Bernardo San Rafael im Interview – „Die große Bühne ist mir zu abgehoben“

Als Tänzer hat Bernardo San Rafael auf den Bühnen namhafter Häuser gestanden. Rheinoper, Theater Dortmund oder Oper Bonn. Mittlerweile integriert er die Kunst lieber in den urbanen Alltag. Zum Beispiel mit seiner ersten Solo-Performance „Teddy“, die er bereits im Mai in Düsseldorf gezeigt hat und die nun an zwei weiteren Terminen in der NRW-Kapitale zu erleben ist. theycallitkleinparis hat mit Bernardo San Rafael gesprochen – und dabei erst mal aus seinem eigenen Leben erzählt.

Bernardo, ich bin 47 Jahre alt und neben meinem Bett sitzt mein bis heute liebster Teddy. Er heißt Conni. Ich habe ihn im Alter von zwei Jahren im Sandkasten gefunden. Der Kopf des Bären hängt mittlerweile am seidenen Faden, sein Körper ist an einer Stelle aufgeschlitzt und er trägt, weil er lange nicht mehr gewaschen wurde, vermutlich ziemlich viele Krankheitserreger in sich. Aber ich kann mich nicht trennen. Welches war dein liebstes Stofftier als Kind?
Ich hatte als Kind nicht das Glück, ein Stofftier zu besitzen. In Costa Rica, wo ich aufgewachsen bin, gab es so etwas nicht. Die Tradition, Kindern Teddys zu schenken, existiert dort nicht. Überhaupt ist von meiner Kindheit außer zwei Bildern überhaupt nichts geblieben. Leider.

Du hast Costa Rica nach der Schule verlassen, um in Frankreich Tanz zu studieren. Mittlerweile lebst du seit vielen Jahren in Deutschland. Wann und wie kamst du nach Düsseldorf?
Ich kam 2008 wegen eines Engagements nach Düsseldorf. Ursprünglich wollte ich nur bleiben, solange das Engagement dauerte, und dann weiterziehen, am liebsten nach Berlin. Dort bekam ich aber keinen Job und eine Wohnung hatte ich nirgendwo. Letzten Endes bin ich dann in Düsseldorf geblieben. Liebe auf der ersten Blick war es nicht, eher auf den dritten oder vierten. Heute mag ich die Stadt. Sie war immer offen für mich.

Du hast als Tänzer an der Rheinoper gearbeitet. Aber auch am Theater Dortmund, an der Oper Bonn sowie als Performer für Angie Hiesl and Roland Kaiser in Köln. Du warst dabei stets Bestandteil von Gruppen, hast geholfen, die Ideen von anderen umzusetzen. Warum hast du dich jetzt für die Arbeit als Solo-Performer entschieden?
Ich habe mich verändert. Die große Bühne ist mir mittlerweile zu abgehoben. Ich liebe es, den Tanz in den urbanen Alltag zu integrieren und dadurch den Alltag und die Routinen der Menschen zu verändern. Die Passanten werden Teil der Performance. Die, die sich interessieren, müssen nachfragen, wieso ich das mache und so mit fremden Menschen in Kontakt treten. Generell fragt man heutzutage ja lieber das Handy als einen Unbekannten. Bei dem, was ich jetzt mache, sind übrigens Angie Hiesl und Roland Kaiser meine künstlerischen Eltern. Ich liebe ihre Arbeit, ihre Art, eine Stadt wahrzunehmen, und die Leidenschaft für das, was sie tun. Durch die Zusammenarbeit mit den beiden habe ich mich künstlerisch völlig verändert. Nun versuche ich, meine eigene Art zu finden und umzusetzen, was ich bei ihnen gelernt habe. Parallel werde ich natürlich auch weiterhin für sie arbeiten.

Deine erste Performance heißt „Teddy“. Die Idee kam dir, nachdem du einen Artikel gelesen hattest. Erzähl!
In der Reportage ging es um die Migration von Menschen aus Mittelamerika in die USA. Das Problem war mir natürlich längst bekannt, auch wenn Costa Rica nicht allzu stark betroffen war. Jedenfalls bis heute. Costa Rica war wirtschaftlich und politisch immer besser dran als seine Nachbarländer. Ich war schockiert, als ich in der Reportage las, dass in der Region mittlerweile tausende Kinder alleine ihre Heimatländer verlassen, weil sie keine Perspektive mehr dort haben. Die laufen vor Drogen und Gewalt weg und denken, dass es in den USA alles im Überfluss gibt. Viele sterben auf dem Weg dorthin, werden Opfer von Drogenbanden oder zur Prostitution gezwungen.

Was hat diese Problematik nun mit deiner Performance zu tun? In „Teddy“ steckst du in einem Ganzkörperkostüm aus lauter Bären und agierst als wandelnde Teddybär-Sammlung im öffentlichen Raum. Was ist die Botschaft der Performance?
Für mich sind diese Kinder aus Mittelamerika auf der Suche nach den Teddybären, die sie nie bekommen haben. Wir leben im materiellen Überfluss und wollen nicht teilen. Diese Tatsache hat wirtschaftliche und soziale Auswirkungen auf die armen Länder. In „Teddy“ wandere ich durch die Düsseldorf mit meinen Bären. Mein Weg führt mich vom reichsten Viertel, Oberkassel, zum Worringer Platz, dorthin, wo die Drogen, die aus Mittelamerika kommen, den Alltag beherrschen (Anm. d. Red. Das war die Route der Performances im Mai und Juni, im August nimmt San Rafael einen anderen Weg – siehe unten!).

Und woher stammen die Teddys? Hat womöglich jeder eine Geschichte?
Die Herkunft der Bären ist ganz unterschiedlich. Nach einem Aufruf in den sozialen Netzwerken, haben mir viele Menschen Bären geschenkt. Andere habe ich gekauft, überall, wo ich gewesen bin. Wieder andere im Mülleimer gefunden, oder auf einer Bank. Der größte weiße Bär stammt vom Flohmarkt. Er heißt übrigens Knut. Den Namen hat ihm ein Drogenabhängiger vom Worringer Platz gegeben.

Nun hätte das Ganze ja durchaus auch im Innenraum stattfinden können. Warum hast du dich fürs Draußen entschieden?
Ganz einfach: Ich möchte Menschen erreichen, die normalerweise nicht ins Theater gehen. Ins Theater oder in die Oper gehen ja überwiegend wohlhabende Menschen. Die weniger Bemittelten werden ausgeschlossen. Außerdem möchte ich, wie schon angesprochen, die Stadt zumindest vorübergehend verändern, dafür sorgen, dass nicht alles kontrollierbar ist. Davon lebt die Performance.

„Teddy“ war im Mai bereits an mehreren Terminen in Düsseldorf zu erleben. Dabei triffst du im öffentlichen Raum natürlich überwiegend auf Leute, die dich nicht erwarten. Die du total überraschst. Wie waren die Reaktionen? Und: Interagierst du mit den Menschen?
Ich interagiere nicht nur mit den Menschen, sondern auch mit der Stadt. Mit Gebäuden, Straßen, und Autos – all das allerdings auf eine nonverbale Art. Ich setze bei „Teddy“ auch keine Musik ein. Die Geräusche der Stadt sind sehr inspirierend.
Die Performance scheint das innere neugierige Kind in den Menschen zu wecken. Sie spricht alle an. Nicht jeder wird die wahre Botschaft verstehen, aber das ist nicht relevant für mich. Hauptsache, die Leute merken, dass etwas Ungewöhnliches passiert und interagieren auf ihre Art mit mir und ihren Mitmenschen.

Vor Düsseldorf warst du mit der Performance bereits in Indien. Inwiefern unterscheiden sich die Reaktionen der Menschen dort von denen hier in Düsseldorf?
Die Inder sind ein wunderbares Publikum, weil sie reagieren wie Kinder. Staunend. Und ohne Vorurteile. In Indien kennt man eine solche Art von Kunst nicht. Mein Eindruck war, dass die Menschen dankbar waren, so etwas zu sehen. Sie sind ursprünglicher und natürlicher, viele haben nichts und kämpfen ums Überleben. Deshalb ist jedes Lächeln, das ich durch meine Aktion hervorrufen konnte, für mich Gold wert.

In welchen Ländern und Städten wirst du „Teddy“ sonst noch zeigen?
Nach Indien ist die Performance am 22. August noch mal in Düsseldorf zu erleben. Danach bin ich in Zürich, wo ich auch teilweise lebe, zweimal in Griechenland und nächstes Jahr in Rio de Janeiro, San José, El Salvador und Honduras. Guatemala, Belize und Mexiko könnten noch dazu kommen.

Konzentrierst du dich momentan ausschließlich auf diese Solo-Performance? Oder bist du nach wie vor auch in den Produktionen anderer zu erleben?
Momentan ja, aber im November arbeite ich an Angie Hiesls Produktion „Forks in the City“ mit. Und nächstes Jahr an einem Stück der Deutschen Rheinoper.

22.8., Start: 17 Uhr, Dreieck, Düsseldorf

2 Kommentare

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Ich finde es beeindruckend, wie Berndaro San Rafael seine Idee umsetzt und durch die Reaktionen des Pubklikums sind doch sehr unterschiedlich. Man vergisst die Zeit und den Raum und wird selbst mitgerissen

Liebe Antje, ich habe es sehr ähnlich empfunden. Die Performance hat – neben ihrer eigentlichen Botschaft – etwas komplett Entschleunigendes. Und die Reaktionen der Menschen sind interessant, ja. Wenn sie den „Bärenmann“ überhaupt wahrnehmen, riskieren sie oft nur einen kurzen Blick oder machen mit dem Smartphone ein Bild. Begeisterung zu erzeugen, ist nicht ganz einfach dieser Tage…

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