als Komponist einfühlsamer, stilistisch herausfordernder Filmmusiken und veröffentlichte unlängst sein „Siblings“. Gemeinsam mit Sigur Rós-Leadsänger Jónsi schafft er seit vielen Jahren unter Jónsi & Alex Musik. Auf ihrem jüngsten Album reflektieren die beiden auch die Verluste und Einsamkeit der vergangenen Corona-Monate. Ihre Texte erzählen dazu in einer eigens erdachten Sprache, die die beiden Komponisten „Volenska“ nennen, auf deutsch: „Hoffnungsländisch“. Eine Komposition von Somers wird in diesem Jahr das „Approximation Festival“ eröffnen, und zwar eine, die eigens für diesen Rahmen entstanden ist. Erstmals gibt es beim Approximation nämlich 2021 einen „Composer in Residence“, der/die ein Werk eigens für das Festival schafft und dort zur Aufführung bringt. Der Nachhall schwingender Saiten, mal sanft, mal brüsk kreisende Loops – vieles in der Musik von Alex Somers verbindet ihn mit den Klangästhetiken, die das Approximation Festival über die Jahre prägten – und so scheint er wie gemacht für die Rolle des „Composers in Residence“. Am 16. November wird seine Komposition – dargeboten gemeinsam mit einem Ensemble samt Chor, es dirigiert Rob Ames, Mitbegründer des London Contemporary Orchestra – im tanzhaus nrw ihre Premiere erleben – und gleichzeitig das Festival eröffnen.

Liminal aka Alex Somers (links) und Hauschka, Fotos: Bella Howard

Dass auch am Folgeabend, dem 17. November, Ungewöhnliches geboten wird, lässt sich bereits an dem Hinweis „Bitte denken Sie an die Isomatte!“ ablesen. Das sogenannte Soundbath, also das Klangbad, erlebt das Publikum nämlich im Liegen. In der musealen Kulisse der Flingeraner Sammlung Philara machen Alex Somers, Robert Ames und Approximation-Kurator Hauschka, zusammen nennen sie sich Liminal, gemeinsame musikalische Sache und interpretieren die Musik von Sigur Rós auf ihre Art völlig neu. Der Klang ist dabei tatsächlich nur eine Dimension des Erlebnisses, das durch die soziale und Raum-Komponente zu einem außergewöhnlichen Abend werden dürfte.

Maarja Nuut, Foto: Anu Vahtra

Ausdrücklich empfohlen sei auch das Gastspiel der Estin Maarja Nuut, die am 18. November gemeinsam mit Lavalu aus den Niederlanden im Salon des Amateurs auftreten wird. Nuut gelingt es, allein mit ihrer Stimme und einer Violine den Eindruck zu vermitteln, man höre die fremden und doch subtil vertrauten musikalischen Traditionen ihrer estnischen Heimat. Wenn sie im nächsten Moment zu minimaler, aber belebender elektronischer Rhythmik ihre Stimme in Loops übereinander schichtet, klingt aber alles mehr nach der musikalischen Tradition eines fremden Planeten oder einfach nach der musikalischen Zukunft. Tatsächlich scheint es, als würde sie, wenn sie ihre Arme ausstreckt, Vergangenes und Kommendes ergreifen, um beide in schwirrenden Tönen zusammenzuführen. Inspiriert vom Leben auf dem seit fünf Generationen bewohnten Hof ihrer Großmutter, schuf die klassisch ausgebildete Künstlerin in diesem Jahr die fragilste und zugleich selbstbewussteste Musik ihrer noch jungen Karriere. Nachdenkliche und innovative Klänge, fern jeder Tristesse.

Insgesamt vier Veranstaltungen stehen in diesem Jahr auf dem Programm des Approximation Festivals, das bereits seit Wochen durch in der ganzen Stadt präsente, sehr geschmackvolle Plakate beworben wird. Der vierte, der am 19. November ebenfalls im Salon des Amateurs über die Bühne geht, ist dem Düsseldorfer Label TAL gewidmet. Kuratiert hat ihn TAL-Macher Stefan Schneider. Der steht an dem Abend an dem Abend auch selbst auf der Bühne, an der Seite von Susanna Gartmayers. Auf die Bassklarinettistin wurde Schneider 2015 beim „Approximation Festival“ aufmerksam – und fragte sogleich eine Zusammenarbeit an. Unter dem Namen So Sner erscheint nun im kommenden Frühjahr das gemeinsame Debüt-Album, auf dem die beiden Musiker an die frühe Avantgarde wie auch manche nie zu Ende gebrachten Experimente der späten Avantgarde Mitte der Achtziger Jahre anknüpfen. Weitere Acts des TAL-Abends sind die Düsseldorferin Miki Yui und DJ Kohlrabi (Team Pommes). Letztere collagiert – mit reichlich Humor – Material zwischen Klangreise, Performance und Tanzfläche. Sie selbst nennt als Domänen „exotischen Schmetterlingspunk und soziale Gesangsstimme“. Und das klingt ebenso vielversprechend wie der Rest des diesjährigen Programms.

Approximation Festival: 16. bis 19.11. diverse Spielorte, Düsseldorf

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