Marlin de Haan im Interview – „Es verschwindet so viel in der Kiste Handy“

Als Marlin de Haan 14 Jahre alt war, traf sie eine folgenschwere Entscheidung. Sie wollte zum Theater, obwohl sie bis dahin nie selber ins Theater gegangen war. Sie trat einer Laienspielgruppe bei. Über 20 Jahre später ist aus dem Hobby längst ein Beruf geworden. Zuletzt hat die 37-Jährige das Bühnenbild für die Produktion „Unlikely Creatures“ von Billinger & Schulz entworfen. Am 3. März nun hat ihr eigenes Stück „Das Schweigen im Zeichen der Flut“ Premiere am FFT Juta. theycallitkleinparis hat mit Marlin de Haan gesprochen.

Lass uns mit einer Frage starten, die man im Einkaufsalltag ziemlich oft hört: Hast du eine Paybackkarte?
Ja.

Mit Hilfe dieser Karten wird genau gespeichert, was ein Kunde wann gekauft hat. In deinem neuen Stück „Das Schweigen im Zeichen der Flut“ geht es um Speichern, Löschen und Wiederherstellen. Was hat den Anstoß gegeben, sich künstlerisch mit dem Thema auseinanderzusetzen?
Mehrere Zeitungsartikel zum Recht auf Vergessen werden. Diese Bezeichnung für ein Recht beziehungsweise Gesetz fand ich so schön absurd und ich hatte große Lust, es auch für einen Theaterabend anzuwenden. Das Gegenteil, vielleicht das Recht auf Wissen, spielt hier mit rein. Beides ist bei einem Theaterabend eigentlich Teil der Konstellation Sender/Empfänger und der Überlegungen, die man vorab darüber anstellt, bezüglich Dramaturgie, Konzept und so weiter. Das eigentlich Tolle bei einem Theaterabend ist jedoch, dass man Momente miteinander teilt. Und das steht jenseits von Speicher- oder Löschüberlegungen. Wie oft am Tag muss man inzwischen über so was entscheiden? Im Theater muss man sich erst einmal eine Karte kaufen und sich dann darauf einlassen wollen.

Wie geht ihr das Thema an? Wie darf man sich die Umsetzung für die Bühne konkret vorstellen?
Wir haben ganz viel Material gesammelt, die Schauspieler interviewt, daraus hat Charlotte von Bausznern einen Text erarbeitet, den die Schauspieler und ich mit meiner Vorstellung einer Spielart des Abends zusammengesetzt haben. Dazu haben wir dann ein geeignetes Raumkonzept entworfen. Bei dem Abend geht es viel um das Ansammeln von Material und den Umgang damit.

Du hast Charlotte von Bausznern schon erwähnt. Sie ist Autorin und Informationswissenschaftlerin. Wie kam es zu der Zusammenarbeit? Und wie habt ihr euch die Aufgaben aufgeteilt?
Freunde von uns beiden haben uns miteinander bekannt gemacht. Sie schreibt den Text und ich führe Regie und habe, zusammen mit Julia Rautenhaus, den Raum entworfen. Charlotte und ich haben zusammen das Konzept konkretisiert und sind im ständigen Austausch über das, was ich hier mache und was sie in Berlin schreibt. Sie hat Anfang des Jahres ihr zweites Kind bekommen und war deswegen nur über Mail, Telefon und Skype anwesend.

Am 3. März ist Premiere. Wie lange habt ihr an der Produktion gearbeitet?
Zwei Wochen im November zum Ausprobieren und jetzt proben wir seit viereinhalb Wochen. Für so ein Projekt ist das eine viel zu kurze Zeit. Vor allem weil uns diverse Erkältungen in die Quere gekommen sind. Der totale Wahnsinn. Und der Text ist nicht leicht auswendig zu lernen. Aber wir sind ein super Team und haben viel Spaß zusammen. Charlotte hat nach der November-Testphase angefangen zu schreiben. Die Idee für den Abend trage ich übrigens schon seit Sommer 2014 mit mir herum. Wir kennen uns also schon etwas länger, das Projekt und ich.

Und wie ist deine Gefühlslage jetzt, so kurz vor der Aufführung?
Die Zeit saß uns ziemlich im Nacken, aber seit gestern denke ich: Fertig. Und ich mag es. Charlotte sieht es zum ersten Mal live bei der Premiere. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass es ihr auch gefallen wird.

Genauso wie Theater ist zum Beispiel das Konzert einer Band ja auch flüchtig. Dennoch versuchen viele, es zu konservieren, via Handy aufzuzeichnen. Woher kommt deiner Ansicht nach dieser Drang?
Vielleicht ist es eine Möglichkeit der Kategorisierung. Ich kenne etwas nicht, weiß nicht, wie ich es finden soll, bin verwirrt. Deshalb nehme ich es lieber erst einmal auf, um es anderen zu zeigen und mir selber eine Meinung zu bilden. Schade finde ich, dass das Eigentliche dadurch gar nicht mehr richtig genossen werden kann. Ich war vor kurzem in Paris. Die Leute haben sich wie wild vor dem Eiffelturm fotografiert, aber den Turm wirklich angeguckt hat kaum jemand. Da sind doch eindeutig die Prioritäten falsch gesetzt.

Inwiefern beeinflusst dieses Vorgehen das Erinnerungsvermögen? Die Erinnerungen sind ja in erster Linie im Handy und nicht mehr im Kopf.
Ich denke, dass man sich dadurch viel weniger erinnert, weil es ja keine Verknüpfung von einem Bild und einem Gefühl mehr gibt. Und wer schaut sich seine 200 Urlaubsfotos hinterher auf seinem Laptop noch an? Es verschwindet so viel in der Kiste Handy, woran man sich gar nicht mehr erinnert und was man eigentlich auch gar nicht mehr braucht. Und da müsste man eigentlich ständig aussortieren und sich für oder gegen etwas entscheiden. Oder man löscht gleich alles und ärgert sich dann, dass man damit zu schnell war und etwas Wichtiges mit gelöscht wurde. Es ist also mehr eine unkontrollierte Datenschieberei als ein Erinnern. Bei mir zumindest.

Du hast es eingangs schon kurz erwähnt: 2014 gab der Europäische Gerichtshof in Brüssel dem „Recht auf Vergessenwerden“ statt. Dadurch wird die Suchmaschine Google verpflichtet, Einträge und Links auf Wunsch zu löschen. Welche digitale Spur von dir würdest du gerne löschen?
Bisher bin ich mit meinem Datensatz zufrieden. Ich achte allerdings auch darauf, was zum Beispiel bei Facebook über mich gepostet wird. Da kommt inzwischen einiges zusammen, aber da gibt es nichts, was ich gerne löschen würde. In Bezug auf meinen Kopf bin ich da anderer Meinung.

In Zeiten von sozialen Netzwerken ist jemand, der sich dem komplett entzieht, fast nicht existent. Glaubst du, das schlägt irgendwann in eine Gegenbewegung um? Die Renaissance des Vergessenwerdens sozusagen?
Bestimmt. Und gewiss schon bald. Man entscheidet sich ja damit vielleicht auch für eine gewisse Lebensqualität. Ich finde eine Mischung aus beidem – analogen und digitalen Kommunizieren – ganz okay.

Zuletzt noch eine Frage, die gar nichts mit deiner Kunst zu tun hat: Woher stammt der gelbe Häkelpulli, den du auf deinem Pressefoto trägst?
Das Pressefoto ist inzwischen schon etwas älter und sollte dringend ausgetauscht werden. Es ist auch kein Pulli, sondern ein Häkelkleid, das ich anno dazumal in einem Second-Hand-Laden in Hamburg gekauft habe. Es ist für meine Gewohnheiten ziemlich kurz und meistens wird es mir darin schnell zu warm. Ich trage es also fast nie, finde es aber gut, es in meinem Schrank zu haben.

Solltest du es irgendwann trotzdem ausmisten, wäre ich wohl interessiert.
Haha. Sehr schön. Ich wurde schon gefragt, ob der Schauspieler auf der Postkarte zu „Das Schweigen im Zeichen der Flut“ das Kleid anhätte. Frechheit.

3.-5.3., jeweils 20 Uhr, FFT Juta, Düsseldorf

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